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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Verhältnisse der Geistlichen waren vielfach trauriger Art, während die Kloster-
leute^ sich überreichlicher Einnahmen erfreuten. Das stiftungsmäßige Vermögen
wurde den Weltgeistlichen oft durch die Gemeinde, oft durch den adelichen
Patron entzogen. Seit den Bauernkriegen glaubten viele Pfarrkinder sich aller
Verpflichtungen gegen dieselben enthoben. Dann blieb letzteren nur Feld und
Wiese, wenn sie die Bewirthschaftung derselben ermöglichen konnten. Ueberblicke
man die große Menge der kleineren Bezüge, die der Geistliche selbst eintreiben
mußte, so begreift man den Mangel, den er bei herrschender Saumseligkeit
erlitt. "Nicht allein," sagt der Verfasser, "war es der Bezug niedriger Taus-,
Trau- und Begrülmißkosten, Kommuniongebühren u. tgi., die drückend erschienen,
sondern es war ein beständiges Decemgeschäft, dem der Geistliche um der Exi¬
stenz willen fortwährend seine Aufmerksamkeit widmen mußte. Bezog er doch
an manchen Orten von jedem Kinde eine Abgabe, auch wenn er ihm geistliche
Pflege nicht angedeihen ließ. Hier mußte er den Mohnnäpfen, dort den Kuh-
und Wachszinsen nachgehen. In Oberzöbern bekam er von jedem Fasse ver¬
schenkten Bieres eine Kcmdel, hier spielten das Füllhuhn und das Gartenhuhn
von jedem Hause, dort der Haide- und Flachszehnd eine Rolle, der Eier bei
Kommunionen, des Heiligen Abends, der ,Evaugelienkäse^ und anderer lästiger
Abgaben gar nicht zu gedenken. Daneben hatte der Geistliche um das lebende
Inventar zu sorgen, das je nach dem Einkommen der Stelle in einer Anzahl
von Kühen und Schafen bestand. Gingen diese ab, so war er der Gemeinde
Ersatz schuldig. Oft traf er die bestimmte Anzahl auf der Pfarre nicht an,
zum Theil war das Vieh bereits veräußert und das Geld zur Ausbesserung
des baufällig gewordenen Pfarrhauses verwendet."

Auch mit der Schule stand es nicht besonders gut. Nur die Städte be¬
saßen Knabenschulen, in Weida gab es auch eine Mädchenschule, die zu dem
dortigen Nonnenkloster gehörte. Es mangelte an Lehrern; wo solche waren,
hingen sie vom Geistlichen ab, der sie beköstigte und besoldete. Das Schulgeld
kam kaum in Betracht: die vierteljährlich 16 Pfennige bis 2 Groschen, die hie und
da gezahlt wurden, fielen umsoweniger ins Gewicht, als die Ortschaften nicht
volkreich waren und Schulbildung unter dem Volke nicht viel galt.

Die Visitation des thüringischen Kreises an der Saale zeigte sehr wenig
erfreuliche Zustände. Thüringen hatte durch das Sektenwesen und den Bauern¬
krieg viel gelitten, auch saß hie und da der Papismus noch ziemlich fest. Viele
Geistliche waren Papisten und Lutheraner zugleich, der dritte Theil des Klerus
erschien ganz untauglich. Karlstadts Ketzerei hatte sich von Orlamünde, ihrem
Hauptsitz aus, weit und breit Anhänger gewonnen. Betrübend war, mit welcher
elenden Vorbildung man sich um Pfarrstellen bewerben zu dürfen glaubte. Ein
Kandidat für die Pfarrstelle von Seitenrode kannte nicht einmal die zehn Ge-


Verhältnisse der Geistlichen waren vielfach trauriger Art, während die Kloster-
leute^ sich überreichlicher Einnahmen erfreuten. Das stiftungsmäßige Vermögen
wurde den Weltgeistlichen oft durch die Gemeinde, oft durch den adelichen
Patron entzogen. Seit den Bauernkriegen glaubten viele Pfarrkinder sich aller
Verpflichtungen gegen dieselben enthoben. Dann blieb letzteren nur Feld und
Wiese, wenn sie die Bewirthschaftung derselben ermöglichen konnten. Ueberblicke
man die große Menge der kleineren Bezüge, die der Geistliche selbst eintreiben
mußte, so begreift man den Mangel, den er bei herrschender Saumseligkeit
erlitt. „Nicht allein," sagt der Verfasser, „war es der Bezug niedriger Taus-,
Trau- und Begrülmißkosten, Kommuniongebühren u. tgi., die drückend erschienen,
sondern es war ein beständiges Decemgeschäft, dem der Geistliche um der Exi¬
stenz willen fortwährend seine Aufmerksamkeit widmen mußte. Bezog er doch
an manchen Orten von jedem Kinde eine Abgabe, auch wenn er ihm geistliche
Pflege nicht angedeihen ließ. Hier mußte er den Mohnnäpfen, dort den Kuh-
und Wachszinsen nachgehen. In Oberzöbern bekam er von jedem Fasse ver¬
schenkten Bieres eine Kcmdel, hier spielten das Füllhuhn und das Gartenhuhn
von jedem Hause, dort der Haide- und Flachszehnd eine Rolle, der Eier bei
Kommunionen, des Heiligen Abends, der ,Evaugelienkäse^ und anderer lästiger
Abgaben gar nicht zu gedenken. Daneben hatte der Geistliche um das lebende
Inventar zu sorgen, das je nach dem Einkommen der Stelle in einer Anzahl
von Kühen und Schafen bestand. Gingen diese ab, so war er der Gemeinde
Ersatz schuldig. Oft traf er die bestimmte Anzahl auf der Pfarre nicht an,
zum Theil war das Vieh bereits veräußert und das Geld zur Ausbesserung
des baufällig gewordenen Pfarrhauses verwendet."

