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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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sofort zum Anlasse genommen werden, die ganze Idee in Bausch und Bogen
zu verdammen.

Als vor einigen Jahren zum ersten Male der Ruf nach "neuen Innungen"
erscholl, wurde derselbe in den Kreisen der hauptsächlichsten Träger unserer
öffentlichen Meinung kaum beachtet und im allgemeinen für eine bloße Kurio¬
sität gehalten, für eine weitere Nummer in dem Verzeichnisse der seltsamen
Blasen, welche die "Uebergangsperiode" treibe. Als der Ruf bald lauter und
lauter erscholl, wurde man zwar etwas aufmerksamer, aber meist nur um sich
mit bitterster Feindseligkeit gegen diesen Gedanken zu erklären, als gegen den
Gedanken einer Neubelebung mittelalterlicher Formen, einer Wiederherstellung
des Zunftwesens, eines Ankämpfens gegen die Grundsätze der Gewerbe- und
Niederlassungsfreiheit und wie die sonstigen, theils vom Standpunkte der bis¬
herigen prinzipiellen Anschauungsweise aus anscheinend gegebenen, theils durch
die Abneigung sich in einen so ganz neuen Jdeenkreis einzuleben bedingten,
theils endlich auch aus den über das Ziel hinausschießenden Auslassungen
mancher Verfechter der Jnnungsidee hergeleiteten Definitionen lauteten. Aber
mit dieser starren Negation kam man nicht vorwärts. Nicht nur griff die
Bewegung immer weiter um sich, nicht nur wurde es offenbar, daß die Idee
der Innungen wie ein elektrischer Funke von einem Kreise Gewerbtreibender
zum andern übersprang und sich weder durch Todtschweigen uoch durch die
schärfsten Angriffe unterdrücken oder auch nur an der Ausbreitung verhindern
ließ, sondern es wurde auch offenbar, daß gerade der gewerbliche Mittelstand
seinen bisherigen politischen Führern aller Orten ungehorsam zu werden sich
anschickte. Man begann stutzig zu werden, zumal da sich denn doch bei einiger
Befassung mit der Sache nicht leugnen ließ, daß die Uebelstände, gegen welche
die Jnnungsidee wirksam sein zu wollen versprach, wirklich vorhanden seien, und
daß die Unfähigkeit dieses Ideenkreises, in dem versprochenen Sinne etwas
auszurichten, doch nicht ohne ^weiteres behauptet werden könne, auch die ganze
Idee nach wesentlichen Seiten hin in das gerade von liberaler Seite so hoch¬
gehaltene Gebiet der "Selbsthilfe" und der "Selbstverwaltung" einschlage. Dann
trat ans einmal der neue Gedanke gewaltig in den Vordergrund. Ein bekannter
liberaler Politiker und Verwaltungsbeamter nahm sich seiner an und war
eifrig bemüht, die Zustimmung der leitenden politischen Kreise zu erwirken; ein
preußischer Minister erließ ein Rundschreiben an sämmtliche Staats- und
Kommunalbeamte, welches die Sache auf einmal vielen Tausenden in einem
ganz neuen Lichte erscheinen ließ und dieselbe, wenigstens für die gemäßigteren
liberalen Blätter, gleichsam "courfähig" machte -- hatte man es ja doch bis
dahin nicht anders gewußt, als daß von den neuen Innungen nur im Kreise
einiger verbissenen, für die Zeitentwickelung gar nicht mehr in Betracht kom-


sofort zum Anlasse genommen werden, die ganze Idee in Bausch und Bogen
zu verdammen.

Als vor einigen Jahren zum ersten Male der Ruf nach „neuen Innungen"
erscholl, wurde derselbe in den Kreisen der hauptsächlichsten Träger unserer
öffentlichen Meinung kaum beachtet und im allgemeinen für eine bloße Kurio¬
sität gehalten, für eine weitere Nummer in dem Verzeichnisse der seltsamen
Blasen, welche die „Uebergangsperiode" treibe. Als der Ruf bald lauter und
lauter erscholl, wurde man zwar etwas aufmerksamer, aber meist nur um sich
mit bitterster Feindseligkeit gegen diesen Gedanken zu erklären, als gegen den
Gedanken einer Neubelebung mittelalterlicher Formen, einer Wiederherstellung
des Zunftwesens, eines Ankämpfens gegen die Grundsätze der Gewerbe- und
Niederlassungsfreiheit und wie die sonstigen, theils vom Standpunkte der bis¬
herigen prinzipiellen Anschauungsweise aus anscheinend gegebenen, theils durch
die Abneigung sich in einen so ganz neuen Jdeenkreis einzuleben bedingten,
theils endlich auch aus den über das Ziel hinausschießenden Auslassungen
mancher Verfechter der Jnnungsidee hergeleiteten Definitionen lauteten. Aber
mit dieser starren Negation kam man nicht vorwärts. Nicht nur griff die
Bewegung immer weiter um sich, nicht nur wurde es offenbar, daß die Idee
der Innungen wie ein elektrischer Funke von einem Kreise Gewerbtreibender
zum andern übersprang und sich weder durch Todtschweigen uoch durch die
schärfsten Angriffe unterdrücken oder auch nur an der Ausbreitung verhindern
ließ, sondern es wurde auch offenbar, daß gerade der gewerbliche Mittelstand
seinen bisherigen politischen Führern aller Orten ungehorsam zu werden sich
anschickte. Man begann stutzig zu werden, zumal da sich denn doch bei einiger
Befassung mit der Sache nicht leugnen ließ, daß die Uebelstände, gegen welche
die Jnnungsidee wirksam sein zu wollen versprach, wirklich vorhanden seien, und
daß die Unfähigkeit dieses Ideenkreises, in dem versprochenen Sinne etwas
auszurichten, doch nicht ohne ^weiteres behauptet werden könne, auch die ganze
Idee nach wesentlichen Seiten hin in das gerade von liberaler Seite so hoch¬
gehaltene Gebiet der „Selbsthilfe" und der „Selbstverwaltung" einschlage. Dann
trat ans einmal der neue Gedanke gewaltig in den Vordergrund. Ein bekannter
liberaler Politiker und Verwaltungsbeamter nahm sich seiner an und war
eifrig bemüht, die Zustimmung der leitenden politischen Kreise zu erwirken; ein
preußischer Minister erließ ein Rundschreiben an sämmtliche Staats- und
Kommunalbeamte, welches die Sache auf einmal vielen Tausenden in einem
ganz neuen Lichte erscheinen ließ und dieselbe, wenigstens für die gemäßigteren
liberalen Blätter, gleichsam „courfähig" machte — hatte man es ja doch bis
dahin nicht anders gewußt, als daß von den neuen Innungen nur im Kreise
einiger verbissenen, für die Zeitentwickelung gar nicht mehr in Betracht kom-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/59>, abgerufen am 03.07.2024.