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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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sam vollziehenden Ueberganges zum Großgewerbe eine gewisse Schonung,
keineswegs aber um seiner selbst willen eine auf freie Erhaltung und Pflege
gerichtete Berücksichtigung fordern. Es braucht wohl kaum bemerkt zu werden,
daß der Großbetrieb, mit seiner rein geschäftlichen Beziehung zwischen Arbeit¬
geber und Arbeiter und seiner Anpassung an das kommerzielle Weltgeschäft,
dieser Zeitanschauung von vornherein viel sympathischer war als das spröde,
in den zur allgemeinen Geltung gekommenen und für unantastbar gehaltenen
politisch-sozialen Kategorieen nur schwer unterzubringende und an allerhand
"veraltete" Besonderheiten gebundene Kleingewerbe.

Indessen hat sich weder die Voraussetzung bewahrheitet, daß das Gro߬
gewerbe schon binnen kurzer Zeit schlechthin zur herrschenden Form des Ge¬
werbebetriebs geworden sein werde, noch hat sich die Hoffnung erfüllt, daß die
ur die Ordnung im gewerblichen Leben etwa erforderlichen Formen "von selbst"
kommen, ja auch "von selbst" die nöthige Kraft, das unerläßliche Maß von
Einfluß und Autorität gewinnen würden. In ersterer Hinsicht sind wir durch
die bei Gelegenheit der letzten Volkszählung vorgenommene Gewerbezählung
unterrichtet worden, daß selbst bei der (nahezu lächerlichen) Annahme, alle Betriebe
mit mehr als fünf Arbeitern seien zu den großgewerblichen zu rechnen, die
Anzahl der in kleingewerblichen Betrieben beschäftigten Personen weit größer ist
als die der großgewerblichen Arbeiter. Auch eine nähere Betrachtung der
Elemente, aus denen diese Zahlen sich zusammensetzen, gestaltet dieselben keines¬
wegs ungünstiger, sondern eher noch günstiger für das Kleingewerbe. Schlimmsten
Falls dürfte es also mit dem Verschlingungsprozeß, in dem die Großindustrie
dem Kleingewerbe gegenüber begriffen sein soll, noch eine hübsche Weile dauern,
derart daß diese "Uebergangsperiode" wohl noch lang genug sein wird, um
während derselben auch das Kleingewerbe einiger Rücksicht zu würdigen. Aber
es sprechen auch -- gottlob -- zahlreiche Anzeichen dafür, daß das gänzliche
Verschwinden des ehrsamen Handwerks oder auch nur seine Zurückführung
auf das Flickgewerbe keineswegs eine technische Nothwendigkeit, sondern nur
ein wüstes Phantasiegebilde der einerseits sozialistischen, andrerseits manchester¬
lichen Kreise ist, die an diesem Verschwinden eine Interesse haben mögen. Seit
die Maschine auch dem kleinen Manne zugänglich geworden ist und die Assoziation
demselben auch sonstige, früher dem Großbetrieb vorbehalten" Vortheile an die
Hand gegeben hat, seit man wieder beginnt, einerseits auf feinere, künstlerischere
Ausführung einer Arbeit und andrerseits auf strenge Solidität derselben Werth
zu legen, und seit es offenbar geworden ist, daß die Ausdehnung der Fabriken
über ein gewisses Maß hinaus auch vom technischen und kaufmännischen Stand¬
punkte aus ihre Schattenseiten hat, seitdem kann Niemand mehr behaupten,
daß für den Untergang des Kleingewerbes auch nur eine innere Wahrscheinlich-


sam vollziehenden Ueberganges zum Großgewerbe eine gewisse Schonung,
keineswegs aber um seiner selbst willen eine auf freie Erhaltung und Pflege
gerichtete Berücksichtigung fordern. Es braucht wohl kaum bemerkt zu werden,
daß der Großbetrieb, mit seiner rein geschäftlichen Beziehung zwischen Arbeit¬
geber und Arbeiter und seiner Anpassung an das kommerzielle Weltgeschäft,
dieser Zeitanschauung von vornherein viel sympathischer war als das spröde,
in den zur allgemeinen Geltung gekommenen und für unantastbar gehaltenen
politisch-sozialen Kategorieen nur schwer unterzubringende und an allerhand
„veraltete" Besonderheiten gebundene Kleingewerbe.

