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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Das Ministergewerbe greift im heutigen Preußen an, es werden dabei
viel Nerven verbraucht. Die Herren, die es betreiben, müssen robuste Naturen
sein und viel Gleichmuth und patriotische Opferfreudigkeit besitzen, sonst halten
sie es auf die Dauer nicht aus, und bisweilen sterben sie sogar daran wie
der Graf Brandenburg nach den Vorgängen in Warschau und Olmütz, an die
man sich in dem vorigen Monate erinnert fand. Manteuffel freilich -- wir
meinen den, der nach Olmütz ging und unterwegs in der Stimmung war, die
aufgehende Sonne mit einem Verse aus Sophokles emphatischer Freude voll
zu apostrophiren -- war dauerbarer. Aber früher hatte man schon drei
Minister, darunter Canitz, geisteskrank werden sehen, und jetzt geht man wohl nicht
irre, wenn man den Grund, welcher den letzten Vorstand des Departements des
Kultus und Unterrichts veranlaßte, seine Entlassung zu erbitten, in Erschöpfung
durch oft vergebliches Bemühen und Verdruß darüber, daß Maßregeln, die er
vorbereitet und befürwortet, stetem Widerstande von oben her begegneten, er¬
blicken zu dürfen glaubt. Auch in diesem Falle darf man mit Bestimmtheit
annehmen, daß die Schwierigkeiten, die sich dem Minister in den Weg stellten,
nicht vom Reichskanzler ausgingen, der ihm vielmehr von Anfang bis zu Ende
zur Seite gestanden und seinen Entschluß zu verhindern versucht hat. In
anderen Ressorts gab es solches vergebliches Arbeiten, solches Haltmachen¬
müssen vor Widerstand schwer zu überwindender Art und solches Sichaufreiben
an Hindernissen weniger oder gar nicht, ausgenommen im Auswärtigen Amte,
wo die Friktionen, welchen der Betreffende in seiner Stellung vor Rücksichten
auf das politische Bedürfniß des Reiches, auf seine Verantwortlichkeit vor dem
Reichstage und auf die Auffassung der jeweiligen Sachlage von Seiten des
Souverains ausgesetzt war, der Natur der Dinge nach stärker als anderwärts
wirken mußten. Fürst Bismarck hat dies, wie bekannt, reichlich zu empfinden
gehabt, auch in diesem Sommer, und der daran endlich erkrankte Staatssekretär
desgleichen.

Wir stellen uns die Meinung des Reichskanzlers in Betreff der aus¬
wärtigen Frage, die in der erwähnten Zeit die erste Stelle einnahm, ungefähr
folgendermaßen vor. In Rußland wurde nach dem Frieden von neuem ge¬
rüstet und zwar ganz gewaltig. Man hat Anstalten getroffen, das Heer um cirea
Viermalhunderttausend Mann, d. h. um etwa soviel zu vermehren, wie die ge¬
stimmte deutsche Wehrkraft im Frieden beträgt. Man wird im Falle eines
neuen Krieges -- seit mit 75000 Mann die Cadres geschaffen sind -- vier¬
undzwanzig neue Divisionen aufstellen können, das sind zwölf Armeecorps.
Nicht fern von der Westgrenze ferner stehen Massen von Reiterei, mit der man
in drei Tagen bei uns sein konnte. Gegen wen sind diese Rüstungen ge¬
richtet? In Rußland sagen sie (schon in öffentlichen Blättern), Konstantinopel


Das Ministergewerbe greift im heutigen Preußen an, es werden dabei
viel Nerven verbraucht. Die Herren, die es betreiben, müssen robuste Naturen
sein und viel Gleichmuth und patriotische Opferfreudigkeit besitzen, sonst halten
sie es auf die Dauer nicht aus, und bisweilen sterben sie sogar daran wie
der Graf Brandenburg nach den Vorgängen in Warschau und Olmütz, an die
man sich in dem vorigen Monate erinnert fand. Manteuffel freilich — wir
meinen den, der nach Olmütz ging und unterwegs in der Stimmung war, die
aufgehende Sonne mit einem Verse aus Sophokles emphatischer Freude voll
zu apostrophiren — war dauerbarer. Aber früher hatte man schon drei
Minister, darunter Canitz, geisteskrank werden sehen, und jetzt geht man wohl nicht
irre, wenn man den Grund, welcher den letzten Vorstand des Departements des
Kultus und Unterrichts veranlaßte, seine Entlassung zu erbitten, in Erschöpfung
durch oft vergebliches Bemühen und Verdruß darüber, daß Maßregeln, die er
vorbereitet und befürwortet, stetem Widerstande von oben her begegneten, er¬
blicken zu dürfen glaubt. Auch in diesem Falle darf man mit Bestimmtheit
annehmen, daß die Schwierigkeiten, die sich dem Minister in den Weg stellten,
nicht vom Reichskanzler ausgingen, der ihm vielmehr von Anfang bis zu Ende
zur Seite gestanden und seinen Entschluß zu verhindern versucht hat. In
anderen Ressorts gab es solches vergebliches Arbeiten, solches Haltmachen¬
müssen vor Widerstand schwer zu überwindender Art und solches Sichaufreiben
an Hindernissen weniger oder gar nicht, ausgenommen im Auswärtigen Amte,
wo die Friktionen, welchen der Betreffende in seiner Stellung vor Rücksichten
auf das politische Bedürfniß des Reiches, auf seine Verantwortlichkeit vor dem
Reichstage und auf die Auffassung der jeweiligen Sachlage von Seiten des
Souverains ausgesetzt war, der Natur der Dinge nach stärker als anderwärts
wirken mußten. Fürst Bismarck hat dies, wie bekannt, reichlich zu empfinden
gehabt, auch in diesem Sommer, und der daran endlich erkrankte Staatssekretär
desgleichen.

Wir stellen uns die Meinung des Reichskanzlers in Betreff der aus¬
wärtigen Frage, die in der erwähnten Zeit die erste Stelle einnahm, ungefähr
folgendermaßen vor. In Rußland wurde nach dem Frieden von neuem ge¬
rüstet und zwar ganz gewaltig. Man hat Anstalten getroffen, das Heer um cirea
Viermalhunderttausend Mann, d. h. um etwa soviel zu vermehren, wie die ge¬
stimmte deutsche Wehrkraft im Frieden beträgt. Man wird im Falle eines
neuen Krieges — seit mit 75000 Mann die Cadres geschaffen sind — vier¬
undzwanzig neue Divisionen aufstellen können, das sind zwölf Armeecorps.
Nicht fern von der Westgrenze ferner stehen Massen von Reiterei, mit der man
in drei Tagen bei uns sein konnte. Gegen wen sind diese Rüstungen ge¬
richtet? In Rußland sagen sie (schon in öffentlichen Blättern), Konstantinopel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/95>, abgerufen am 03.07.2024.