Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

schließlichkeiten aber, die nicht auf ein deutlich darstellbares allgemeines Interesse,
sondern auf, wenn auch an sich noch so gediegene und berechtigte Privat¬
interessen sich beziehe", ist heute nun einmal nicht mehr durchzukommen, sie
strafen sich immer zunächst an der Qualität derer, die solchen Standpunkt fest¬
zuhalten suchen. Unter diesen Umstünden war das Zunftwesen nicht nur zur
leistungsunsähigen Fratze, sondern auch zu einem schweren Hemmniß der
gewerblichen Entwickelung geworden. Aber dreierlei ist hierbei nicht zu vergessen:
Erstens, daß der Verfall des Zunftwesens nicht ausschließlich ihm selbst, sondern
großenteils den ungünstigen Zeitverhältnissen zuzuschreiben ist, und daß in dem
Deutschland vor einem Menschenalter, noch mehr in dem Deutschland vor einem
Jahrhundert auch uoch Anderes als das Zunftwesen im Itraurigsten Verfalle
war; zweitens, daß die auf die alten Zünfte gewälzte UnPopularität großen¬
teils nicht sowohl diesen selbst als vielmehr dem polizeilichen Charakter galt,
den die Zünfte nicht freiwillig auf sich genommen, sondern von den Regierungen
oktroyirt erhalten hatten, und daß auch die vielgeschmähten "Zuuftmißbräuche"
in ansehnlichem Umfange auf polizeistaatliche Einflüsse zurückzuführen sind (wir
erinnern an den neuerlich geführten Nachweis, daß die allerdings heillose Ge¬
bührenwirthschaft, der französischen Zünfte ganz direkt auf die abscheulichen
Erpressungen zurückzuführen ist, welche von Staatswegen gegen die Zünfte geübt
wurden); und drittens, daß alle gegen die Mißbräuche und die verrotteten
Formen des Zunftwesens sprechenden Gründe doch eben nur diesen Mißbräuchen
und Unzeitgemäßheiten, nicht aber der Zunfteinrichtung als solcher gelten konnten,
daß also nicht Aufhebung, sondern zeitgemäße Rekonstruktion der Zünfte die
Loosung hätte sein müssen. In der That haben die am öffentlichen gewerblichen
Leben sich betheiligenden Gewerbtreibenden nie unterlassen, zu betonen, daß nicht
blos zerstört, sondern auch neu aufgebaut werden müsse, da irgend eine feste
gewerbliche Form, irgend ein Organ der fachgewerblichen Spezial-Angelegen-
heiten der Natur der Dinge nach nicht zu entbehren seien. Aber der nämliche,
sich überall auf die "gute Natur" des Menschen verlassende Optimismus, welcher
zum Wegräumen aller Schranken freier Niederlassung, freier Verehelichung, aller
Schranken gegen das Ueberhandnehmen des Pfandleih- und Wuchergeschäfts,
des Schankgewerbes, des Hausirbetriebs ;c. geführt hat, welcher die Theater¬
freiheit verkündet, welcher jeden Mißbrauch der Preßfreiheit bis in die abscheu¬
lichsten Ausartungen hinein -- man denke an die massenhafte Erzeugung
unsittlicher Schriften! -- gewähren lassen zu müssen geglaubt hat -- dieser
nämliche Optimismus meinte auch auf gewerblichen Gebiete voraussetzen zu
dürfen, daß die etwa nöthigen Ordnungen von selbst kommen würden. Im
Hintergrunde stand freilich der Gedanke, das Handwerk habe überhaupt keine
bleibende Berechtigung mehr, es könne höchstens während des sich unaufhalt-


