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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Wasser versänke, und ich vernahm nichts mehr als ein verworrenes, ersterben¬
des Getöse. --

In dichtem Nebel ging die Sonne unter. Die ungeheure hellrothe Scheibe
blickte noch zur Hälfte über den Horizont hervor und übergoß die ganze Steppe
mit ihrem purpurnen Lichte. Die groben Steine, die in großer Anzahl ans
dem Triebsande verstreut lagen, glichen aus der Entfernung glühenden Kohlen.
Durch das tiefe Kesselthal, in dem wir uns befanden, wehte eine feuchte Kühle.
Bläuliche Schatten lagerten darüber, feiner, weißlicher Dampf erhob sich aus
den runden Oeffnungen der Steppenbrunnen. Der Sand war ringsum be¬
feuchtet, und kleine salzige Stellen glitzerten darin. Hie und da erblickte man
weiße Aschenhäufchen, Fußspuren von Kameelen, Pferden und Menschen, Strick-
Endchen, Zeugfetzen und ähnliche Ueberbleibsel kleiner Bivouaks.

Die Pferde standen einzeln an Pflöcke gebunden und mußten sehr müde
sein, denn sie ließen ihre fleischlosen, mit gestreiften Kappen bedeckten Köpfe
traurig hängen. Aus diesen Kappen und den warmen Decken, welche die
Thiere umhüllten, schloß ich, daß meine Entführer Räuber der höchsten Klasse,
Turkomanen, und kein zusammengelaufenes Kirgisengesindel seien.

Der Eine stand mit dem Rücken gegen mich gekehrt und zog in gebückter
Stellung einen Ledereimer an einem Strick aus dem nächsten Brunnen. Der
Andere saß mit untergeschlagenen Beinen daneben und rieb grünen Kautabak
zwischen den Handflächen, der Dritte suchte das Feuer anzufachen, indem er
einen faulenden Zunderlappen anblies; der Vierte aber lag mit dem Gesicht
auf dem Sande und stöhnte leise.

Ich selbst lag mit gebundenen Händen und Füßen am Boden und hatte
einen Stab unter dem Rücken. Mein Kopf war über und über naß, rings
um mich her zog sich eine im Sand versickernde Pfütze. Offenbar war ich mit
Wasser begossen worden -- der unterwegs vernommene Vorschlag siel mir
wieder ein. "Gebt mir zu trinken! Zu trinken!" stöhnte ich, sobald ich wieder
eine klare Vorstellung gewonnen hatte. "Wasser!" -- "Aha, Bruder, er spricht
sogar unsre Sprache. Hassan, gib ihm den Eimer. Siehst du jetzt, daß er
ganz zu sich gekommen ist; wir bringen ihn lebendig hin. Jetzt ist es auch
nicht mehr weit."

Einer von den Turkomanen griff in die lederne Doppeltasche, zog ein
Stück trockenen, steinharten Krut (Schafkäse) hervor, brach ein kleines Stück
davon ab und zerdrückte es auf dem Boden des Ledereimers. "Jetzt schlucke",
sagte er und hielt mir den Eimer vor das Gesicht. Ich richtete mich ans demi
Ellbogen ans, erhob den Kopf und stöhnte vor Schmerz. Ich konnte den vor¬
gehaltenen Trunk nicht erreichen. "Binde ihm die Hände los!" "Bindet
mich ganz los -- ganz -- die Füße thun mir weh," stöhnte ich. "Weshalb


Greiizbowi IV. 1879. to

Wasser versänke, und ich vernahm nichts mehr als ein verworrenes, ersterben¬
des Getöse. —

In dichtem Nebel ging die Sonne unter. Die ungeheure hellrothe Scheibe
blickte noch zur Hälfte über den Horizont hervor und übergoß die ganze Steppe
mit ihrem purpurnen Lichte. Die groben Steine, die in großer Anzahl ans
dem Triebsande verstreut lagen, glichen aus der Entfernung glühenden Kohlen.
Durch das tiefe Kesselthal, in dem wir uns befanden, wehte eine feuchte Kühle.
Bläuliche Schatten lagerten darüber, feiner, weißlicher Dampf erhob sich aus
den runden Oeffnungen der Steppenbrunnen. Der Sand war ringsum be¬
feuchtet, und kleine salzige Stellen glitzerten darin. Hie und da erblickte man
weiße Aschenhäufchen, Fußspuren von Kameelen, Pferden und Menschen, Strick-
Endchen, Zeugfetzen und ähnliche Ueberbleibsel kleiner Bivouaks.

Die Pferde standen einzeln an Pflöcke gebunden und mußten sehr müde
sein, denn sie ließen ihre fleischlosen, mit gestreiften Kappen bedeckten Köpfe
traurig hängen. Aus diesen Kappen und den warmen Decken, welche die
Thiere umhüllten, schloß ich, daß meine Entführer Räuber der höchsten Klasse,
Turkomanen, und kein zusammengelaufenes Kirgisengesindel seien.