Auch mit der Schule stand es nicht besonders gut. Nur die Städte be¬
saßen Knabenschulen, in Weida gab es auch eine Mädchenschule, die zu dem
dortigen Nonnenkloster gehörte. Es mangelte an Lehrern; wo solche waren,
hingen sie vom Geistlichen ab, der sie beköstigte und besoldete. Das Schulgeld
kam kaum in Betracht: die vierteljährlich 16 Pfennige bis 2 Groschen, die hie und
da gezahlt wurden, fielen umsoweniger ins Gewicht, als die Ortschaften nicht
volkreich waren und Schulbildung unter dem Volke nicht viel galt.

Die Visitation des thüringischen Kreises an der Saale zeigte sehr wenig
erfreuliche Zustände. Thüringen hatte durch das Sektenwesen und den Bauern¬
krieg viel gelitten, auch saß hie und da der Papismus noch ziemlich fest. Viele
Geistliche waren Papisten und Lutheraner zugleich, der dritte Theil des Klerus
erschien ganz untauglich. Karlstadts Ketzerei hatte sich von Orlamünde, ihrem
Hauptsitz aus, weit und breit Anhänger gewonnen. Betrübend war, mit welcher
elenden Vorbildung man sich um Pfarrstellen bewerben zu dürfen glaubte. Ein
Kandidat für die Pfarrstelle von Seitenrode kannte nicht einmal die zehn Ge-


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[0543] Verhältnisse der Geistlichen waren vielfach trauriger Art, während die Kloster- leute^ sich überreichlicher Einnahmen erfreuten. Das stiftungsmäßige Vermögen wurde den Weltgeistlichen oft durch die Gemeinde, oft durch den adelichen Patron entzogen. Seit den Bauernkriegen glaubten viele Pfarrkinder sich aller Verpflichtungen gegen dieselben enthoben. Dann blieb letzteren nur Feld und Wiese, wenn sie die Bewirthschaftung derselben ermöglichen konnten. Ueberblicke man die große Menge der kleineren Bezüge, die der Geistliche selbst eintreiben mußte, so begreift man den Mangel, den er bei herrschender Saumseligkeit erlitt. „Nicht allein," sagt der Verfasser, „war es der Bezug niedriger Taus-, Trau- und Begrülmißkosten, Kommuniongebühren u. tgi., die drückend erschienen, sondern es war ein beständiges Decemgeschäft, dem der Geistliche um der Exi¬ stenz willen fortwährend seine Aufmerksamkeit widmen mußte. Bezog er doch an manchen Orten von jedem Kinde eine Abgabe, auch wenn er ihm geistliche Pflege nicht angedeihen ließ. Hier mußte er den Mohnnäpfen, dort den Kuh- und Wachszinsen nachgehen. In Oberzöbern bekam er von jedem Fasse ver¬ schenkten Bieres eine Kcmdel, hier spielten das Füllhuhn und das Gartenhuhn von jedem Hause, dort der Haide- und Flachszehnd eine Rolle, der Eier bei Kommunionen, des Heiligen Abends, der ,Evaugelienkäse^ und anderer lästiger Abgaben gar nicht zu gedenken. Daneben hatte der Geistliche um das lebende Inventar zu sorgen, das je nach dem Einkommen der Stelle in einer Anzahl von Kühen und Schafen bestand. Gingen diese ab, so war er der Gemeinde Ersatz schuldig. Oft traf er die bestimmte Anzahl auf der Pfarre nicht an, zum Theil war das Vieh bereits veräußert und das Geld zur Ausbesserung des baufällig gewordenen Pfarrhauses verwendet." Auch mit der Schule stand es nicht besonders gut. Nur die Städte be¬ saßen Knabenschulen, in Weida gab es auch eine Mädchenschule, die zu dem dortigen Nonnenkloster gehörte. Es mangelte an Lehrern; wo solche waren, hingen sie vom Geistlichen ab, der sie beköstigte und besoldete. Das Schulgeld kam kaum in Betracht: die vierteljährlich 16 Pfennige bis 2 Groschen, die hie und da gezahlt wurden, fielen umsoweniger ins Gewicht, als die Ortschaften nicht volkreich waren und Schulbildung unter dem Volke nicht viel galt. Die Visitation des thüringischen Kreises an der Saale zeigte sehr wenig erfreuliche Zustände. Thüringen hatte durch das Sektenwesen und den Bauern¬ krieg viel gelitten, auch saß hie und da der Papismus noch ziemlich fest. Viele Geistliche waren Papisten und Lutheraner zugleich, der dritte Theil des Klerus erschien ganz untauglich. Karlstadts Ketzerei hatte sich von Orlamünde, ihrem Hauptsitz aus, weit und breit Anhänger gewonnen. Betrübend war, mit welcher elenden Vorbildung man sich um Pfarrstellen bewerben zu dürfen glaubte. Ein Kandidat für die Pfarrstelle von Seitenrode kannte nicht einmal die zehn Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/543>, abgerufen am 23.07.2024.