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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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ist. Im Laufe der Zeit hat sich indeß vieles in demselben verändert, namentlich
sind die untern Lokalitäten durch Ausbruch verschiedener Wände in einen größe¬
ren, Raum umgewandelt worden, der jetzt einem Wagenlackirer zur Werkstätte
dient, während das obere Stock noch in der ursprünglichen Eintheilung uns er¬
halten geblieben zu sein scheint. Ohne die Stelle des eben mitgetheilten Briefes
zu kennen, würde man allerlei Muthmaßungen über die Lage des "räuchrigen
Zimmerchens" aussprechen können, ohne die geringste Wahrscheinlichkeit für die
Richtigkeit einer der Ansicht zu haben.

Um den Eingang zu der klassischen Stätte zu finden, muß man die nach
dem Hofe zu gelegene Thür des Hauses aufsuchen, welche zugleich zur Wen¬
deltreppe des obern Stocks führt, sei es nun, daß man zu dieser Thür durch
dieses oder jenes Gäßchen (Allerheiligengasse, Holzhäuser - Gäßchen oder Albus-
gäßchen) gelangt. Hart an dieser vom Hofe aus zum Treppenraum führenden
Thür findet man einen vermauerten Eingang*), der unstreitig ehemals in "das
räuchrige Zimmerchen neben der Klingelthür" führte, da die Haus¬
thür nicht allein noch heute eine alte Klingelthür **) ist, sondern die Klingel
auch dicht neben der Stubenthür hängt und ihr gewaltiger Anschlag sicherlich
jedem unvergeßlich bleiben mußte, der sich in dem hart an der Hausthür be¬
findlichen Stübchen befand. Obwohl, wie bemerkt, manches in dem unteren
Raume des Hauses sich verändert hat, das steht fest, daß die ursprüngliche mäch¬
tige Klingel sich aus der Goethescher Zeit noch erhalten hat. Der Dorn der¬
selben verleugnet wie die Klingel selbst den Ursprung des vorigen Jahrhun¬
derts nicht, und die mächtige Klingel, deren Ton das ganze Hans in Aufregung
versetzen konnte, würde wohl längst entfernt worden sein, wenn die aus dem
Lotse gewichene Thür den Dorn der Klingel nicht außer Thätigkeit gesetzt hätte
oder, was auch möglich, die Klingel durch die Bewohner des Hauses außer
Kontakt mit dem Dorn gebracht worden wäre.

Um zur Innenseite der vermauerten Thür zu gelangen, muß man die
ebenfalls nach dem Hofe zu gelegene Thür der Wagenlackirerwerkstätte passiren,
und man wird sich im Innern dieses Raumes sehr leicht die ehemalige Ein¬
richtung der Klingerschen Wohnung rekonstruiren können, da sich noch Ueberreste
von Stuckrahmen finden, welche die frühere Gestaltung der einzelnen armseligen
Wohnräume andeuten. Das "gute Nest", von dem Goethe schreibt, läßt
sich insbesondere sehr leicht herstellen, da die beiden nach dem Hofraume liegenden
Fenster und die korrespondirende Einrichtung des oberen Stockes hinreichende
Anhaltepunkte gewähren und gleichzeitig die Ueberzeugung gewinnen lassen, daß




*) Der Rahmen der Thüre besteht aus alten rothen Sandsteinstücken.
**) Es ist darunter eine Thür zu verstehen, die bei dem Oeffnen von selbst klingelt.

ist. Im Laufe der Zeit hat sich indeß vieles in demselben verändert, namentlich
sind die untern Lokalitäten durch Ausbruch verschiedener Wände in einen größe¬
ren, Raum umgewandelt worden, der jetzt einem Wagenlackirer zur Werkstätte
dient, während das obere Stock noch in der ursprünglichen Eintheilung uns er¬
halten geblieben zu sein scheint. Ohne die Stelle des eben mitgetheilten Briefes
zu kennen, würde man allerlei Muthmaßungen über die Lage des „räuchrigen
Zimmerchens" aussprechen können, ohne die geringste Wahrscheinlichkeit für die
Richtigkeit einer der Ansicht zu haben.

Um den Eingang zu der klassischen Stätte zu finden, muß man die nach
dem Hofe zu gelegene Thür des Hauses aufsuchen, welche zugleich zur Wen¬
deltreppe des obern Stocks führt, sei es nun, daß man zu dieser Thür durch
dieses oder jenes Gäßchen (Allerheiligengasse, Holzhäuser - Gäßchen oder Albus-
gäßchen) gelangt. Hart an dieser vom Hofe aus zum Treppenraum führenden
Thür findet man einen vermauerten Eingang*), der unstreitig ehemals in „das
räuchrige Zimmerchen neben der Klingelthür" führte, da die Haus¬
thür nicht allein noch heute eine alte Klingelthür **) ist, sondern die Klingel
auch dicht neben der Stubenthür hängt und ihr gewaltiger Anschlag sicherlich
jedem unvergeßlich bleiben mußte, der sich in dem hart an der Hausthür be¬
findlichen Stübchen befand. Obwohl, wie bemerkt, manches in dem unteren
Raume des Hauses sich verändert hat, das steht fest, daß die ursprüngliche mäch¬
tige Klingel sich aus der Goethescher Zeit noch erhalten hat. Der Dorn der¬
selben verleugnet wie die Klingel selbst den Ursprung des vorigen Jahrhun¬
derts nicht, und die mächtige Klingel, deren Ton das ganze Hans in Aufregung
versetzen konnte, würde wohl längst entfernt worden sein, wenn die aus dem
Lotse gewichene Thür den Dorn der Klingel nicht außer Thätigkeit gesetzt hätte
oder, was auch möglich, die Klingel durch die Bewohner des Hauses außer
Kontakt mit dem Dorn gebracht worden wäre.

Um zur Innenseite der vermauerten Thür zu gelangen, muß man die
ebenfalls nach dem Hofe zu gelegene Thür der Wagenlackirerwerkstätte passiren,
und man wird sich im Innern dieses Raumes sehr leicht die ehemalige Ein¬
richtung der Klingerschen Wohnung rekonstruiren können, da sich noch Ueberreste
von Stuckrahmen finden, welche die frühere Gestaltung der einzelnen armseligen
Wohnräume andeuten. Das „gute Nest", von dem Goethe schreibt, läßt
sich insbesondere sehr leicht herstellen, da die beiden nach dem Hofraume liegenden
Fenster und die korrespondirende Einrichtung des oberen Stockes hinreichende
Anhaltepunkte gewähren und gleichzeitig die Ueberzeugung gewinnen lassen, daß




*) Der Rahmen der Thüre besteht aus alten rothen Sandsteinstücken.
**) Es ist darunter eine Thür zu verstehen, die bei dem Oeffnen von selbst klingelt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/74>, abgerufen am 03.07.2024.