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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Insofern werden auch die nationalen Freihändler, oder wenn man will die
Schutzzöllner das Tabaksmonopol mit Freuden begrüßen können, ohne fürchten
zu müssen, daß dadurch die Zwecke nationaler Handelspolitik Aufschub erleiden
könnten. Im Gegentheil, die Gegner werden durch die practische Anwendung
ein schnelleres Verständniß gewinnen, und wie der Entstehungsgrund für die
Tabakssteuer die Nothwendigkeit ist, vermehrte Einnahmen zu schaffen, so wird
der Motor für die Retorsionszölle, für das practische Streben nach Gegenseitigkeit,
nach naturgemäßer Ausgleichung die Erkenntniß sein: Gegenseitigkeit ist ein
integrirender Bestandtheil des Begriffes der internationalen Arbeitstheilung, ein
mInMizns derselben. Die internationale Arbeitstheilung ohne Gegenseitigkeit
führt logisch zur Negation des Staates und zur Posse des Individualismus
auf kosmopolitischer Gesellschaftsgrundlage, sie negirt das wirklich Gegebene und
muß dennoch damit rechnen. Die Volkswirthschaft will aber nicht Individuen
erziehen und beglücken, sondern ihr Ziel ist, wie List sehr wahr sagt, "den
tüchtigsten Bürger, den besten, dauerhaftesten Staat, die mächtigste, angesehenste
Nation zu produciren." Sobald sich aber die internationalen Freihändler überzeugt
haben werden, daß der Staat die productive Kraft des Landes und nicht ein
exclusives Interesse der Producenten schützen und entwickeln, sondern vor Allem
im allgemeinen nationalökonomischen Interesse für die Gesammtheit der Staats¬
bürger, und nicht im Geringsten anch im Interesse der Consumenten wirken muß,
so werden sie die Forderung der Gegenseitigkeit begreiflicher finden.

Wir glauben auch bei der Erziehung der Individuen mit Recht den Schwer¬
punkt auf die Entwicklung ihrer productiven Kräfte legen zu müssen, wir glauben
für unsere Kinder nicht baun schon ausgiebig gesorgt zu haben, wenn wir ihnen
soviel Vermögen hinterlassen, daß ihr Cousum, soweit derselbe zum nöthigen
oder angenehmen Lebensunterhalte dient, gesichert ist, denn das aus dem Consum
reciprok fließende geringe Quantum von Production kaun uns nicht genügen,
sondern wir erachten es als das höchste Ziel unserer Erziehungskunst, aus
unsern Kindern Leute zu machen, welche dnrch ihre Production uicht allein für
sich, sondern zugleich für viele Andere, für den Staat, für die Menschheit leben
und wirken können.

Die Aufgabe der deutschen Handelspolitik ist somit eine dreifache: 1) Ver¬
mehrung der Cousumfähigkeit durch Erweiterung des Absatzgebietes, also Er¬
strebung von Gegenseitigkeit; 2) Vergrößerung der Staatseinnahmen; 3) Schutz
und Entwicklung der vaterländischen productiven Kräfte, und dahin gehört
durchaus nicht in erster Reihe der Schutz bestimmter Industrien, sondern vor
Allem gehören dahin die großen Aufgaben des Verkehrs und des Creditwesens,
Eisenbahn- und Canalbau (Secundärbahnen), neues Creditsystem auf Cassa¬
zahlung, Lcmdesmltnr, staatliche Arbeits- und Gewerbereform im Lehrlings-


Insofern werden auch die nationalen Freihändler, oder wenn man will die
Schutzzöllner das Tabaksmonopol mit Freuden begrüßen können, ohne fürchten
zu müssen, daß dadurch die Zwecke nationaler Handelspolitik Aufschub erleiden
könnten. Im Gegentheil, die Gegner werden durch die practische Anwendung
ein schnelleres Verständniß gewinnen, und wie der Entstehungsgrund für die
Tabakssteuer die Nothwendigkeit ist, vermehrte Einnahmen zu schaffen, so wird
der Motor für die Retorsionszölle, für das practische Streben nach Gegenseitigkeit,
nach naturgemäßer Ausgleichung die Erkenntniß sein: Gegenseitigkeit ist ein
integrirender Bestandtheil des Begriffes der internationalen Arbeitstheilung, ein
mInMizns derselben. Die internationale Arbeitstheilung ohne Gegenseitigkeit
führt logisch zur Negation des Staates und zur Posse des Individualismus
auf kosmopolitischer Gesellschaftsgrundlage, sie negirt das wirklich Gegebene und
muß dennoch damit rechnen. Die Volkswirthschaft will aber nicht Individuen
erziehen und beglücken, sondern ihr Ziel ist, wie List sehr wahr sagt, „den
tüchtigsten Bürger, den besten, dauerhaftesten Staat, die mächtigste, angesehenste
Nation zu produciren." Sobald sich aber die internationalen Freihändler überzeugt
haben werden, daß der Staat die productive Kraft des Landes und nicht ein
exclusives Interesse der Producenten schützen und entwickeln, sondern vor Allem
im allgemeinen nationalökonomischen Interesse für die Gesammtheit der Staats¬
bürger, und nicht im Geringsten anch im Interesse der Consumenten wirken muß,
so werden sie die Forderung der Gegenseitigkeit begreiflicher finden.

Wir glauben auch bei der Erziehung der Individuen mit Recht den Schwer¬
punkt auf die Entwicklung ihrer productiven Kräfte legen zu müssen, wir glauben
für unsere Kinder nicht baun schon ausgiebig gesorgt zu haben, wenn wir ihnen
soviel Vermögen hinterlassen, daß ihr Cousum, soweit derselbe zum nöthigen
oder angenehmen Lebensunterhalte dient, gesichert ist, denn das aus dem Consum
reciprok fließende geringe Quantum von Production kaun uns nicht genügen,
sondern wir erachten es als das höchste Ziel unserer Erziehungskunst, aus
unsern Kindern Leute zu machen, welche dnrch ihre Production uicht allein für
sich, sondern zugleich für viele Andere, für den Staat, für die Menschheit leben
und wirken können.

Die Aufgabe der deutschen Handelspolitik ist somit eine dreifache: 1) Ver¬
mehrung der Cousumfähigkeit durch Erweiterung des Absatzgebietes, also Er¬
strebung von Gegenseitigkeit; 2) Vergrößerung der Staatseinnahmen; 3) Schutz
und Entwicklung der vaterländischen productiven Kräfte, und dahin gehört
durchaus nicht in erster Reihe der Schutz bestimmter Industrien, sondern vor
Allem gehören dahin die großen Aufgaben des Verkehrs und des Creditwesens,
Eisenbahn- und Canalbau (Secundärbahnen), neues Creditsystem auf Cassa¬
zahlung, Lcmdesmltnr, staatliche Arbeits- und Gewerbereform im Lehrlings-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/105>, abgerufen am 03.07.2024.