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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Es dunkelte. Kleine Feuer flammten über die ganze Steppe und warfen
ihre rothen Lichter über die glatte Wasserfläche. Kläglich blökten die Schafe,
die zur Tränke getrieben wurden, die Pferde wieherten laut, mit heiserem Ge¬
brüll schwankten die Kameele daher. "So, hier machen wir Halt", sagte
Hassan und hielt sein Pferd hart am Flußufer, an der Grenze des großen
turkomanischen Lagerplatzes, an. Der Hunger quälte mich entsetzlich; außer
dem "Krut", den ich beim letzten Nachtlager mit dem Wasser geschlürft, batie
ich thatsächlich nichts im Magen. Meine Peiniger hatten mich offenbar ganz
vergessen, sie saßen ruhig auf dem Sande um ein kleines Feuer, auf dem ein
flacher eiserner Kessel kochte, und warfen keinen Blick zu mir herüber. Mich
hatten sie zwischen zwei Schläuchen niedergelegt. Zwei Schritte von mir lag
schnarchend ein haariger Kameelskopf und strömte einen abscheulichen Geruch
aus, während er langsam seinen grünen Speisebrei wiederkäute. Ich hatte nur
einen kleinen dreieckigen Raum vor Augen, alles andere war mir durch die
Schläuche verdeckt.

"He, Hassan!" rief ich entschlossen einem der am Feuer sitzenden Räuber
zu. Dieser wußte offenbar nicht gleich, woher die Stimme kam. Ich wieder¬
holte meinen Ruf. "So, du dises?" lachte Hassan. "Was willst du?" Er
stand auf, trat mit ungeschickten Schritten, da ihm seine spitzigen Absätze das
Gehen auf dem Sande erschwerten, auf mich zu und fetzte sich auf einen
Schlauch. "Wenn ich euch lebendig nöthig bin und nicht blos mein Kopf, so
werdet ihr mich nicht an Hunger und Durst sterben lassen wollen. Ihr werdet
keinen Vortheil davon haben." -- "Daß dich! Nun warte nur, morgen früh
kommt ein Mirza, der dich uns abkaufen will -- der wird dir schon zu essen
geben."

Augenscheinlich hatten die Turkomanen darauf verzichtet, mich Sadyk, der
nicht im Lager erschien, zu übergeben, und hatten beschlossen, mich ohne wei¬
teres an den ersten Besten zu verkaufen, einmal um sich meiner zu entledigen,
sodann um so schnell als möglich den Gewinn einzustreichen, den ihnen ihre
kriegerische Exkursion eingebracht hatte. "Deshalb gebt mir immer zu essen,"
stöhnte ich fort. "Gebt mir zu trinken! Ich sterbe bis morgen -- trinken!
hört ihr, trinken!"

Ich kroch zu Hassan hin. faßte ihn am Zipfel seines Kastens und war
fest entschlossen, mir entweder um jeden Preis Wasser und Nahrung zu ver¬
schaffen oder einen zweiten Kolbenschlag auf den Kopf zu erhalten, der mich
vielleicht endgiltig von meinen Leiden erlöst hätte, die mir nachgerade uner¬
träglich wurden. "Nun, nun, du hast ganz Recht, wenn du glaubst, man wolle
dich sterben lassen. Aber warte -- es wird gleich fertig sein (mit diesen Worten
deutete Hassan auf den Kessel), dann bekommst du auch etwas. Bis dahin


Es dunkelte. Kleine Feuer flammten über die ganze Steppe und warfen
ihre rothen Lichter über die glatte Wasserfläche. Kläglich blökten die Schafe,
die zur Tränke getrieben wurden, die Pferde wieherten laut, mit heiserem Ge¬
brüll schwankten die Kameele daher. „So, hier machen wir Halt", sagte
Hassan und hielt sein Pferd hart am Flußufer, an der Grenze des großen
turkomanischen Lagerplatzes, an. Der Hunger quälte mich entsetzlich; außer
dem „Krut", den ich beim letzten Nachtlager mit dem Wasser geschlürft, batie
ich thatsächlich nichts im Magen. Meine Peiniger hatten mich offenbar ganz
vergessen, sie saßen ruhig auf dem Sande um ein kleines Feuer, auf dem ein
flacher eiserner Kessel kochte, und warfen keinen Blick zu mir herüber. Mich
hatten sie zwischen zwei Schläuchen niedergelegt. Zwei Schritte von mir lag
schnarchend ein haariger Kameelskopf und strömte einen abscheulichen Geruch
aus, während er langsam seinen grünen Speisebrei wiederkäute. Ich hatte nur
einen kleinen dreieckigen Raum vor Augen, alles andere war mir durch die
Schläuche verdeckt.

„He, Hassan!" rief ich entschlossen einem der am Feuer sitzenden Räuber
zu. Dieser wußte offenbar nicht gleich, woher die Stimme kam. Ich wieder¬
holte meinen Ruf. „So, du dises?" lachte Hassan. „Was willst du?" Er
stand auf, trat mit ungeschickten Schritten, da ihm seine spitzigen Absätze das
Gehen auf dem Sande erschwerten, auf mich zu und fetzte sich auf einen
Schlauch. „Wenn ich euch lebendig nöthig bin und nicht blos mein Kopf, so
werdet ihr mich nicht an Hunger und Durst sterben lassen wollen. Ihr werdet
keinen Vortheil davon haben." — „Daß dich! Nun warte nur, morgen früh
kommt ein Mirza, der dich uns abkaufen will — der wird dir schon zu essen
geben."

Augenscheinlich hatten die Turkomanen darauf verzichtet, mich Sadyk, der
nicht im Lager erschien, zu übergeben, und hatten beschlossen, mich ohne wei¬
teres an den ersten Besten zu verkaufen, einmal um sich meiner zu entledigen,
sodann um so schnell als möglich den Gewinn einzustreichen, den ihnen ihre
kriegerische Exkursion eingebracht hatte. „Deshalb gebt mir immer zu essen,"
stöhnte ich fort. „Gebt mir zu trinken! Ich sterbe bis morgen — trinken!
hört ihr, trinken!"

Ich kroch zu Hassan hin. faßte ihn am Zipfel seines Kastens und war
fest entschlossen, mir entweder um jeden Preis Wasser und Nahrung zu ver¬
schaffen oder einen zweiten Kolbenschlag auf den Kopf zu erhalten, der mich
vielleicht endgiltig von meinen Leiden erlöst hätte, die mir nachgerade uner¬
träglich wurden. „Nun, nun, du hast ganz Recht, wenn du glaubst, man wolle
dich sterben lassen. Aber warte — es wird gleich fertig sein (mit diesen Worten
deutete Hassan auf den Kessel), dann bekommst du auch etwas. Bis dahin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/81>, abgerufen am 23.07.2024.