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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Vergleichsweise recht gut stand es mit den kirchlichen Verhältnissen in
den Gegenden von Zwickau, Werden und Crimmitzschau, die im Januar 1529
der Visitation unterzogen wurden, und die sich der Reformation sehr günstig
gezeigt hatten. Von den 91 Geistlichen, die hier wirkten, konnte 42 die erste,
19 die zweite, 15 die dritte und 12 die vierte Censur ertheilt werdeu. Indeß
fehlte es auch hier nicht an verdrießlichen Erfahrungen. "Was darf's vieler
Worte," entgegnete der Pfarrer zu Mosel den Visitatoren, "ich will von der
römischen Kirche nicht abstehen." Er wie sein Kollege in Langenbernsdorf hatte
noch eine Zuhülterin im Hause. In Plohn fand man einen gänzlich ungeschickten
Geistlichen, der 42 Dienstjahre hinter sich hatte. In Zschocken wirkte als
Pfarrer gar ein Kcmdiot, der mit Mühe und Noth den Anforderungen der
Visitation genügte. Auch sonst stieß man auf "unbrauchbare feiste Papisten".
Ausgezeichnet bestellt war es mit Kirche und Schule in der Stadt Zwickau, wo
eine vorzügliche städtische Verwaltung bestand, und wo in der Schule sogar
Griechisch und Hebräisch gelehrt wurde. Doch gab es hier noch einige An¬
hänger der wiedertäuferischen Propheten, die das Sakrament "Ackerment" schalten,
denen die Taufe ein "Hundsbad" war, und welche die Ehe als Unzucht ver¬
schmähten. In andern Städten und auf dem Lande ließen die Zustände zu
wünschen übrig. Die Schule in Crimmitzschau hatte kein Einkommen, die Buch-
holzer Pfarre keinerlei Vermögen. Der Geistliche bezog wöchentlich einen
Gulden Besoldung und jährlich fünf Gulden Holzgeld, indeß besaß er die
Braugerechtigkeit, und Burkhardt hält für möglich, daß er sein Bier auch selbst
ausgeschenkt hat. Wie der kirchliche Sinn abgenommen hatte, ersah man in
Hirschfeld, wo vier Jahre lang nicht ein Schock (Groschen) gefallen war, wäh¬
rend früher in einem Jahre mehr eingekommen.

Als die Visitatoren des Vogtlandes ihre Untersuchungen weiter ausdehnte"
und die Aemter Vogtsberg, Plauen, Weida und Ronneburg prüften, ergab sich,
daß das Papstthum im letztgenannten am meisten an Boden verloren hatte.
Kaum der dritte Theil der Geistlichen hing hier dem alten Glauben noch an
oder erwies sich für den lutherischen Pfarrdienst ungenügend. Fast gleiche Be-
wandtniß hatte es mit den Aemtern Vogtsberg und Planen, wogegen Weida
unter dem Einfluß des dort herrschenden Klosterwesens weit mehr Untüchtige
hatte. Viele derselben hielten den katholischen Ritus uoch aufrecht und führten
ein ärgerliches Leben mit Konkubinen. Der Pfarrer von Kauern war mehr
Hasenjäger als Geistlicher, der in Straßberg war Tuchmachergeselle und Deutsch¬
ordensherr, der zu Musei erst Bueler, dann Feldschreiber während des Zwickauer
Bauern-Aufruhrs gewesen. Viele Gemeinden führten ein sittenloses Leben, und
mancher Ort, z. B. Untertriebet, hatte sich durch Gotteslästerung und gewohn¬
heitsmäßigen Ehebruch weithin einen üblen Namen gemacht. Die materiellen


Vergleichsweise recht gut stand es mit den kirchlichen Verhältnissen in
den Gegenden von Zwickau, Werden und Crimmitzschau, die im Januar 1529
der Visitation unterzogen wurden, und die sich der Reformation sehr günstig
gezeigt hatten. Von den 91 Geistlichen, die hier wirkten, konnte 42 die erste,
19 die zweite, 15 die dritte und 12 die vierte Censur ertheilt werdeu. Indeß
fehlte es auch hier nicht an verdrießlichen Erfahrungen. „Was darf's vieler
Worte," entgegnete der Pfarrer zu Mosel den Visitatoren, „ich will von der
römischen Kirche nicht abstehen." Er wie sein Kollege in Langenbernsdorf hatte
noch eine Zuhülterin im Hause. In Plohn fand man einen gänzlich ungeschickten
Geistlichen, der 42 Dienstjahre hinter sich hatte. In Zschocken wirkte als
Pfarrer gar ein Kcmdiot, der mit Mühe und Noth den Anforderungen der
Visitation genügte. Auch sonst stieß man auf „unbrauchbare feiste Papisten".
Ausgezeichnet bestellt war es mit Kirche und Schule in der Stadt Zwickau, wo
eine vorzügliche städtische Verwaltung bestand, und wo in der Schule sogar
Griechisch und Hebräisch gelehrt wurde. Doch gab es hier noch einige An¬
hänger der wiedertäuferischen Propheten, die das Sakrament „Ackerment" schalten,
denen die Taufe ein „Hundsbad" war, und welche die Ehe als Unzucht ver¬
schmähten. In andern Städten und auf dem Lande ließen die Zustände zu
wünschen übrig. Die Schule in Crimmitzschau hatte kein Einkommen, die Buch-
holzer Pfarre keinerlei Vermögen. Der Geistliche bezog wöchentlich einen
Gulden Besoldung und jährlich fünf Gulden Holzgeld, indeß besaß er die
Braugerechtigkeit, und Burkhardt hält für möglich, daß er sein Bier auch selbst
ausgeschenkt hat. Wie der kirchliche Sinn abgenommen hatte, ersah man in
Hirschfeld, wo vier Jahre lang nicht ein Schock (Groschen) gefallen war, wäh¬
rend früher in einem Jahre mehr eingekommen.

