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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Neue Innungen. Hat der Handwerkerstand seine Korporationen wieder, so
gewinnt er auch wieder die Grundlagen für ein berechtigtes Selbstgefühl, für
gemeinnützige Gesinnung, für wirthschaftliches Zusammenhalten, für Erfüllung
fachgewerblicher, insbesondere das Lehrlingswesen regelnder Pflichten, es können
wieder ordentliche und brauchbare Gesellen herangezogen, es kann die Ehre
des Gewerbes gegenüber eigensüchtigen, brutalen Lehrherren und Arbeitgebern
gewahrt werden, es bildet sich überhaupt wieder ein sozial gefesteter gewerblicher
Mittelstand. Gott gebe, daß es noch nicht zu spät dazu ist. Wenn es aber
noch Zeit ist, so gibt es keinen anderen Weg als diesen. Alle die kleinen Reform¬
anläufe, die in letzter Zeit gemacht worden sind, haben ihr bestes Verdienst
darin, daß sie die Aufmerksamkeit rege erhalten und durch ihren Mangel an
innerer Abgeschlossenheit immer wieder dazu drängen, in dem neuen Prinzip
und in dessen muthiger Durchführung das einzige Heil zu erkennen. Auch das
Kunstgewerbe, auf dessen Pflege heutzutage mit Recht ein so großer Werth ge¬
legt wird, kann erst gleichzeitig mit der Neubelebung eines tüchtigen, fortpflan¬
zungsfähigen und in sich befriedigten Gewerbestandes zur vollen Entfaltung
gelangen. Ein Kunstgewerbe haben zu wollen, ehe man ein Gewerbe hat, ist
der reine Widersinn; das Kunstgewerbe kann immer nur die höchste Blüthe
dessen darstellen, was das Gewerbe als solches zu leisten vermag. Darum
wird es in einem triebkräftigen, freudig gedeihenden Gewerbeleben ganz von
selbst nicht an den Elementen fehlen, die alsdann im Sinne kunstgewerblicher
Entwickelung geschult werden mögen, während alle Munifizenz in Unter¬
stützung des Kunstgewerbes nur unglückliche Treibhauspflanzen erzeugen kann,
wenn die gediegene Grundlage gewerblicher Tüchtigkeit fehlt.

Der Gedanke der neuen Innungen hat durch zwei gleichgeführliche Klippen
hindurchschiffen müssen, die jetzt beide als überwunden zu betrachten sind. Ein¬
mal konnte es keinem Urtheilsfähigen entgehen, daß, wenn auch in dem Ge¬
danken obligatorischer Innungen noch so viel Verführerisches liege und noch so
viele Schwierigkeiten dadurch mit einem Schlage aus dem Wege geräumt wären,
doch die ganze Gestaltung unserer heutigen sozialen und wirthschaftlichen Ver¬
hältnisse dergleichen undurchführbar mache. Jetzt ist denn auch dieser Gedanke
bei weitem in den meisten der an der Jnnungsbewegung betheiligten gewerblichen
Kreise verlassen. Uebrigens muß bemerkt werden, daß auch die Anhänger obli¬
gatorischer Innungen nie daran gedacht haben, der Innung die Ausschließungs¬
und Verbietungsrechte der alten Zünfte zurückgeben zu wollen, sondern daß
stets und allenthalben daran festgehalten worden ist: die neuen Innungen
sollten nicht in erster Linie wirthschaftliche Verbände mit monopolistischen Be¬
fugnissen sein, wie die alten Zünfte, sondern ihr Zweck und Wesen liege
durchaus auf sozialpolitischen Gebiete. Hiermit steht im Zusammenhange, daß


Neue Innungen. Hat der Handwerkerstand seine Korporationen wieder, so
gewinnt er auch wieder die Grundlagen für ein berechtigtes Selbstgefühl, für
gemeinnützige Gesinnung, für wirthschaftliches Zusammenhalten, für Erfüllung
fachgewerblicher, insbesondere das Lehrlingswesen regelnder Pflichten, es können
wieder ordentliche und brauchbare Gesellen herangezogen, es kann die Ehre
des Gewerbes gegenüber eigensüchtigen, brutalen Lehrherren und Arbeitgebern
gewahrt werden, es bildet sich überhaupt wieder ein sozial gefesteter gewerblicher
Mittelstand. Gott gebe, daß es noch nicht zu spät dazu ist. Wenn es aber
noch Zeit ist, so gibt es keinen anderen Weg als diesen. Alle die kleinen Reform¬
anläufe, die in letzter Zeit gemacht worden sind, haben ihr bestes Verdienst
darin, daß sie die Aufmerksamkeit rege erhalten und durch ihren Mangel an
innerer Abgeschlossenheit immer wieder dazu drängen, in dem neuen Prinzip
und in dessen muthiger Durchführung das einzige Heil zu erkennen. Auch das
Kunstgewerbe, auf dessen Pflege heutzutage mit Recht ein so großer Werth ge¬
legt wird, kann erst gleichzeitig mit der Neubelebung eines tüchtigen, fortpflan¬
zungsfähigen und in sich befriedigten Gewerbestandes zur vollen Entfaltung
gelangen. Ein Kunstgewerbe haben zu wollen, ehe man ein Gewerbe hat, ist
der reine Widersinn; das Kunstgewerbe kann immer nur die höchste Blüthe
dessen darstellen, was das Gewerbe als solches zu leisten vermag. Darum
wird es in einem triebkräftigen, freudig gedeihenden Gewerbeleben ganz von
selbst nicht an den Elementen fehlen, die alsdann im Sinne kunstgewerblicher
Entwickelung geschult werden mögen, während alle Munifizenz in Unter¬
stützung des Kunstgewerbes nur unglückliche Treibhauspflanzen erzeugen kann,
wenn die gediegene Grundlage gewerblicher Tüchtigkeit fehlt.