Grenzwteu IV. 187S. ö

schließlichkeiten aber, die nicht auf ein deutlich darstellbares allgemeines Interesse,
sondern auf, wenn auch an sich noch so gediegene und berechtigte Privat¬
interessen sich beziehe«, ist heute nun einmal nicht mehr durchzukommen, sie
strafen sich immer zunächst an der Qualität derer, die solchen Standpunkt fest¬
zuhalten suchen. Unter diesen Umstünden war das Zunftwesen nicht nur zur
leistungsunsähigen Fratze, sondern auch zu einem schweren Hemmniß der
gewerblichen Entwickelung geworden. Aber dreierlei ist hierbei nicht zu vergessen:
Erstens, daß der Verfall des Zunftwesens nicht ausschließlich ihm selbst, sondern
großenteils den ungünstigen Zeitverhältnissen zuzuschreiben ist, und daß in dem
Deutschland vor einem Menschenalter, noch mehr in dem Deutschland vor einem
Jahrhundert auch uoch Anderes als das Zunftwesen im Itraurigsten Verfalle
war; zweitens, daß die auf die alten Zünfte gewälzte UnPopularität großen¬
teils nicht sowohl diesen selbst als vielmehr dem polizeilichen Charakter galt,
den die Zünfte nicht freiwillig auf sich genommen, sondern von den Regierungen
oktroyirt erhalten hatten, und daß auch die vielgeschmähten „Zuuftmißbräuche"
in ansehnlichem Umfange auf polizeistaatliche Einflüsse zurückzuführen sind (wir
erinnern an den neuerlich geführten Nachweis, daß die allerdings heillose Ge¬
bührenwirthschaft, der französischen Zünfte ganz direkt auf die abscheulichen
Erpressungen zurückzuführen ist, welche von Staatswegen gegen die Zünfte geübt
wurden); und drittens, daß alle gegen die Mißbräuche und die verrotteten
Formen des Zunftwesens sprechenden Gründe doch eben nur diesen Mißbräuchen
und Unzeitgemäßheiten, nicht aber der Zunfteinrichtung als solcher gelten konnten,
daß also nicht Aufhebung, sondern zeitgemäße Rekonstruktion der Zünfte die
Loosung hätte sein müssen. In der That haben die am öffentlichen gewerblichen
Leben sich betheiligenden Gewerbtreibenden nie unterlassen, zu betonen, daß nicht
blos zerstört, sondern auch neu aufgebaut werden müsse, da irgend eine feste
gewerbliche Form, irgend ein Organ der fachgewerblichen Spezial-Angelegen-
heiten der Natur der Dinge nach nicht zu entbehren seien. Aber der nämliche,
sich überall auf die „gute Natur" des Menschen verlassende Optimismus, welcher
zum Wegräumen aller Schranken freier Niederlassung, freier Verehelichung, aller
Schranken gegen das Ueberhandnehmen des Pfandleih- und Wuchergeschäfts,
des Schankgewerbes, des Hausirbetriebs ;c. geführt hat, welcher die Theater¬
freiheit verkündet, welcher jeden Mißbrauch der Preßfreiheit bis in die abscheu¬
lichsten Ausartungen hinein — man denke an die massenhafte Erzeugung
unsittlicher Schriften! — gewähren lassen zu müssen geglaubt hat — dieser
nämliche Optimismus meinte auch auf gewerblichen Gebiete voraussetzen zu
dürfen, daß die etwa nöthigen Ordnungen von selbst kommen würden. Im
Hintergrunde stand freilich der Gedanke, das Handwerk habe überhaupt keine
bleibende Berechtigung mehr, es könne höchstens während des sich unaufhalt-


