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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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dem Feinde nicht versagt wird, wenn die Situation das höchste, das Leben selbst,
in Frage stellt, "der wenn der Tod besonders überwältigend und erschütternd
auftritt. Beide Richtungen sind in hervorragender Weise vertreten: jene in den
niederfallenden Galliern, diese in den wie vom Blitze getroffenen niedergestürzten,
dem Giganten, dein griechischen Pergamener und der Amazone. Dieser un¬
mittelbare, entsetzliche Eindruck des Todes wird noch dnrch die bis aufs Aeußerste
getriebene Naturwahrheit erhöht, die uns weder die Wunden noch das rinnende
Blut erspart, die uus namentlich in dem sich langsam und abgewendet vom
Kampfe verbindenden Gallier ein ergreifendes Schallspiel zeigt, die es liebt die
Gegensätze scharf nebeneinander zu stellen, wie bei der Amazone, deren blutende
Wunde auf der in fast überkräftiger Lebensfülle schwellenden nackten rechten
Brust klafft. Noch mehr jedoch mußte die Sympathie geweckt werden, wenn
diese Mittel bei solchen angewendet wurden, welche voll vornherein als die
Vertheidiger gegen die eindringende Barbarei Anspruch auf Theilnahme hatten,
wie es in dein todt hingestreckt liegenden, durch und durchgebohrten, aus doppelter
Wunde blutenden Pergamener geschehen ist. Nehmen wir noch hinzu, daß auch
die sanftere Wehmuth des langsam siegenden, schließlich als Erlöser erscheinenden
Todes in dem sterbenden Gallier und in dem wie zum Schlafe hingesunkenen
Perser einen ergreifenden Ausdruck gefunden hat, so sehen wir, daß selbst in
den wenigen erhaltenen Resten eine reiche Scala innerhalb der Mittel unser
Mitgefühl zu erwecken sich ergiebt, und wir dürfen um so mehr annehmen, daß
auch bei den unversehrten Gruppen diese Seite der Schmerzerregnng in der
Empfindung des Beschauers entschieden als bewußte Absicht beim Künstler
vorhanden war, als sich gerade nach dieser Seite hin in der Ausführung ein
bedeutendes Geschick desselben zeigt. Ist aber diese Absicht die der Erregung
einer tragischen Enipfiuduug gewesen, so entspricht ihr die Wirkung nicht in
vollem Maße. Wer in die Schlacht zieht, zumal als Angreifer, giebt seineu
Anspruch auf Berechtigung zum Leben auf. Fällt er, so erfüllt sich das im
voraus als möglich gekannte Geschick, und nur ganz besondere Nebenumstände
könnten dieses Geschick zu einem tragischen machen. Vielmehr hat gerade der
Schlachtentod etwas Versöhnendes, da der Vertheidiger seines Rechtes -- und
dafür hält sich schließlich jeder Kampfer -- im Dienste eines höheren Zweckes,
eines Ideales steht. Diesem gegenüber hat aber das Individuum keinen Werth.
Indem es sich selbst aufgiebt und dem Untergange aussetzt, ordnet es sich dem
Allgemeinen nnter, und eine einseitige, nur subjectiv berechtigte Betonung heikler
Eigenart wird unmöglich. Damit ist aber gerade das Element ausgeschlossen,
welches das Tragische begründet. Es bleibt somit nur das allgemeinnienschliche
Mitleid übrig, das tiur dnrch die besondere Art des Untergangs etwas dem
individuellen Interesse Aehnliches gewinnen kann, ohne dieses selbst zu erreichen.


dem Feinde nicht versagt wird, wenn die Situation das höchste, das Leben selbst,
in Frage stellt, »der wenn der Tod besonders überwältigend und erschütternd
auftritt. Beide Richtungen sind in hervorragender Weise vertreten: jene in den
niederfallenden Galliern, diese in den wie vom Blitze getroffenen niedergestürzten,
dem Giganten, dein griechischen Pergamener und der Amazone. Dieser un¬
mittelbare, entsetzliche Eindruck des Todes wird noch dnrch die bis aufs Aeußerste
getriebene Naturwahrheit erhöht, die uns weder die Wunden noch das rinnende
Blut erspart, die uus namentlich in dem sich langsam und abgewendet vom
Kampfe verbindenden Gallier ein ergreifendes Schallspiel zeigt, die es liebt die
Gegensätze scharf nebeneinander zu stellen, wie bei der Amazone, deren blutende
Wunde auf der in fast überkräftiger Lebensfülle schwellenden nackten rechten
Brust klafft. Noch mehr jedoch mußte die Sympathie geweckt werden, wenn
diese Mittel bei solchen angewendet wurden, welche voll vornherein als die
Vertheidiger gegen die eindringende Barbarei Anspruch auf Theilnahme hatten,
wie es in dein todt hingestreckt liegenden, durch und durchgebohrten, aus doppelter
Wunde blutenden Pergamener geschehen ist. Nehmen wir noch hinzu, daß auch
die sanftere Wehmuth des langsam siegenden, schließlich als Erlöser erscheinenden
Todes in dem sterbenden Gallier und in dem wie zum Schlafe hingesunkenen
Perser einen ergreifenden Ausdruck gefunden hat, so sehen wir, daß selbst in
den wenigen erhaltenen Resten eine reiche Scala innerhalb der Mittel unser
Mitgefühl zu erwecken sich ergiebt, und wir dürfen um so mehr annehmen, daß
auch bei den unversehrten Gruppen diese Seite der Schmerzerregnng in der
Empfindung des Beschauers entschieden als bewußte Absicht beim Künstler
vorhanden war, als sich gerade nach dieser Seite hin in der Ausführung ein
bedeutendes Geschick desselben zeigt. Ist aber diese Absicht die der Erregung
einer tragischen Enipfiuduug gewesen, so entspricht ihr die Wirkung nicht in
vollem Maße. Wer in die Schlacht zieht, zumal als Angreifer, giebt seineu
Anspruch auf Berechtigung zum Leben auf. Fällt er, so erfüllt sich das im
voraus als möglich gekannte Geschick, und nur ganz besondere Nebenumstände
könnten dieses Geschick zu einem tragischen machen. Vielmehr hat gerade der
Schlachtentod etwas Versöhnendes, da der Vertheidiger seines Rechtes — und
dafür hält sich schließlich jeder Kampfer — im Dienste eines höheren Zweckes,
eines Ideales steht. Diesem gegenüber hat aber das Individuum keinen Werth.
Indem es sich selbst aufgiebt und dem Untergange aussetzt, ordnet es sich dem
Allgemeinen nnter, und eine einseitige, nur subjectiv berechtigte Betonung heikler
Eigenart wird unmöglich. Damit ist aber gerade das Element ausgeschlossen,
welches das Tragische begründet. Es bleibt somit nur das allgemeinnienschliche
Mitleid übrig, das tiur dnrch die besondere Art des Untergangs etwas dem
individuellen Interesse Aehnliches gewinnen kann, ohne dieses selbst zu erreichen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/110>, abgerufen am 22.07.2024.