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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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quält ihr mich? Ich kann ja nicht fort. Ihr seid Viele, ich nur Einer. Was
fürchtet ihr denn?" -- "Ja, Einer! Du hast dich ja gewehrt wie ein Besessener.
Hätte ich nicht den Kolben an deinem Schädel abgeschlagen, so hätten wir gar
nichts mit dir anfangen können. Wir hätten dich geradezu umbringen müssen."--
"Sieh dorthin, Mosol wälzt sich beständig auf dem Bauche," sagte ein anderer
und deutete auf den verwundeten Turkomanen. "Das ist dein Werk." -- "Aber
weißt du, wir müssen ihn doch losmachen. Er soll ein wenig ausruhen, dann
binden wir ihn wieder!" -- "Zu Fuß geht er uns nicht in der Steppe durch,
vollends mit solchen Füßen", lachte der Andere und deutete auf meine von den
Stricken zerschundenen Füße.

Ich wurde losgebunden und lag wenigstens anderthalb Stunden rücklings
mit dem Gesicht nach oben da, worauf sich allmählich der Blutumlauf wieder¬
herstellte. Mit schwache", zitternden Händen zog ich den Eimer zu mir heran
und warf ihn beinahe um. Ich klammerte mich mit den Zähnen an seinem
Rande fest und schlürfte den säuerlichen, häßlich riechenden käsigen Bodensatz
ein. Bald fühlte ich mich frischer -- wäre nur dieser dumpfe Kopfschmerz
nicht gewesen! Ich betastete die schmerzende Stelle mit der Hand -- gerade
über dem linken Ohre fühlte ich eine ungeheure Geschwulst, die Haare waren
ringsum von Blut völlig zusammengeleimt -- mit dem linken Auge sah ich
viel schlechter als mit dem rechten. -- "Wo wolltest du denn hin?" fragte mich
der erste Barantatsch, indem er mich forschend von Kopf bis zu Fuß betrachtete.
"Zu der Abtheilung, die uns vorausgezogen ist", antwortete ich, indem ich mich
schnell auf das bevorstehende Verhör vorbereitete.

"Weshalb?" -- "Ich bin abgeschickt worden - weshalb? Das mögen
die Befehlshaber wissen!" - Wärst du etwa selbst kein Befehlshaber?" --
"Nein, ich bin ein gemeiner Sarbas (Soldat). Wie sollte ich ein Befehlshaber
sein?" Ich wußte, daß mir diese kleine Lüge in der Folge sehr zu statten
kommen konnte, denn erstens werden die gefangenen Soldaten viel weniger
beaufsichtigt, und zweitens gibt es weit weniger Umständlichkeiten, wenn es sich
um einen Eintausch oder Loskauf handelt.

"Lüge nicht! Lenke keinen Schmutz mit der Zunge! Die Beiden, die dort
zurückgeblieben sind, das sind Gemeine. Es ist nicht das erste Mal, Freund,
daß wir euresgleichen sehen." -- "Wie du meinst!" -- "So, so! Und warum
bist du denn so allein in der Steppe geritten? Wußtest du denn nicht, daß
wir uns hier aufhalten?" -- "Warum hätte ich euch fürchten sollen?" -- "Du
siehst jetzt, warum! -- He -- oso -- ich will dir --!" rief er dann seinem Hengste
zu, der eben nach seinem Nachbar ausgeschlagen hatte.

Eine Zeit lang verstummten wir alle. Man hörte nichts mehr als das
Stöhnen und Jammern des Turkomanen, der sich jetzt ringelförmig zusammen-


quält ihr mich? Ich kann ja nicht fort. Ihr seid Viele, ich nur Einer. Was
fürchtet ihr denn?" — „Ja, Einer! Du hast dich ja gewehrt wie ein Besessener.
Hätte ich nicht den Kolben an deinem Schädel abgeschlagen, so hätten wir gar
nichts mit dir anfangen können. Wir hätten dich geradezu umbringen müssen."—
„Sieh dorthin, Mosol wälzt sich beständig auf dem Bauche," sagte ein anderer
und deutete auf den verwundeten Turkomanen. „Das ist dein Werk." — „Aber
weißt du, wir müssen ihn doch losmachen. Er soll ein wenig ausruhen, dann
binden wir ihn wieder!" — „Zu Fuß geht er uns nicht in der Steppe durch,
vollends mit solchen Füßen", lachte der Andere und deutete auf meine von den
Stricken zerschundenen Füße.

Ich wurde losgebunden und lag wenigstens anderthalb Stunden rücklings
mit dem Gesicht nach oben da, worauf sich allmählich der Blutumlauf wieder¬
herstellte. Mit schwache», zitternden Händen zog ich den Eimer zu mir heran
und warf ihn beinahe um. Ich klammerte mich mit den Zähnen an seinem
Rande fest und schlürfte den säuerlichen, häßlich riechenden käsigen Bodensatz
ein. Bald fühlte ich mich frischer — wäre nur dieser dumpfe Kopfschmerz
nicht gewesen! Ich betastete die schmerzende Stelle mit der Hand — gerade
über dem linken Ohre fühlte ich eine ungeheure Geschwulst, die Haare waren
ringsum von Blut völlig zusammengeleimt — mit dem linken Auge sah ich
viel schlechter als mit dem rechten. — „Wo wolltest du denn hin?" fragte mich
der erste Barantatsch, indem er mich forschend von Kopf bis zu Fuß betrachtete.
„Zu der Abtheilung, die uns vorausgezogen ist", antwortete ich, indem ich mich
schnell auf das bevorstehende Verhör vorbereitete.

„Weshalb?" — „Ich bin abgeschickt worden - weshalb? Das mögen
die Befehlshaber wissen!" - Wärst du etwa selbst kein Befehlshaber?" —
„Nein, ich bin ein gemeiner Sarbas (Soldat). Wie sollte ich ein Befehlshaber
sein?" Ich wußte, daß mir diese kleine Lüge in der Folge sehr zu statten
kommen konnte, denn erstens werden die gefangenen Soldaten viel weniger
beaufsichtigt, und zweitens gibt es weit weniger Umständlichkeiten, wenn es sich
um einen Eintausch oder Loskauf handelt.

„Lüge nicht! Lenke keinen Schmutz mit der Zunge! Die Beiden, die dort
zurückgeblieben sind, das sind Gemeine. Es ist nicht das erste Mal, Freund,
daß wir euresgleichen sehen." — „Wie du meinst!" — „So, so! Und warum
bist du denn so allein in der Steppe geritten? Wußtest du denn nicht, daß
wir uns hier aufhalten?" — „Warum hätte ich euch fürchten sollen?" — „Du
siehst jetzt, warum! — He — oso — ich will dir —!" rief er dann seinem Hengste
zu, der eben nach seinem Nachbar ausgeschlagen hatte.

Eine Zeit lang verstummten wir alle. Man hörte nichts mehr als das
Stöhnen und Jammern des Turkomanen, der sich jetzt ringelförmig zusammen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/78>, abgerufen am 23.07.2024.