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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Wagners Illustrationen -- theils Architekturbilder, theils Typen und Scenen
ans dem Volks- und Straßenleben -- sind zwar von ungleichem Werthe; neben
manchem, was ohne Verlust hätte wegbleiben können, wie dem "Aufstieg zum
Montserrat", neben anderem, das für die skizzenhafte Behandlung, in der es
vorgeführt wird, entschieden nicht geistvoll genug auftritt, wie dem recht gewöhn¬
lichen Bilde "Die Arena in Madrid", stehen kleine Cabineisstücke, wie der
"Stadt-Omnibus", der geradezu an Dietz erinnert. Die erfreulichen Blätter
bilden aber doch die große Majorität; namentlich die Einzelfiguren aus dem
Volke sind höchst wahr und lebendig aufgefaßt, und die Architekturbilder zum
Theil vou glänzender Wirkung. Mit besonderer Virtuosität behandelt der Künstler
die Schattirung; das energische Licht des Südens mit den tiefen, dagegen con-
trastirenden Schatten bildet einen Hauptreiz seiner Darstellungen. Freilich ist
nicht zu leugnen, daß die Anwendung gerade dieses Mittels ihm etwas zur
Manier geworden zu sein scheint.

Nicht befreunden können wir uns mit der technischen Ausführung der Jllu-
strationen; sie ist ganz gegen die Natur des Holzschnittes. Die Bilder sind
offenbar sämmtlich Feder- und Tnschzeichnungen, die ans den Holzstock photo-
graphirt worden sind. Mit solchen Bildern weiß eines der geschickteste Holz¬
schneider nichts rechtes anzufangen. Er müht sich ab, Facsimile zu schneide",
und im Falle des Gelingens -- die vorliegenden sind fast durchweg vortrefflich
gelungen --- ist es wohl interessant zu sehen, daß der Holzschnitt zur Noth auch
die Wirkung der malerischen Skizze erreichen kann, aber ist dies seine Aufgabe?
Wir halten diese Methode für eine bedauerliche Verirrung, die deshalb nicht
besser wird, weil sie heutzutage eine so große Verbreitung gefunden.

Vollständig enttäuscht worden sind wir aber, wie gesagt, durch die Leistung des
Schriftstellers. Wir wissen freilich, daß es nicht üblich ist, den Text derartiger
"Prachtwerke" einer ernstlichen Kritik zu unterziehen; in der Regel wird ja nur
uach den Bildern gefragt. Aber der Text ist doch wohl dazu da, daß er gelesen
wird. Oder soll er den Bildern bloß als typographische Folie dienen? Dann
könnte man ja auch Alphabete in verschiedenen Schriftgattungen, Annoncen
oder sonst etwas als Rahmen um die Bilder drucken. Daß nnter hundert Käu¬
fern eines "Prachtwerkes" kaum zehn den Text desselben aufmerksam vou Anfang
bis zu Ende lesen -- schon wegen des unhandlicher Formates --, ist freilich
eine Thatsache; die meisten werden in dem unbequemen Bande dann und wann
ein Stündchen blättern, die Bilder betrachten und hie und da am Texte naschen.
Trotzdem muß aber doch wohl auf die kleine Zahl derer Rücksicht genommen
werden, die sich die Mühe nehmen, das Buch zu ihrer Belehrung durchzulesen.
Was bietet also Simons dieser kleinen, gewissenhaften Leserschaar?

Vor allem zeigt sichs hier wieder einmal recht deutlich, welch ein großer


Wagners Illustrationen — theils Architekturbilder, theils Typen und Scenen
ans dem Volks- und Straßenleben — sind zwar von ungleichem Werthe; neben
manchem, was ohne Verlust hätte wegbleiben können, wie dem „Aufstieg zum
Montserrat", neben anderem, das für die skizzenhafte Behandlung, in der es
vorgeführt wird, entschieden nicht geistvoll genug auftritt, wie dem recht gewöhn¬
lichen Bilde „Die Arena in Madrid", stehen kleine Cabineisstücke, wie der
„Stadt-Omnibus", der geradezu an Dietz erinnert. Die erfreulichen Blätter
bilden aber doch die große Majorität; namentlich die Einzelfiguren aus dem
Volke sind höchst wahr und lebendig aufgefaßt, und die Architekturbilder zum
Theil vou glänzender Wirkung. Mit besonderer Virtuosität behandelt der Künstler
die Schattirung; das energische Licht des Südens mit den tiefen, dagegen con-
trastirenden Schatten bildet einen Hauptreiz seiner Darstellungen. Freilich ist
nicht zu leugnen, daß die Anwendung gerade dieses Mittels ihm etwas zur
Manier geworden zu sein scheint.

Nicht befreunden können wir uns mit der technischen Ausführung der Jllu-
strationen; sie ist ganz gegen die Natur des Holzschnittes. Die Bilder sind
offenbar sämmtlich Feder- und Tnschzeichnungen, die ans den Holzstock photo-
graphirt worden sind. Mit solchen Bildern weiß eines der geschickteste Holz¬
schneider nichts rechtes anzufangen. Er müht sich ab, Facsimile zu schneide»,
und im Falle des Gelingens — die vorliegenden sind fast durchweg vortrefflich
gelungen —- ist es wohl interessant zu sehen, daß der Holzschnitt zur Noth auch
die Wirkung der malerischen Skizze erreichen kann, aber ist dies seine Aufgabe?
Wir halten diese Methode für eine bedauerliche Verirrung, die deshalb nicht
besser wird, weil sie heutzutage eine so große Verbreitung gefunden.

