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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Anstrengungen dorthin, bald zu gleicher Zeit, bald nach einander, der Wagen
rückt nicht von der Stelle, aber wird immer loser in seinem Gefüge. Revolu¬
tion, ein deutsches Reich mit einem österreichischen Erzherzog als Verweser,
Chaos, Versuche Preußens zu einem Bunde ohne Oesterreich, Reaktion dagegen
von Seiten des letzteren -- Olmütz! Oesterreich obenauf für länger als ein
Jahrzehnt. Langsam erholt sich Preußen von tiefem Fall. Noch 1863 auf dem
Frankfurter Fürstentage kann die Wiener Politik den Versuch wagen, ein
Großdeutschland herzustellen, welches ganz Oesterreich einschließt, und sich die
Hegemonie auch über den Norden zu sichern. Die Sache scheitert, weil Preußen
nicht zustimmt, wo inzwischen Bismarck mit seinem Scharfblick und feiner
Energie an die Spitze der Geschäfte getreten ist. Bald darauf Oesterreich und
Preußen Waffengenossen im Kriege um Schleswig-Holstein, Entzweiung beider,
da aus der Frage über die Herzogtümer die deutsche wieder ihr Haupt erhebt,
Auflösung des unnatürlichen deutschen Bundes, Krieg, rascher Sieg der Preußen
und ein neuer deutscher Bund, von welchem Oesterreich ausgeschlossen ist.
Bitterster Groll darüber in Wien, äußerste Entfremdung, Vorbereitung zu ge¬
legentlicher Wiedergewinnung der verlorenen Position, zu diesem Zwecke Ver¬
suche zu einer Allianz mit Napoleon, zunächst kein Verständniß sür den natur¬
gemäßen Gedanken des norddeutschen Staatsmannes, nach welchem die Habs¬
burgische Politik sich ihre Ziele fortan im Osten zu stecken habe, keinerlei
Geneigtheit zu einer Verständigung mit dem siegreich gewesenen Rivalen. Bis¬
marck dagegen schon am Tage des Sieges beflissen, dieser Verständigung durch
Mäßigung in den Friedensbedingungen den Weg offen zu halten. Oesterreich
verliert auf seinen Rath keine Quadratmeile Land, und die Geldentschädigung,
die ihm abgefordert wird, ist verhältnißmäßig geringfügig.

Kaum möglich ist es, Besiegte rücksichtsvoller zu behandeln, aber der hierbei
bethätigte Grundsatz echter Politik, nicht mehr zu nehmen, als man unbedingt
haben muß, wurde zwar von einem großen Theile der öffentlichen Meinung in
Oesterreich dadurch gewürdigt, daß man sich in das neue Verhältniß fand und
allmählich auf Rache für Sadowa und Nikolsburg verzichtete, aber, so lange
Beust Rathgeber des Kaisers war, nicht vom Wiener Kabinet. Noch im Sep¬
tember 1870 wurden Verständigungsversuche des deutschen Kanzlers von dort¬
her abgelehnt, und nur die Rücksicht auf Rußland und der Einspruch Andrassys,
der damals noch ungarischer Ministerpräsident war, verhinderten, daß man
Deutschland den Krieg erklärte.

Nicht eher als bis Andrassy an Beusts Stelle getreten war, wurde diese
Politik aufgegeben, und die Bestrebungen Bismarcks, zu einem freundschaftlichen
Verhältnisse zu dem Doppelreiche im Donaugebiete zu gelangen, hatten jetzt
auch in höheren Kreisen Erfolg. Aber erst der russisch-türkische Krieg, die Er-


Anstrengungen dorthin, bald zu gleicher Zeit, bald nach einander, der Wagen
rückt nicht von der Stelle, aber wird immer loser in seinem Gefüge. Revolu¬
tion, ein deutsches Reich mit einem österreichischen Erzherzog als Verweser,
Chaos, Versuche Preußens zu einem Bunde ohne Oesterreich, Reaktion dagegen
von Seiten des letzteren — Olmütz! Oesterreich obenauf für länger als ein
Jahrzehnt. Langsam erholt sich Preußen von tiefem Fall. Noch 1863 auf dem
Frankfurter Fürstentage kann die Wiener Politik den Versuch wagen, ein
Großdeutschland herzustellen, welches ganz Oesterreich einschließt, und sich die
Hegemonie auch über den Norden zu sichern. Die Sache scheitert, weil Preußen
nicht zustimmt, wo inzwischen Bismarck mit seinem Scharfblick und feiner
Energie an die Spitze der Geschäfte getreten ist. Bald darauf Oesterreich und
Preußen Waffengenossen im Kriege um Schleswig-Holstein, Entzweiung beider,
da aus der Frage über die Herzogtümer die deutsche wieder ihr Haupt erhebt,
Auflösung des unnatürlichen deutschen Bundes, Krieg, rascher Sieg der Preußen
und ein neuer deutscher Bund, von welchem Oesterreich ausgeschlossen ist.
Bitterster Groll darüber in Wien, äußerste Entfremdung, Vorbereitung zu ge¬
legentlicher Wiedergewinnung der verlorenen Position, zu diesem Zwecke Ver¬
suche zu einer Allianz mit Napoleon, zunächst kein Verständniß sür den natur¬
gemäßen Gedanken des norddeutschen Staatsmannes, nach welchem die Habs¬
burgische Politik sich ihre Ziele fortan im Osten zu stecken habe, keinerlei
Geneigtheit zu einer Verständigung mit dem siegreich gewesenen Rivalen. Bis¬
marck dagegen schon am Tage des Sieges beflissen, dieser Verständigung durch
Mäßigung in den Friedensbedingungen den Weg offen zu halten. Oesterreich
verliert auf seinen Rath keine Quadratmeile Land, und die Geldentschädigung,
die ihm abgefordert wird, ist verhältnißmäßig geringfügig.

Kaum möglich ist es, Besiegte rücksichtsvoller zu behandeln, aber der hierbei
bethätigte Grundsatz echter Politik, nicht mehr zu nehmen, als man unbedingt
haben muß, wurde zwar von einem großen Theile der öffentlichen Meinung in
Oesterreich dadurch gewürdigt, daß man sich in das neue Verhältniß fand und
allmählich auf Rache für Sadowa und Nikolsburg verzichtete, aber, so lange
Beust Rathgeber des Kaisers war, nicht vom Wiener Kabinet. Noch im Sep¬
tember 1870 wurden Verständigungsversuche des deutschen Kanzlers von dort¬
her abgelehnt, und nur die Rücksicht auf Rußland und der Einspruch Andrassys,
der damals noch ungarischer Ministerpräsident war, verhinderten, daß man
Deutschland den Krieg erklärte.

Nicht eher als bis Andrassy an Beusts Stelle getreten war, wurde diese
Politik aufgegeben, und die Bestrebungen Bismarcks, zu einem freundschaftlichen
Verhältnisse zu dem Doppelreiche im Donaugebiete zu gelangen, hatten jetzt
auch in höheren Kreisen Erfolg. Aber erst der russisch-türkische Krieg, die Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/6>, abgerufen am 23.07.2024.