Indessen hat sich weder die Voraussetzung bewahrheitet, daß das Gro߬
gewerbe schon binnen kurzer Zeit schlechthin zur herrschenden Form des Ge¬
werbebetriebs geworden sein werde, noch hat sich die Hoffnung erfüllt, daß die
ur die Ordnung im gewerblichen Leben etwa erforderlichen Formen „von selbst"
kommen, ja auch „von selbst" die nöthige Kraft, das unerläßliche Maß von
Einfluß und Autorität gewinnen würden. In ersterer Hinsicht sind wir durch
die bei Gelegenheit der letzten Volkszählung vorgenommene Gewerbezählung
unterrichtet worden, daß selbst bei der (nahezu lächerlichen) Annahme, alle Betriebe
mit mehr als fünf Arbeitern seien zu den großgewerblichen zu rechnen, die
Anzahl der in kleingewerblichen Betrieben beschäftigten Personen weit größer ist
als die der großgewerblichen Arbeiter. Auch eine nähere Betrachtung der
Elemente, aus denen diese Zahlen sich zusammensetzen, gestaltet dieselben keines¬
wegs ungünstiger, sondern eher noch günstiger für das Kleingewerbe. Schlimmsten
Falls dürfte es also mit dem Verschlingungsprozeß, in dem die Großindustrie
dem Kleingewerbe gegenüber begriffen sein soll, noch eine hübsche Weile dauern,
derart daß diese „Uebergangsperiode" wohl noch lang genug sein wird, um
während derselben auch das Kleingewerbe einiger Rücksicht zu würdigen. Aber
es sprechen auch — gottlob — zahlreiche Anzeichen dafür, daß das gänzliche
Verschwinden des ehrsamen Handwerks oder auch nur seine Zurückführung
auf das Flickgewerbe keineswegs eine technische Nothwendigkeit, sondern nur
ein wüstes Phantasiegebilde der einerseits sozialistischen, andrerseits manchester¬
lichen Kreise ist, die an diesem Verschwinden eine Interesse haben mögen. Seit
die Maschine auch dem kleinen Manne zugänglich geworden ist und die Assoziation
demselben auch sonstige, früher dem Großbetrieb vorbehalten« Vortheile an die
Hand gegeben hat, seit man wieder beginnt, einerseits auf feinere, künstlerischere
Ausführung einer Arbeit und andrerseits auf strenge Solidität derselben Werth
zu legen, und seit es offenbar geworden ist, daß die Ausdehnung der Fabriken
über ein gewisses Maß hinaus auch vom technischen und kaufmännischen Stand¬
punkte aus ihre Schattenseiten hat, seitdem kann Niemand mehr behaupten,
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[0062] sam vollziehenden Ueberganges zum Großgewerbe eine gewisse Schonung, keineswegs aber um seiner selbst willen eine auf freie Erhaltung und Pflege gerichtete Berücksichtigung fordern. Es braucht wohl kaum bemerkt zu werden, daß der Großbetrieb, mit seiner rein geschäftlichen Beziehung zwischen Arbeit¬ geber und Arbeiter und seiner Anpassung an das kommerzielle Weltgeschäft, dieser Zeitanschauung von vornherein viel sympathischer war als das spröde, in den zur allgemeinen Geltung gekommenen und für unantastbar gehaltenen politisch-sozialen Kategorieen nur schwer unterzubringende und an allerhand „veraltete" Besonderheiten gebundene Kleingewerbe. Indessen hat sich weder die Voraussetzung bewahrheitet, daß das Gro߬ gewerbe schon binnen kurzer Zeit schlechthin zur herrschenden Form des Ge¬ werbebetriebs geworden sein werde, noch hat sich die Hoffnung erfüllt, daß die ur die Ordnung im gewerblichen Leben etwa erforderlichen Formen „von selbst" kommen, ja auch „von selbst" die nöthige Kraft, das unerläßliche Maß von Einfluß und Autorität gewinnen würden. In ersterer Hinsicht sind wir durch die bei Gelegenheit der letzten Volkszählung vorgenommene Gewerbezählung unterrichtet worden, daß selbst bei der (nahezu lächerlichen) Annahme, alle Betriebe mit mehr als fünf Arbeitern seien zu den großgewerblichen zu rechnen, die Anzahl der in kleingewerblichen Betrieben beschäftigten Personen weit größer ist als die der großgewerblichen Arbeiter. Auch eine nähere Betrachtung der Elemente, aus denen diese Zahlen sich zusammensetzen, gestaltet dieselben keines¬ wegs ungünstiger, sondern eher noch günstiger für das Kleingewerbe. Schlimmsten Falls dürfte es also mit dem Verschlingungsprozeß, in dem die Großindustrie dem Kleingewerbe gegenüber begriffen sein soll, noch eine hübsche Weile dauern, derart daß diese „Uebergangsperiode" wohl noch lang genug sein wird, um während derselben auch das Kleingewerbe einiger Rücksicht zu würdigen. Aber es sprechen auch — gottlob — zahlreiche Anzeichen dafür, daß das gänzliche Verschwinden des ehrsamen Handwerks oder auch nur seine Zurückführung auf das Flickgewerbe keineswegs eine technische Nothwendigkeit, sondern nur ein wüstes Phantasiegebilde der einerseits sozialistischen, andrerseits manchester¬ lichen Kreise ist, die an diesem Verschwinden eine Interesse haben mögen. Seit die Maschine auch dem kleinen Manne zugänglich geworden ist und die Assoziation demselben auch sonstige, früher dem Großbetrieb vorbehalten« Vortheile an die Hand gegeben hat, seit man wieder beginnt, einerseits auf feinere, künstlerischere Ausführung einer Arbeit und andrerseits auf strenge Solidität derselben Werth zu legen, und seit es offenbar geworden ist, daß die Ausdehnung der Fabriken über ein gewisses Maß hinaus auch vom technischen und kaufmännischen Stand¬ punkte aus ihre Schattenseiten hat, seitdem kann Niemand mehr behaupten, daß für den Untergang des Kleingewerbes auch nur eine innere Wahrscheinlich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/62>, abgerufen am 23.07.2024.