Der Eine stand mit dem Rücken gegen mich gekehrt und zog in gebückter
Stellung einen Ledereimer an einem Strick aus dem nächsten Brunnen. Der
Andere saß mit untergeschlagenen Beinen daneben und rieb grünen Kautabak
zwischen den Handflächen, der Dritte suchte das Feuer anzufachen, indem er
einen faulenden Zunderlappen anblies; der Vierte aber lag mit dem Gesicht
auf dem Sande und stöhnte leise.

Ich selbst lag mit gebundenen Händen und Füßen am Boden und hatte
einen Stab unter dem Rücken. Mein Kopf war über und über naß, rings
um mich her zog sich eine im Sand versickernde Pfütze. Offenbar war ich mit
Wasser begossen worden — der unterwegs vernommene Vorschlag siel mir
wieder ein. „Gebt mir zu trinken! Zu trinken!" stöhnte ich, sobald ich wieder
eine klare Vorstellung gewonnen hatte. „Wasser!" — „Aha, Bruder, er spricht
sogar unsre Sprache. Hassan, gib ihm den Eimer. Siehst du jetzt, daß er
ganz zu sich gekommen ist; wir bringen ihn lebendig hin. Jetzt ist es auch
nicht mehr weit."

Einer von den Turkomanen griff in die lederne Doppeltasche, zog ein
Stück trockenen, steinharten Krut (Schafkäse) hervor, brach ein kleines Stück
davon ab und zerdrückte es auf dem Boden des Ledereimers. „Jetzt schlucke",
sagte er und hielt mir den Eimer vor das Gesicht. Ich richtete mich ans demi
Ellbogen ans, erhob den Kopf und stöhnte vor Schmerz. Ich konnte den vor¬
gehaltenen Trunk nicht erreichen. „Binde ihm die Hände los!" „Bindet
mich ganz los — ganz — die Füße thun mir weh," stöhnte ich. „Weshalb


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[0077] Wasser versänke, und ich vernahm nichts mehr als ein verworrenes, ersterben¬ des Getöse. — In dichtem Nebel ging die Sonne unter. Die ungeheure hellrothe Scheibe blickte noch zur Hälfte über den Horizont hervor und übergoß die ganze Steppe mit ihrem purpurnen Lichte. Die groben Steine, die in großer Anzahl ans dem Triebsande verstreut lagen, glichen aus der Entfernung glühenden Kohlen. Durch das tiefe Kesselthal, in dem wir uns befanden, wehte eine feuchte Kühle. Bläuliche Schatten lagerten darüber, feiner, weißlicher Dampf erhob sich aus den runden Oeffnungen der Steppenbrunnen. Der Sand war ringsum be¬ feuchtet, und kleine salzige Stellen glitzerten darin. Hie und da erblickte man weiße Aschenhäufchen, Fußspuren von Kameelen, Pferden und Menschen, Strick- Endchen, Zeugfetzen und ähnliche Ueberbleibsel kleiner Bivouaks. Die Pferde standen einzeln an Pflöcke gebunden und mußten sehr müde sein, denn sie ließen ihre fleischlosen, mit gestreiften Kappen bedeckten Köpfe traurig hängen. Aus diesen Kappen und den warmen Decken, welche die Thiere umhüllten, schloß ich, daß meine Entführer Räuber der höchsten Klasse, Turkomanen, und kein zusammengelaufenes Kirgisengesindel seien. Der Eine stand mit dem Rücken gegen mich gekehrt und zog in gebückter Stellung einen Ledereimer an einem Strick aus dem nächsten Brunnen. Der Andere saß mit untergeschlagenen Beinen daneben und rieb grünen Kautabak zwischen den Handflächen, der Dritte suchte das Feuer anzufachen, indem er einen faulenden Zunderlappen anblies; der Vierte aber lag mit dem Gesicht auf dem Sande und stöhnte leise. Ich selbst lag mit gebundenen Händen und Füßen am Boden und hatte einen Stab unter dem Rücken. Mein Kopf war über und über naß, rings um mich her zog sich eine im Sand versickernde Pfütze. Offenbar war ich mit Wasser begossen worden — der unterwegs vernommene Vorschlag siel mir wieder ein. „Gebt mir zu trinken! Zu trinken!" stöhnte ich, sobald ich wieder eine klare Vorstellung gewonnen hatte. „Wasser!" — „Aha, Bruder, er spricht sogar unsre Sprache. Hassan, gib ihm den Eimer. Siehst du jetzt, daß er ganz zu sich gekommen ist; wir bringen ihn lebendig hin. Jetzt ist es auch nicht mehr weit." Einer von den Turkomanen griff in die lederne Doppeltasche, zog ein Stück trockenen, steinharten Krut (Schafkäse) hervor, brach ein kleines Stück davon ab und zerdrückte es auf dem Boden des Ledereimers. „Jetzt schlucke", sagte er und hielt mir den Eimer vor das Gesicht. Ich richtete mich ans demi Ellbogen ans, erhob den Kopf und stöhnte vor Schmerz. Ich konnte den vor¬ gehaltenen Trunk nicht erreichen. „Binde ihm die Hände los!" „Bindet mich ganz los — ganz — die Füße thun mir weh," stöhnte ich. „Weshalb Greiizbowi IV. 1879. to

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/77>, abgerufen am 23.07.2024.