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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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wieder in ein widriges Abhängigkeitsverhältniß zu ihren Pfarrkindern brachte,
weil sie dabei auf die Hilfe derselben durch Frohndienste angewiesen waren.
Noch trauriger war die Lage derer, die weder Aecker noch Wiesen und auch
keinen Decem hatten, sondern auf Naturalbezüge angewiesen waren, die nicht
selten ausblieben und auf lässige und bisweilen ärgerliche Weise von den einzelnen
Gemeindegliedern eingefordert werden mußten. Dahin gehörte in Lohma das
"Zehndbrot", in Wildenborten das "Sprengbrot" und in Hartroda der "Korn-
zehnd". An anderen Orten, z. B. in Borna, bezog der Pfarrer das "Sichel¬
geld" und den "Meßheller", und hie und da war das Sprengbrot oder das
Weihnachtsbrot schon in eine kleine Geldabgabe verwandelt. Schon aus der
Verschiedenheit dieser Einnahmen ergeben sich die Schwierigkeiten, denen der
Geistliche bei persönlicher Einsorderung derselben begegnete. Gänzlich in den
Hintergrund trat bei dieser Visitation das Schicksal der Schulen, deren es hier
fast uur in den Städten gab, während in den Dörfern, wenn überhaupt jemand,
der Gemeindehirt unterrichtete, der zugleich Küster war.

Aus der Visitation der fränkischen Landestheile ergibt sich, daß von den
137 Geistlichen derselben 31 gut, 26 mittelmäßig, 24 untauglich und die übrigen,
meist Vikare, ohne Censur waren. Die Untauglichen waren theils der neuen
Lehre feindlich, theils trugen sie auf beiden Achseln, theils waren sie, wie die
zu Westhauser und Ricks, Säufer und Spieler. In Unfinden lehrte der Pfarrer
das neue Evangelium, las aber auch Messe und brauchte das Weihwasser.
Sich zu verehelichen hielt er für ein Wagniß. Fast ein Drittel der Geistlichen
lebte mit Konkubinen, die man hie und da aus Furcht vor Entlassung durch
die Visitatoren rasch heirathete, Der Pfarrherr zu Hellingen erklärte offen,
er habe die Verehelichung hinausgeschoben, weil er beim Ableben der alten
Zuhälterin "lieber eine Junge" heirathen möchte. In Ahorn entpuppte sich der
Pastor als Leinweber, sein Einkommen von der Pfarrstelle betrug nur 2 Gulden,
d. h. etwa 36 Mark unsrer Währung. Sein Amtsbruder in Veilsdorf war
selten zu Hause, da er seiner Nahrung nachgehen mußte. In Unterländer war
der Geistliche, der auf keine Frage Antwort zu geben vermochte, auf Verwendung
des Kurfürsten zum Amte gelangt, weil er sein Erbe an die Kirche abgetre¬
ten hatte.

So war an allen Enden Elends genug. Schon die materielle Lage zu
bessern erheischte große Mühe, noch mehr aber die Einsetzung tüchtiger Persön¬
lichkeiten, an denen es liberal! mangelte, namentlich da, wo Stellen an Bis-
thümer grenzten, und wo in Folge dessen lutherische Prediger in Lebensgefahr
waren. Besser war es mit den Schulen bestellt. In den Städten waren diese
noch in vollem Gange, und selbst auf den Dörfern gab es Schulen in hinrei¬
chender Zahl.


Grenzboten IV. l"79> 7,

wieder in ein widriges Abhängigkeitsverhältniß zu ihren Pfarrkindern brachte,
weil sie dabei auf die Hilfe derselben durch Frohndienste angewiesen waren.
Noch trauriger war die Lage derer, die weder Aecker noch Wiesen und auch
keinen Decem hatten, sondern auf Naturalbezüge angewiesen waren, die nicht
selten ausblieben und auf lässige und bisweilen ärgerliche Weise von den einzelnen
Gemeindegliedern eingefordert werden mußten. Dahin gehörte in Lohma das
„Zehndbrot", in Wildenborten das „Sprengbrot" und in Hartroda der „Korn-
zehnd". An anderen Orten, z. B. in Borna, bezog der Pfarrer das „Sichel¬
geld" und den „Meßheller", und hie und da war das Sprengbrot oder das
Weihnachtsbrot schon in eine kleine Geldabgabe verwandelt. Schon aus der
Verschiedenheit dieser Einnahmen ergeben sich die Schwierigkeiten, denen der
Geistliche bei persönlicher Einsorderung derselben begegnete. Gänzlich in den
Hintergrund trat bei dieser Visitation das Schicksal der Schulen, deren es hier
fast uur in den Städten gab, während in den Dörfern, wenn überhaupt jemand,
der Gemeindehirt unterrichtete, der zugleich Küster war.

