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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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irrslZönts. It-üia an die Seite, man trachtet nach Chimären, man macht impo¬
tente Anstrengungen und läuft Gefahr, lächerlich zu werden, so ziemlich das
Schlimmste, was einer Nation Passiren kann.

Damit ist nicht gesagt, daß die Ansprüche, die Griechenland auf eine Er¬
weiterung seiner Grenzen nach Norden hin erhebt, in allen Stücken unbillig
und deshalb zurückzuweisen wären. Ein großer Theil derselben ist vielmehr
wohlberechtigt und somit nicht blos vom Berliner Kongreß, sondern nach diesem
speziell und besonders lebhaft von Frankreich, dann auch von England befür¬
wortet worden, und eine Verständigung in dieser Frage, nach deren Erledigung
der Berliner Vertrag in allen wesentlichen Punkten ausgeführt sein würde, ist
nur deshalb noch nicht erfolgt, weil auf der einen Seite der Sultan sich lange
Zeit gegen jede Bewilligung sträubte und ans der andern die Griechen ihm
zuviel zumutheten und Abtretungen verlangten, die nicht blos gegen das türki¬
sche, sondern auch gegen das europäische Interesse verstießen.

In Folge des Friedens von Adrianopel wurden die durch den Londoner
Vertrag von 1829 zu eng gesteckten Grenzen Griechenlands mit dem Protokoll
vom 3. Februar 1830 zum ersten Male erweitert. Das Land, erst jetzt ein
unabhängiges Königreich geworden, erhielt die Inseln Negroponte und Skiro,
sowie die Cykladen, und seine Nordgrenze fiel mit einer Linie zusammen, die
vom Ausfluß des Aspropotamo (des Acheloos der Alten) über Vrachori nach
dem Golfe von Zeitun gezogen wurde. 1832 wurde diese Landgrenze noch
weiter nach Norden gerückt, so daß sie bis an die Meerbusen von Arka und
Volo reichte. Aber auch das war den Griechen zu wenig. Sie verlangten
zunächst weitere Landstriche im Norden, dann Kreta, und die öffentliche Mei¬
nung schwärmte von einem Großgriechenland, welches auch die Sporaden und
neben Epirus und Thessalien auch Mazedonien umfassen und zuletzt alle Land¬
schaften der Türkei annektiren sollte, wo Hellenen die Mehrzahl oder auch nur
eine starke Minorität der Bevölkerung bildeten, wobei Exaltirten selbst Kon¬
stantinopel vorschwebte. Daher außer kleineren Versuchen, die Grenze mit Ge¬
walt weiter hinauszuschieben, 1854 während des Krimkriegs Rüstungen in Athen
gegen die Pforte, die durch Einschreiten der Westmächte und Besetzung des
Piräus seitens der Franzosen vereitelt wurden. Daher 1866 bis 1868 die
offene Unterstützung des kretischen Aufstandes gegen die türkische Herrschaft
durch die griechische Regierung, ein völkerrechtswidriges Verfahren, welches zum
Kriege mit der Pforte geführt haben würde, wenn der Kongreß, der auf Preu¬
ßens Vorschlag im Januar 1869 zu Paris zusammentrat und den Griechen
Ruhe gebot, den Streit nicht beigelegt hätte. Daher endlich während des letzten
russisch - türkischen Krieges neue Rüstungen Griechenlands und Einmarsch ins
südliche Thessalien, wo der Aufstand der dort wohnenden Griechen begonnen


irrslZönts. It-üia an die Seite, man trachtet nach Chimären, man macht impo¬
tente Anstrengungen und läuft Gefahr, lächerlich zu werden, so ziemlich das
Schlimmste, was einer Nation Passiren kann.

Damit ist nicht gesagt, daß die Ansprüche, die Griechenland auf eine Er¬
weiterung seiner Grenzen nach Norden hin erhebt, in allen Stücken unbillig
und deshalb zurückzuweisen wären. Ein großer Theil derselben ist vielmehr
wohlberechtigt und somit nicht blos vom Berliner Kongreß, sondern nach diesem
speziell und besonders lebhaft von Frankreich, dann auch von England befür¬
wortet worden, und eine Verständigung in dieser Frage, nach deren Erledigung
der Berliner Vertrag in allen wesentlichen Punkten ausgeführt sein würde, ist
nur deshalb noch nicht erfolgt, weil auf der einen Seite der Sultan sich lange
Zeit gegen jede Bewilligung sträubte und ans der andern die Griechen ihm
zuviel zumutheten und Abtretungen verlangten, die nicht blos gegen das türki¬
sche, sondern auch gegen das europäische Interesse verstießen.

In Folge des Friedens von Adrianopel wurden die durch den Londoner
Vertrag von 1829 zu eng gesteckten Grenzen Griechenlands mit dem Protokoll
vom 3. Februar 1830 zum ersten Male erweitert. Das Land, erst jetzt ein
unabhängiges Königreich geworden, erhielt die Inseln Negroponte und Skiro,
sowie die Cykladen, und seine Nordgrenze fiel mit einer Linie zusammen, die
vom Ausfluß des Aspropotamo (des Acheloos der Alten) über Vrachori nach
dem Golfe von Zeitun gezogen wurde. 1832 wurde diese Landgrenze noch
weiter nach Norden gerückt, so daß sie bis an die Meerbusen von Arka und
Volo reichte. Aber auch das war den Griechen zu wenig. Sie verlangten
zunächst weitere Landstriche im Norden, dann Kreta, und die öffentliche Mei¬
nung schwärmte von einem Großgriechenland, welches auch die Sporaden und
neben Epirus und Thessalien auch Mazedonien umfassen und zuletzt alle Land¬
schaften der Türkei annektiren sollte, wo Hellenen die Mehrzahl oder auch nur
eine starke Minorität der Bevölkerung bildeten, wobei Exaltirten selbst Kon¬
stantinopel vorschwebte. Daher außer kleineren Versuchen, die Grenze mit Ge¬
walt weiter hinauszuschieben, 1854 während des Krimkriegs Rüstungen in Athen
gegen die Pforte, die durch Einschreiten der Westmächte und Besetzung des
Piräus seitens der Franzosen vereitelt wurden. Daher 1866 bis 1868 die
offene Unterstützung des kretischen Aufstandes gegen die türkische Herrschaft
durch die griechische Regierung, ein völkerrechtswidriges Verfahren, welches zum
Kriege mit der Pforte geführt haben würde, wenn der Kongreß, der auf Preu¬
ßens Vorschlag im Januar 1869 zu Paris zusammentrat und den Griechen
Ruhe gebot, den Streit nicht beigelegt hätte. Daher endlich während des letzten
russisch - türkischen Krieges neue Rüstungen Griechenlands und Einmarsch ins
südliche Thessalien, wo der Aufstand der dort wohnenden Griechen begonnen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/84>, abgerufen am 23.07.2024.