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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Lager am Darja aufzusuchen, wo sich uach seiner Vermuthung das Zelt des
Mullah Sadyk befinden mußte, jenes Steppenhelden, der unser unversöhnlichster
Gegner war. --

Am Abend erblickten wir von weitem einen Rauchstreifen, der sich wogend
mit der niederen Schicht der erhitzten Luft vermischte. Dieser Streifen ver¬
schwand und erschien wieder. Endlich verloren wir ihn ganz aus den Augen,
da wir in eine Vertiefung hinabritten. Als wir wieder herauf kamen, erblickten
wir ihn von neuem und zwar beträchtlich näher, denn wir konnten bereits ein
von weißen, sandigen Ufern umrahmtes Gewässer erkennen. "Der Darja!
der Darja!" rief Hassan und streckte die mit der Peitsche bewaffnete Hand
aus. Auch die Pferde freuten sich über das Wasser, denn sie witterten die
gute Ausdünstung. Sie beschleunigten merklich ihren Gang, bewegten unruhig
die Ohren und bliesen die rothen Nüstern weit auf, als fühlten sie schon die
wohlthätige Frische des Wassers. Hie und da stiegen Rauchsäulen zum Hori¬
zont empor, Kameele weideten auf den spärlich bewachsenen Salzstellen, und
jetzt zeigte sich sogar die Spitze einer rauchgeschwärzten Kibitka, die hinter einem
niederen Grabhügel hervorsah.

Je mehr wir uns dem Ann-Darja näherten, desto klarer entwickelte sich
vor unseren Angen das Bild des endlosen Feldlagers der Steppennomaden.
Das ganze Ufer war bis zu den Sandbänken hin mit Kirgisen und andern
Stämmen, welche dem Chan von Chiwa anhingen, besetzt. Man sah es an
den Pferdeheerden, welche in ungeheuerer Ausdehnung unter der Aufsicht einiger
Reitergruppen hier zerstreut waren. Die kriegerischen Turkomanen lassen ihre
Pferde vollständig gesattelt auf die Weide gehen oder am Pflock stehen, so daß
dieselben jeden Augenblick ihren Herren zu Diensten sein können. Dort ragen
ihre Lanzen; von weitem könnte man die schlanken, jedem Windhauche nach¬
gebenden Stäbe für dünnes Schilfrohr halten. Panzer und Schilde funkeln in
der Sonne, etwas weiter hinten kommen auch die Spitzen der Zelte zum Vor¬
schein. Ueberall Leben und Bewegung. Ganze Schafheerden werden ins Lager
getrieben und wimmeln in dichten Schaaren am Wasser. Und die Kameele!
Alle Uferabhänge sind mit diesen schwankenden, schwarzbraunen, höckerigen
Massen besät.

"Haida! salta!" schrieen meine Begleiter. "Ein Fang! Eine Beute!"
riefen einige Reiter, die ihnen entgegensprengten, "Wo habt ihr ihn einge¬
fangen?" -- "Dort, wo noch viel für euch zu holen ist", antworteten die Tur¬
komanen ausweichend. "Ist Tjura-Sadyk zu Hause, wie?" -- "Der Mullah
ist gestern auf Kundschaft ausgezogen; die ,Schwarzen^ sind mit ihm fort."
"Schade! Wir hatten gedacht -- Sind die Unseren auch hier?" -- "Auf der
Sandbank, hinter dem Schilfe."


Lager am Darja aufzusuchen, wo sich uach seiner Vermuthung das Zelt des
Mullah Sadyk befinden mußte, jenes Steppenhelden, der unser unversöhnlichster
Gegner war. —

Am Abend erblickten wir von weitem einen Rauchstreifen, der sich wogend
mit der niederen Schicht der erhitzten Luft vermischte. Dieser Streifen ver¬
schwand und erschien wieder. Endlich verloren wir ihn ganz aus den Augen,
da wir in eine Vertiefung hinabritten. Als wir wieder herauf kamen, erblickten
wir ihn von neuem und zwar beträchtlich näher, denn wir konnten bereits ein
von weißen, sandigen Ufern umrahmtes Gewässer erkennen. „Der Darja!
der Darja!" rief Hassan und streckte die mit der Peitsche bewaffnete Hand
aus. Auch die Pferde freuten sich über das Wasser, denn sie witterten die
gute Ausdünstung. Sie beschleunigten merklich ihren Gang, bewegten unruhig
die Ohren und bliesen die rothen Nüstern weit auf, als fühlten sie schon die
wohlthätige Frische des Wassers. Hie und da stiegen Rauchsäulen zum Hori¬
zont empor, Kameele weideten auf den spärlich bewachsenen Salzstellen, und
jetzt zeigte sich sogar die Spitze einer rauchgeschwärzten Kibitka, die hinter einem
niederen Grabhügel hervorsah.

Je mehr wir uns dem Ann-Darja näherten, desto klarer entwickelte sich
vor unseren Angen das Bild des endlosen Feldlagers der Steppennomaden.
Das ganze Ufer war bis zu den Sandbänken hin mit Kirgisen und andern
Stämmen, welche dem Chan von Chiwa anhingen, besetzt. Man sah es an
den Pferdeheerden, welche in ungeheuerer Ausdehnung unter der Aufsicht einiger
Reitergruppen hier zerstreut waren. Die kriegerischen Turkomanen lassen ihre
Pferde vollständig gesattelt auf die Weide gehen oder am Pflock stehen, so daß
dieselben jeden Augenblick ihren Herren zu Diensten sein können. Dort ragen
ihre Lanzen; von weitem könnte man die schlanken, jedem Windhauche nach¬
gebenden Stäbe für dünnes Schilfrohr halten. Panzer und Schilde funkeln in
der Sonne, etwas weiter hinten kommen auch die Spitzen der Zelte zum Vor¬
schein. Ueberall Leben und Bewegung. Ganze Schafheerden werden ins Lager
getrieben und wimmeln in dichten Schaaren am Wasser. Und die Kameele!
Alle Uferabhänge sind mit diesen schwankenden, schwarzbraunen, höckerigen
Massen besät.

„Haida! salta!" schrieen meine Begleiter. „Ein Fang! Eine Beute!"
riefen einige Reiter, die ihnen entgegensprengten, „Wo habt ihr ihn einge¬
fangen?" — „Dort, wo noch viel für euch zu holen ist", antworteten die Tur¬
komanen ausweichend. „Ist Tjura-Sadyk zu Hause, wie?" — „Der Mullah
ist gestern auf Kundschaft ausgezogen; die ,Schwarzen^ sind mit ihm fort."
„Schade! Wir hatten gedacht — Sind die Unseren auch hier?" — „Auf der
Sandbank, hinter dem Schilfe."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/80>, abgerufen am 23.07.2024.