Aus der Visitation der fränkischen Landestheile ergibt sich, daß von den
137 Geistlichen derselben 31 gut, 26 mittelmäßig, 24 untauglich und die übrigen,
meist Vikare, ohne Censur waren. Die Untauglichen waren theils der neuen
Lehre feindlich, theils trugen sie auf beiden Achseln, theils waren sie, wie die
zu Westhauser und Ricks, Säufer und Spieler. In Unfinden lehrte der Pfarrer
das neue Evangelium, las aber auch Messe und brauchte das Weihwasser.
Sich zu verehelichen hielt er für ein Wagniß. Fast ein Drittel der Geistlichen
lebte mit Konkubinen, die man hie und da aus Furcht vor Entlassung durch
die Visitatoren rasch heirathete, Der Pfarrherr zu Hellingen erklärte offen,
er habe die Verehelichung hinausgeschoben, weil er beim Ableben der alten
Zuhälterin „lieber eine Junge" heirathen möchte. In Ahorn entpuppte sich der
Pastor als Leinweber, sein Einkommen von der Pfarrstelle betrug nur 2 Gulden,
d. h. etwa 36 Mark unsrer Währung. Sein Amtsbruder in Veilsdorf war
selten zu Hause, da er seiner Nahrung nachgehen mußte. In Unterländer war
der Geistliche, der auf keine Frage Antwort zu geben vermochte, auf Verwendung
des Kurfürsten zum Amte gelangt, weil er sein Erbe an die Kirche abgetre¬
ten hatte.

So war an allen Enden Elends genug. Schon die materielle Lage zu
bessern erheischte große Mühe, noch mehr aber die Einsetzung tüchtiger Persön¬
lichkeiten, an denen es liberal! mangelte, namentlich da, wo Stellen an Bis-
thümer grenzten, und wo in Folge dessen lutherische Prediger in Lebensgefahr
waren. Besser war es mit den Schulen bestellt. In den Städten waren diese
noch in vollem Gange, und selbst auf den Dörfern gab es Schulen in hinrei¬
chender Zahl.


Grenzboten IV. l«79> 7,
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[0541] wieder in ein widriges Abhängigkeitsverhältniß zu ihren Pfarrkindern brachte, weil sie dabei auf die Hilfe derselben durch Frohndienste angewiesen waren. Noch trauriger war die Lage derer, die weder Aecker noch Wiesen und auch keinen Decem hatten, sondern auf Naturalbezüge angewiesen waren, die nicht selten ausblieben und auf lässige und bisweilen ärgerliche Weise von den einzelnen Gemeindegliedern eingefordert werden mußten. Dahin gehörte in Lohma das „Zehndbrot", in Wildenborten das „Sprengbrot" und in Hartroda der „Korn- zehnd". An anderen Orten, z. B. in Borna, bezog der Pfarrer das „Sichel¬ geld" und den „Meßheller", und hie und da war das Sprengbrot oder das Weihnachtsbrot schon in eine kleine Geldabgabe verwandelt. Schon aus der Verschiedenheit dieser Einnahmen ergeben sich die Schwierigkeiten, denen der Geistliche bei persönlicher Einsorderung derselben begegnete. Gänzlich in den Hintergrund trat bei dieser Visitation das Schicksal der Schulen, deren es hier fast uur in den Städten gab, während in den Dörfern, wenn überhaupt jemand, der Gemeindehirt unterrichtete, der zugleich Küster war. Aus der Visitation der fränkischen Landestheile ergibt sich, daß von den 137 Geistlichen derselben 31 gut, 26 mittelmäßig, 24 untauglich und die übrigen, meist Vikare, ohne Censur waren. Die Untauglichen waren theils der neuen Lehre feindlich, theils trugen sie auf beiden Achseln, theils waren sie, wie die zu Westhauser und Ricks, Säufer und Spieler. In Unfinden lehrte der Pfarrer das neue Evangelium, las aber auch Messe und brauchte das Weihwasser. Sich zu verehelichen hielt er für ein Wagniß. Fast ein Drittel der Geistlichen lebte mit Konkubinen, die man hie und da aus Furcht vor Entlassung durch die Visitatoren rasch heirathete, Der Pfarrherr zu Hellingen erklärte offen, er habe die Verehelichung hinausgeschoben, weil er beim Ableben der alten Zuhälterin „lieber eine Junge" heirathen möchte. In Ahorn entpuppte sich der Pastor als Leinweber, sein Einkommen von der Pfarrstelle betrug nur 2 Gulden, d. h. etwa 36 Mark unsrer Währung. Sein Amtsbruder in Veilsdorf war selten zu Hause, da er seiner Nahrung nachgehen mußte. In Unterländer war der Geistliche, der auf keine Frage Antwort zu geben vermochte, auf Verwendung des Kurfürsten zum Amte gelangt, weil er sein Erbe an die Kirche abgetre¬ ten hatte. So war an allen Enden Elends genug. Schon die materielle Lage zu bessern erheischte große Mühe, noch mehr aber die Einsetzung tüchtiger Persön¬ lichkeiten, an denen es liberal! mangelte, namentlich da, wo Stellen an Bis- thümer grenzten, und wo in Folge dessen lutherische Prediger in Lebensgefahr waren. Besser war es mit den Schulen bestellt. In den Städten waren diese noch in vollem Gange, und selbst auf den Dörfern gab es Schulen in hinrei¬ chender Zahl. Grenzboten IV. l«79> 7,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/541>, abgerufen am 23.07.2024.