Vollständig enttäuscht worden sind wir aber, wie gesagt, durch die Leistung des
Schriftstellers. Wir wissen freilich, daß es nicht üblich ist, den Text derartiger
„Prachtwerke" einer ernstlichen Kritik zu unterziehen; in der Regel wird ja nur
uach den Bildern gefragt. Aber der Text ist doch wohl dazu da, daß er gelesen
wird. Oder soll er den Bildern bloß als typographische Folie dienen? Dann
könnte man ja auch Alphabete in verschiedenen Schriftgattungen, Annoncen
oder sonst etwas als Rahmen um die Bilder drucken. Daß nnter hundert Käu¬
fern eines „Prachtwerkes" kaum zehn den Text desselben aufmerksam vou Anfang
bis zu Ende lesen — schon wegen des unhandlicher Formates —, ist freilich
eine Thatsache; die meisten werden in dem unbequemen Bande dann und wann
ein Stündchen blättern, die Bilder betrachten und hie und da am Texte naschen.
Trotzdem muß aber doch wohl auf die kleine Zahl derer Rücksicht genommen
werden, die sich die Mühe nehmen, das Buch zu ihrer Belehrung durchzulesen.
Was bietet also Simons dieser kleinen, gewissenhaften Leserschaar?

Vor allem zeigt sichs hier wieder einmal recht deutlich, welch ein großer


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[0122] Wagners Illustrationen — theils Architekturbilder, theils Typen und Scenen ans dem Volks- und Straßenleben — sind zwar von ungleichem Werthe; neben manchem, was ohne Verlust hätte wegbleiben können, wie dem „Aufstieg zum Montserrat", neben anderem, das für die skizzenhafte Behandlung, in der es vorgeführt wird, entschieden nicht geistvoll genug auftritt, wie dem recht gewöhn¬ lichen Bilde „Die Arena in Madrid", stehen kleine Cabineisstücke, wie der „Stadt-Omnibus", der geradezu an Dietz erinnert. Die erfreulichen Blätter bilden aber doch die große Majorität; namentlich die Einzelfiguren aus dem Volke sind höchst wahr und lebendig aufgefaßt, und die Architekturbilder zum Theil vou glänzender Wirkung. Mit besonderer Virtuosität behandelt der Künstler die Schattirung; das energische Licht des Südens mit den tiefen, dagegen con- trastirenden Schatten bildet einen Hauptreiz seiner Darstellungen. Freilich ist nicht zu leugnen, daß die Anwendung gerade dieses Mittels ihm etwas zur Manier geworden zu sein scheint. Nicht befreunden können wir uns mit der technischen Ausführung der Jllu- strationen; sie ist ganz gegen die Natur des Holzschnittes. Die Bilder sind offenbar sämmtlich Feder- und Tnschzeichnungen, die ans den Holzstock photo- graphirt worden sind. Mit solchen Bildern weiß eines der geschickteste Holz¬ schneider nichts rechtes anzufangen. Er müht sich ab, Facsimile zu schneide», und im Falle des Gelingens — die vorliegenden sind fast durchweg vortrefflich gelungen —- ist es wohl interessant zu sehen, daß der Holzschnitt zur Noth auch die Wirkung der malerischen Skizze erreichen kann, aber ist dies seine Aufgabe? Wir halten diese Methode für eine bedauerliche Verirrung, die deshalb nicht besser wird, weil sie heutzutage eine so große Verbreitung gefunden. Vollständig enttäuscht worden sind wir aber, wie gesagt, durch die Leistung des Schriftstellers. Wir wissen freilich, daß es nicht üblich ist, den Text derartiger „Prachtwerke" einer ernstlichen Kritik zu unterziehen; in der Regel wird ja nur uach den Bildern gefragt. Aber der Text ist doch wohl dazu da, daß er gelesen wird. Oder soll er den Bildern bloß als typographische Folie dienen? Dann könnte man ja auch Alphabete in verschiedenen Schriftgattungen, Annoncen oder sonst etwas als Rahmen um die Bilder drucken. Daß nnter hundert Käu¬ fern eines „Prachtwerkes" kaum zehn den Text desselben aufmerksam vou Anfang bis zu Ende lesen — schon wegen des unhandlicher Formates —, ist freilich eine Thatsache; die meisten werden in dem unbequemen Bande dann und wann ein Stündchen blättern, die Bilder betrachten und hie und da am Texte naschen. Trotzdem muß aber doch wohl auf die kleine Zahl derer Rücksicht genommen werden, die sich die Mühe nehmen, das Buch zu ihrer Belehrung durchzulesen. Was bietet also Simons dieser kleinen, gewissenhaften Leserschaar? Vor allem zeigt sichs hier wieder einmal recht deutlich, welch ein großer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/122>, abgerufen am 22.07.2024.