Als die Visitatoren des Vogtlandes ihre Untersuchungen weiter ausdehnte»
und die Aemter Vogtsberg, Plauen, Weida und Ronneburg prüften, ergab sich,
daß das Papstthum im letztgenannten am meisten an Boden verloren hatte.
Kaum der dritte Theil der Geistlichen hing hier dem alten Glauben noch an
oder erwies sich für den lutherischen Pfarrdienst ungenügend. Fast gleiche Be-
wandtniß hatte es mit den Aemtern Vogtsberg und Planen, wogegen Weida
unter dem Einfluß des dort herrschenden Klosterwesens weit mehr Untüchtige
hatte. Viele derselben hielten den katholischen Ritus uoch aufrecht und führten
ein ärgerliches Leben mit Konkubinen. Der Pfarrer von Kauern war mehr
Hasenjäger als Geistlicher, der in Straßberg war Tuchmachergeselle und Deutsch¬
ordensherr, der zu Musei erst Bueler, dann Feldschreiber während des Zwickauer
Bauern-Aufruhrs gewesen. Viele Gemeinden führten ein sittenloses Leben, und
mancher Ort, z. B. Untertriebet, hatte sich durch Gotteslästerung und gewohn¬
heitsmäßigen Ehebruch weithin einen üblen Namen gemacht. Die materiellen


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[0542] Vergleichsweise recht gut stand es mit den kirchlichen Verhältnissen in den Gegenden von Zwickau, Werden und Crimmitzschau, die im Januar 1529 der Visitation unterzogen wurden, und die sich der Reformation sehr günstig gezeigt hatten. Von den 91 Geistlichen, die hier wirkten, konnte 42 die erste, 19 die zweite, 15 die dritte und 12 die vierte Censur ertheilt werdeu. Indeß fehlte es auch hier nicht an verdrießlichen Erfahrungen. „Was darf's vieler Worte," entgegnete der Pfarrer zu Mosel den Visitatoren, „ich will von der römischen Kirche nicht abstehen." Er wie sein Kollege in Langenbernsdorf hatte noch eine Zuhülterin im Hause. In Plohn fand man einen gänzlich ungeschickten Geistlichen, der 42 Dienstjahre hinter sich hatte. In Zschocken wirkte als Pfarrer gar ein Kcmdiot, der mit Mühe und Noth den Anforderungen der Visitation genügte. Auch sonst stieß man auf „unbrauchbare feiste Papisten". Ausgezeichnet bestellt war es mit Kirche und Schule in der Stadt Zwickau, wo eine vorzügliche städtische Verwaltung bestand, und wo in der Schule sogar Griechisch und Hebräisch gelehrt wurde. Doch gab es hier noch einige An¬ hänger der wiedertäuferischen Propheten, die das Sakrament „Ackerment" schalten, denen die Taufe ein „Hundsbad" war, und welche die Ehe als Unzucht ver¬ schmähten. In andern Städten und auf dem Lande ließen die Zustände zu wünschen übrig. Die Schule in Crimmitzschau hatte kein Einkommen, die Buch- holzer Pfarre keinerlei Vermögen. Der Geistliche bezog wöchentlich einen Gulden Besoldung und jährlich fünf Gulden Holzgeld, indeß besaß er die Braugerechtigkeit, und Burkhardt hält für möglich, daß er sein Bier auch selbst ausgeschenkt hat. Wie der kirchliche Sinn abgenommen hatte, ersah man in Hirschfeld, wo vier Jahre lang nicht ein Schock (Groschen) gefallen war, wäh¬ rend früher in einem Jahre mehr eingekommen. Als die Visitatoren des Vogtlandes ihre Untersuchungen weiter ausdehnte» und die Aemter Vogtsberg, Plauen, Weida und Ronneburg prüften, ergab sich, daß das Papstthum im letztgenannten am meisten an Boden verloren hatte. Kaum der dritte Theil der Geistlichen hing hier dem alten Glauben noch an oder erwies sich für den lutherischen Pfarrdienst ungenügend. Fast gleiche Be- wandtniß hatte es mit den Aemtern Vogtsberg und Planen, wogegen Weida unter dem Einfluß des dort herrschenden Klosterwesens weit mehr Untüchtige hatte. Viele derselben hielten den katholischen Ritus uoch aufrecht und führten ein ärgerliches Leben mit Konkubinen. Der Pfarrer von Kauern war mehr Hasenjäger als Geistlicher, der in Straßberg war Tuchmachergeselle und Deutsch¬ ordensherr, der zu Musei erst Bueler, dann Feldschreiber während des Zwickauer Bauern-Aufruhrs gewesen. Viele Gemeinden führten ein sittenloses Leben, und mancher Ort, z. B. Untertriebet, hatte sich durch Gotteslästerung und gewohn¬ heitsmäßigen Ehebruch weithin einen üblen Namen gemacht. Die materiellen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/542>, abgerufen am 23.07.2024.