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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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ausgeschlossen, deren Bewohner ausschließlich dem hellenischen Stamme ange¬
hören. Das Kabinet des Königs Georgios hat mit vollem Rechte wiederholt
darauf hingewiesen, daß es die Sympathie der Griechen für Thessalien un¬
möglich unterdrücken dürfe, und daß es die Unterthanen des Königs trotz seiner
Bereitwilligkeit, den internationalen Verpflichtungen seiner Regierung nachzu¬
kommen, nicht hindern könne, den stammverwandten Nachbarn bewaffnet Hilfe
zu leisten. Das ist aber umsomehr zu beklagen, als es der Türkei eine gute
Regierung in Thessalien erschwert und ihr zugleich sehr bedeutende Opfer für
militärische Zwecke auferlegt. So würde es wohl schon längst zu einem billigen
Ausgleiche in Betreff Thessaliens gekommen sein, wenn die Griechen nicht
weitere Ansprüche erhoben und bis jetzt hartnäckig festgehalten Hütten.

Der Streit dreht sich nämlich jetzt fast allein um das südliche Epirus
und, näher betrachtet, um die Stadt Janina und ihr Gebiet sowie um deu
Distrikt von Prevesa. Das Kabinet von Athen hat allerdings eine gewisse
Berechtigung, wenn es auf diese Städte und Landstriche Anspruch macht. Es
stützt sich auf die Beschlüsse des Berliner Kongresses, der bezüglich seines Vor¬
schlags wegen einer neuen Abgrenzung des griechischen Gebietes dem Antrage
Waddingtons auf Abtretung des südlichen Epirus an das Königreich Hellas
beistimmte. Die Pforte will aber darauf nicht eingehen, und die Mehrzahl
der Einwohner dieser Distrikte, aus Albanesen bestehend, hat sich mit größter
Energie an ihre Seite gestellt. Letztere haben sich, von Konstantinopel her
unterstützt, zu kräftigem Widerstande organisirt und scheinen entschlossen, einer
Besitzergreifung von Seiten Griechenlands Widerstand zu leisten.

Sie machen gegen die Abtretung ihres Grenzdistrikts an das Königreich
Hellas, wie in den verschiedenen von ihnen eingereichten Denkschriften ausein-
andergesetzt ist, geltend, daß nationale, strategische und wirthschaftliche Gründe
dagegen sprechen. Sie heben zunächst hervor, daß die Bevölkerung des in Rede
stehenden Gebiets nachweislich vorwiegend albanesisch und nicht hellenisch ist
(was freilich nicht viel bedeuten will, da das Volk in Griechenland bis vor
die Thore Athens vor nicht langer Zeit, d. h. bis 1858, noch albanesisch sprach),
daß die Abtretung der Grenzgaue ganz Südalbauien für jede Invasion zu¬
gänglich machen würde, und daß der Verlust der Thalniederungen für die fast
ausschließlich auf Viehzucht, vorzüglich Schafzucht, angewiesenen Bergbewohner
Albaniens einer Verurtheilung zum Hungertode gleichkommen würde, da sie
ihre Heerden im Winter nur auf den Weidegründen jener Niederungen zu er¬
halten im Stande wären.

Darin liegt entschieden Wahres. Die Landschaft Epirus besitzt im Süden
eine Bevölkerung, die aus Griechen und Albanesen gemischt ist. Griechen reinen
Blutes bilden die Mehrzahl nur in der Gegend von sull und dann längs der


ausgeschlossen, deren Bewohner ausschließlich dem hellenischen Stamme ange¬
hören. Das Kabinet des Königs Georgios hat mit vollem Rechte wiederholt
darauf hingewiesen, daß es die Sympathie der Griechen für Thessalien un¬
möglich unterdrücken dürfe, und daß es die Unterthanen des Königs trotz seiner
Bereitwilligkeit, den internationalen Verpflichtungen seiner Regierung nachzu¬
kommen, nicht hindern könne, den stammverwandten Nachbarn bewaffnet Hilfe
zu leisten. Das ist aber umsomehr zu beklagen, als es der Türkei eine gute
Regierung in Thessalien erschwert und ihr zugleich sehr bedeutende Opfer für
militärische Zwecke auferlegt. So würde es wohl schon längst zu einem billigen
Ausgleiche in Betreff Thessaliens gekommen sein, wenn die Griechen nicht
weitere Ansprüche erhoben und bis jetzt hartnäckig festgehalten Hütten.

Der Streit dreht sich nämlich jetzt fast allein um das südliche Epirus
und, näher betrachtet, um die Stadt Janina und ihr Gebiet sowie um deu
Distrikt von Prevesa. Das Kabinet von Athen hat allerdings eine gewisse
Berechtigung, wenn es auf diese Städte und Landstriche Anspruch macht. Es
stützt sich auf die Beschlüsse des Berliner Kongresses, der bezüglich seines Vor¬
schlags wegen einer neuen Abgrenzung des griechischen Gebietes dem Antrage
Waddingtons auf Abtretung des südlichen Epirus an das Königreich Hellas
beistimmte. Die Pforte will aber darauf nicht eingehen, und die Mehrzahl
der Einwohner dieser Distrikte, aus Albanesen bestehend, hat sich mit größter
Energie an ihre Seite gestellt. Letztere haben sich, von Konstantinopel her
unterstützt, zu kräftigem Widerstande organisirt und scheinen entschlossen, einer
Besitzergreifung von Seiten Griechenlands Widerstand zu leisten.