Der Gedanke der neuen Innungen hat durch zwei gleichgeführliche Klippen
hindurchschiffen müssen, die jetzt beide als überwunden zu betrachten sind. Ein¬
mal konnte es keinem Urtheilsfähigen entgehen, daß, wenn auch in dem Ge¬
danken obligatorischer Innungen noch so viel Verführerisches liege und noch so
viele Schwierigkeiten dadurch mit einem Schlage aus dem Wege geräumt wären,
doch die ganze Gestaltung unserer heutigen sozialen und wirthschaftlichen Ver¬
hältnisse dergleichen undurchführbar mache. Jetzt ist denn auch dieser Gedanke
bei weitem in den meisten der an der Jnnungsbewegung betheiligten gewerblichen
Kreise verlassen. Uebrigens muß bemerkt werden, daß auch die Anhänger obli¬
gatorischer Innungen nie daran gedacht haben, der Innung die Ausschließungs¬
und Verbietungsrechte der alten Zünfte zurückgeben zu wollen, sondern daß
stets und allenthalben daran festgehalten worden ist: die neuen Innungen
sollten nicht in erster Linie wirthschaftliche Verbände mit monopolistischen Be¬
fugnissen sein, wie die alten Zünfte, sondern ihr Zweck und Wesen liege
durchaus auf sozialpolitischen Gebiete. Hiermit steht im Zusammenhange, daß


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[0067] Neue Innungen. Hat der Handwerkerstand seine Korporationen wieder, so gewinnt er auch wieder die Grundlagen für ein berechtigtes Selbstgefühl, für gemeinnützige Gesinnung, für wirthschaftliches Zusammenhalten, für Erfüllung fachgewerblicher, insbesondere das Lehrlingswesen regelnder Pflichten, es können wieder ordentliche und brauchbare Gesellen herangezogen, es kann die Ehre des Gewerbes gegenüber eigensüchtigen, brutalen Lehrherren und Arbeitgebern gewahrt werden, es bildet sich überhaupt wieder ein sozial gefesteter gewerblicher Mittelstand. Gott gebe, daß es noch nicht zu spät dazu ist. Wenn es aber noch Zeit ist, so gibt es keinen anderen Weg als diesen. Alle die kleinen Reform¬ anläufe, die in letzter Zeit gemacht worden sind, haben ihr bestes Verdienst darin, daß sie die Aufmerksamkeit rege erhalten und durch ihren Mangel an innerer Abgeschlossenheit immer wieder dazu drängen, in dem neuen Prinzip und in dessen muthiger Durchführung das einzige Heil zu erkennen. Auch das Kunstgewerbe, auf dessen Pflege heutzutage mit Recht ein so großer Werth ge¬ legt wird, kann erst gleichzeitig mit der Neubelebung eines tüchtigen, fortpflan¬ zungsfähigen und in sich befriedigten Gewerbestandes zur vollen Entfaltung gelangen. Ein Kunstgewerbe haben zu wollen, ehe man ein Gewerbe hat, ist der reine Widersinn; das Kunstgewerbe kann immer nur die höchste Blüthe dessen darstellen, was das Gewerbe als solches zu leisten vermag. Darum wird es in einem triebkräftigen, freudig gedeihenden Gewerbeleben ganz von selbst nicht an den Elementen fehlen, die alsdann im Sinne kunstgewerblicher Entwickelung geschult werden mögen, während alle Munifizenz in Unter¬ stützung des Kunstgewerbes nur unglückliche Treibhauspflanzen erzeugen kann, wenn die gediegene Grundlage gewerblicher Tüchtigkeit fehlt. Der Gedanke der neuen Innungen hat durch zwei gleichgeführliche Klippen hindurchschiffen müssen, die jetzt beide als überwunden zu betrachten sind. Ein¬ mal konnte es keinem Urtheilsfähigen entgehen, daß, wenn auch in dem Ge¬ danken obligatorischer Innungen noch so viel Verführerisches liege und noch so viele Schwierigkeiten dadurch mit einem Schlage aus dem Wege geräumt wären, doch die ganze Gestaltung unserer heutigen sozialen und wirthschaftlichen Ver¬ hältnisse dergleichen undurchführbar mache. Jetzt ist denn auch dieser Gedanke bei weitem in den meisten der an der Jnnungsbewegung betheiligten gewerblichen Kreise verlassen. Uebrigens muß bemerkt werden, daß auch die Anhänger obli¬ gatorischer Innungen nie daran gedacht haben, der Innung die Ausschließungs¬ und Verbietungsrechte der alten Zünfte zurückgeben zu wollen, sondern daß stets und allenthalben daran festgehalten worden ist: die neuen Innungen sollten nicht in erster Linie wirthschaftliche Verbände mit monopolistischen Be¬ fugnissen sein, wie die alten Zünfte, sondern ihr Zweck und Wesen liege durchaus auf sozialpolitischen Gebiete. Hiermit steht im Zusammenhange, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/67>, abgerufen am 26.08.2024.