Grenzwteu IV. 187S. ö
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143116"/>
          <p xml:id="ID_204" prev="#ID_203" next="#ID_205"> schließlichkeiten aber, die nicht auf ein deutlich darstellbares allgemeines Interesse,<lb/>
sondern auf, wenn auch an sich noch so gediegene und berechtigte Privat¬<lb/>
interessen sich beziehe«, ist heute nun einmal nicht mehr durchzukommen, sie<lb/>
strafen sich immer zunächst an der Qualität derer, die solchen Standpunkt fest¬<lb/>
zuhalten suchen. Unter diesen Umstünden war das Zunftwesen nicht nur zur<lb/>
leistungsunsähigen Fratze, sondern auch zu einem schweren Hemmniß der<lb/>
gewerblichen Entwickelung geworden. Aber dreierlei ist hierbei nicht zu vergessen:<lb/>
Erstens, daß der Verfall des Zunftwesens nicht ausschließlich ihm selbst, sondern<lb/>
großenteils den ungünstigen Zeitverhältnissen zuzuschreiben ist, und daß in dem<lb/>
Deutschland vor einem Menschenalter, noch mehr in dem Deutschland vor einem<lb/>
Jahrhundert auch uoch Anderes als das Zunftwesen im Itraurigsten Verfalle<lb/>
war; zweitens, daß die auf die alten Zünfte gewälzte UnPopularität großen¬<lb/>
teils nicht sowohl diesen selbst als vielmehr dem polizeilichen Charakter galt,<lb/>
den die Zünfte nicht freiwillig auf sich genommen, sondern von den Regierungen<lb/>
oktroyirt erhalten hatten, und daß auch die vielgeschmähten &#x201E;Zuuftmißbräuche"<lb/>
in ansehnlichem Umfange auf polizeistaatliche Einflüsse zurückzuführen sind (wir<lb/>
erinnern an den neuerlich geführten Nachweis, daß die allerdings heillose Ge¬<lb/>
bührenwirthschaft, der französischen Zünfte ganz direkt auf die abscheulichen<lb/>
Erpressungen zurückzuführen ist, welche von Staatswegen gegen die Zünfte geübt<lb/>
wurden); und drittens, daß alle gegen die Mißbräuche und die verrotteten<lb/>
Formen des Zunftwesens sprechenden Gründe doch eben nur diesen Mißbräuchen<lb/>
und Unzeitgemäßheiten, nicht aber der Zunfteinrichtung als solcher gelten konnten,<lb/>
daß also nicht Aufhebung, sondern zeitgemäße Rekonstruktion der Zünfte die<lb/>
Loosung hätte sein müssen. In der That haben die am öffentlichen gewerblichen<lb/>
Leben sich betheiligenden Gewerbtreibenden nie unterlassen, zu betonen, daß nicht<lb/>
blos zerstört, sondern auch neu aufgebaut werden müsse, da irgend eine feste<lb/>
gewerbliche Form, irgend ein Organ der fachgewerblichen Spezial-Angelegen-<lb/>
heiten der Natur der Dinge nach nicht zu entbehren seien. Aber der nämliche,<lb/>
sich überall auf die &#x201E;gute Natur" des Menschen verlassende Optimismus, welcher<lb/>
zum Wegräumen aller Schranken freier Niederlassung, freier Verehelichung, aller<lb/>
Schranken gegen das Ueberhandnehmen des Pfandleih- und Wuchergeschäfts,<lb/>
des Schankgewerbes, des Hausirbetriebs ;c. geführt hat, welcher die Theater¬<lb/>
freiheit verkündet, welcher jeden Mißbrauch der Preßfreiheit bis in die abscheu¬<lb/>
lichsten Ausartungen hinein &#x2014; man denke an die massenhafte Erzeugung<lb/>
unsittlicher Schriften! &#x2014; gewähren lassen zu müssen geglaubt hat &#x2014; dieser<lb/>
nämliche Optimismus meinte auch auf gewerblichen Gebiete voraussetzen zu<lb/>
dürfen, daß die etwa nöthigen Ordnungen von selbst kommen würden. Im<lb/>
Hintergrunde stand freilich der Gedanke, das Handwerk habe überhaupt keine<lb/>
bleibende Berechtigung mehr, es könne höchstens während des sich unaufhalt-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzwteu IV. 187S. ö</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] schließlichkeiten aber, die nicht auf ein deutlich darstellbares allgemeines Interesse, sondern auf, wenn auch an sich noch so gediegene und berechtigte Privat¬ interessen sich beziehe«, ist heute nun einmal nicht mehr durchzukommen, sie strafen sich immer zunächst an der Qualität derer, die solchen Standpunkt fest¬ zuhalten suchen. Unter diesen Umstünden war das Zunftwesen nicht nur zur leistungsunsähigen Fratze, sondern auch zu einem schweren Hemmniß der gewerblichen Entwickelung geworden. Aber dreierlei ist hierbei nicht zu vergessen: Erstens, daß der Verfall des Zunftwesens nicht ausschließlich ihm selbst, sondern großenteils den ungünstigen Zeitverhältnissen zuzuschreiben ist, und daß in dem Deutschland vor einem Menschenalter, noch mehr in dem Deutschland vor einem Jahrhundert auch uoch Anderes als das Zunftwesen im Itraurigsten Verfalle war; zweitens, daß die auf die alten Zünfte gewälzte UnPopularität großen¬ teils nicht sowohl diesen selbst als vielmehr dem polizeilichen Charakter galt, den die Zünfte nicht freiwillig auf sich genommen, sondern von den Regierungen oktroyirt erhalten hatten, und daß auch die vielgeschmähten „Zuuftmißbräuche" in ansehnlichem Umfange auf polizeistaatliche Einflüsse zurückzuführen sind (wir erinnern an den neuerlich geführten Nachweis, daß die allerdings heillose Ge¬ bührenwirthschaft, der französischen Zünfte ganz direkt auf die abscheulichen Erpressungen zurückzuführen ist, welche von Staatswegen gegen die Zünfte geübt wurden); und drittens, daß alle gegen die Mißbräuche und die verrotteten Formen des Zunftwesens sprechenden Gründe doch eben nur diesen Mißbräuchen und Unzeitgemäßheiten, nicht aber der Zunfteinrichtung als solcher gelten konnten, daß also nicht Aufhebung, sondern zeitgemäße Rekonstruktion der Zünfte die Loosung hätte sein müssen. In der That haben die am öffentlichen gewerblichen Leben sich betheiligenden Gewerbtreibenden nie unterlassen, zu betonen, daß nicht blos zerstört, sondern auch neu aufgebaut werden müsse, da irgend eine feste gewerbliche Form, irgend ein Organ der fachgewerblichen Spezial-Angelegen- heiten der Natur der Dinge nach nicht zu entbehren seien. Aber der nämliche, sich überall auf die „gute Natur" des Menschen verlassende Optimismus, welcher zum Wegräumen aller Schranken freier Niederlassung, freier Verehelichung, aller Schranken gegen das Ueberhandnehmen des Pfandleih- und Wuchergeschäfts, des Schankgewerbes, des Hausirbetriebs ;c. geführt hat, welcher die Theater¬ freiheit verkündet, welcher jeden Mißbrauch der Preßfreiheit bis in die abscheu¬ lichsten Ausartungen hinein — man denke an die massenhafte Erzeugung unsittlicher Schriften! — gewähren lassen zu müssen geglaubt hat — dieser nämliche Optimismus meinte auch auf gewerblichen Gebiete voraussetzen zu dürfen, daß die etwa nöthigen Ordnungen von selbst kommen würden. Im Hintergrunde stand freilich der Gedanke, das Handwerk habe überhaupt keine bleibende Berechtigung mehr, es könne höchstens während des sich unaufhalt- Grenzwteu IV. 187S. ö

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/61
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/61>, abgerufen am 23.07.2024.