Sie machen gegen die Abtretung ihres Grenzdistrikts an das Königreich
Hellas, wie in den verschiedenen von ihnen eingereichten Denkschriften ausein-
andergesetzt ist, geltend, daß nationale, strategische und wirthschaftliche Gründe
dagegen sprechen. Sie heben zunächst hervor, daß die Bevölkerung des in Rede
stehenden Gebiets nachweislich vorwiegend albanesisch und nicht hellenisch ist
(was freilich nicht viel bedeuten will, da das Volk in Griechenland bis vor
die Thore Athens vor nicht langer Zeit, d. h. bis 1858, noch albanesisch sprach),
daß die Abtretung der Grenzgaue ganz Südalbauien für jede Invasion zu¬
gänglich machen würde, und daß der Verlust der Thalniederungen für die fast
ausschließlich auf Viehzucht, vorzüglich Schafzucht, angewiesenen Bergbewohner
Albaniens einer Verurtheilung zum Hungertode gleichkommen würde, da sie
ihre Heerden im Winter nur auf den Weidegründen jener Niederungen zu er¬
halten im Stande wären.

Darin liegt entschieden Wahres. Die Landschaft Epirus besitzt im Süden
eine Bevölkerung, die aus Griechen und Albanesen gemischt ist. Griechen reinen
Blutes bilden die Mehrzahl nur in der Gegend von sull und dann längs der


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[0086] ausgeschlossen, deren Bewohner ausschließlich dem hellenischen Stamme ange¬ hören. Das Kabinet des Königs Georgios hat mit vollem Rechte wiederholt darauf hingewiesen, daß es die Sympathie der Griechen für Thessalien un¬ möglich unterdrücken dürfe, und daß es die Unterthanen des Königs trotz seiner Bereitwilligkeit, den internationalen Verpflichtungen seiner Regierung nachzu¬ kommen, nicht hindern könne, den stammverwandten Nachbarn bewaffnet Hilfe zu leisten. Das ist aber umsomehr zu beklagen, als es der Türkei eine gute Regierung in Thessalien erschwert und ihr zugleich sehr bedeutende Opfer für militärische Zwecke auferlegt. So würde es wohl schon längst zu einem billigen Ausgleiche in Betreff Thessaliens gekommen sein, wenn die Griechen nicht weitere Ansprüche erhoben und bis jetzt hartnäckig festgehalten Hütten. Der Streit dreht sich nämlich jetzt fast allein um das südliche Epirus und, näher betrachtet, um die Stadt Janina und ihr Gebiet sowie um deu Distrikt von Prevesa. Das Kabinet von Athen hat allerdings eine gewisse Berechtigung, wenn es auf diese Städte und Landstriche Anspruch macht. Es stützt sich auf die Beschlüsse des Berliner Kongresses, der bezüglich seines Vor¬ schlags wegen einer neuen Abgrenzung des griechischen Gebietes dem Antrage Waddingtons auf Abtretung des südlichen Epirus an das Königreich Hellas beistimmte. Die Pforte will aber darauf nicht eingehen, und die Mehrzahl der Einwohner dieser Distrikte, aus Albanesen bestehend, hat sich mit größter Energie an ihre Seite gestellt. Letztere haben sich, von Konstantinopel her unterstützt, zu kräftigem Widerstande organisirt und scheinen entschlossen, einer Besitzergreifung von Seiten Griechenlands Widerstand zu leisten. Sie machen gegen die Abtretung ihres Grenzdistrikts an das Königreich Hellas, wie in den verschiedenen von ihnen eingereichten Denkschriften ausein- andergesetzt ist, geltend, daß nationale, strategische und wirthschaftliche Gründe dagegen sprechen. Sie heben zunächst hervor, daß die Bevölkerung des in Rede stehenden Gebiets nachweislich vorwiegend albanesisch und nicht hellenisch ist (was freilich nicht viel bedeuten will, da das Volk in Griechenland bis vor die Thore Athens vor nicht langer Zeit, d. h. bis 1858, noch albanesisch sprach), daß die Abtretung der Grenzgaue ganz Südalbauien für jede Invasion zu¬ gänglich machen würde, und daß der Verlust der Thalniederungen für die fast ausschließlich auf Viehzucht, vorzüglich Schafzucht, angewiesenen Bergbewohner Albaniens einer Verurtheilung zum Hungertode gleichkommen würde, da sie ihre Heerden im Winter nur auf den Weidegründen jener Niederungen zu er¬ halten im Stande wären. Darin liegt entschieden Wahres. Die Landschaft Epirus besitzt im Süden eine Bevölkerung, die aus Griechen und Albanesen gemischt ist. Griechen reinen Blutes bilden die Mehrzahl nur in der Gegend von sull und dann längs der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/86>, abgerufen am 23.07.2024.