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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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und die Vertretung der Angehörigen desselben harmonisch zusammenwirken,
einander ergänzen, nicht einander bekämpfen und deshalb nicht jede Gelegenheit
ergreifen sollen, die Sphäre ihrer Macht auf Kosten des anderen Theiles zu
erweitern, und weil wir serner bestimmt anzunehmen Grund haben, daß der
Reichskanzler diese unsere Auffassung des Verhältnisses der beiden Faktoren
unseres parlamentarischen Lebens theilt. Nur die, welche im Reichstage vor
allem streiten und erobern wollen, nur die, welche in der Bestimmung alljähr¬
licher Feststellung des Reichshaushalts eine Waffe erblicken, können in der
Verlängerung der Etats- und Legislaturperiode eine Störung ihrer Pläne und
eine Schädigung ihrer Interessen sehen. Andere werden den Vorschlag, falls
er sich mit praktischen Gründen empfehlen läßt, nicht ablehnen können, und
solche Gründe lassen sich in der That anführen, während die Beschränkung des
gegenwärtigen Budgetrechts uur die zeitliche Geltendmachung desselben betrifft
und deshalb kaum eine Gefahr in sich birgt. Ohne Zustimmung der Volks¬
vertretung darf die Regierung auch in Zukunft keinen Pfennig verwenden, und
die Kontrole über die Verwendung der bewilligten Gelder wird durch die
Neuerung nicht im mindesten geschmälert. Dagegen verdient Folgendes ent¬
schieden Berücksichtigung.

Deutschland als Ganzes ist erst seit dreizehn Jahren ein Staat mit kon¬
stitutioneller Regierungsform. Auf die lange Entbehrung ist aber eine Ueber¬
fülle gefolgt, deren Bewältigung ermüdet und schwächt, ja mit Erstickung bedroht.
Wenige sind, die nicht empfinden und zugestehen, daß der parlamentarische
Apparat in Deutschland viel zu komplizirt ist, und daß er eine Menge von
Arbeitskraft verbraucht, die kaum beschafft werden kann. Selbst ein Blatt wie
die "Frankfurter Zeitung" gibt das zu, wenn sie sagt: "In der That sind
die Unzuträglichkeiten des jetzigen Zustandes groß: wir kommen aus den par¬
lamentarischen Verhandlungen nicht heraus, und diese selbst leiden am meisten
bei dem Drängen und Hasten (welches ohne Zweifel einen großen Theil der
Mißgriffe und Ueverstürznngen in der Gesetzgebung namentlich auf Volkswirth-
schaftlichen Gebiete veranlaßt hat). Der Parlamentarismus droht in einen
Zustand der Versumpfung zu gerathen, der die schlimmsten Gefahren für unser
politisches Leben birgt. Der Parlamentarier muß bei der Ueberanstrengung,
die ihm seine Mandate zumuthen, mehr und mehr Routinier werden, das Volk
versinkt den parlamentarischen Verhandlungen gegenüber in Gleichgiltigkeit und
wird aus derselben höchstens durch Interessenfragen, und zwar nicht zum allge¬
meinen Besten, aufgerüttelt. Aeußeres und Inneres, Form und Wesen bedingen
sich kaum anderswo in gleich hohem Maße wie beim Parlamentarismus. Wo
die Abgeordneten müde und abgehetzt die Geschäfte um jeden Preis zu erledigen
suchen, wo uicht mehr das allgemeine Interesse den Verhandlungen mit Span-


und die Vertretung der Angehörigen desselben harmonisch zusammenwirken,
einander ergänzen, nicht einander bekämpfen und deshalb nicht jede Gelegenheit
ergreifen sollen, die Sphäre ihrer Macht auf Kosten des anderen Theiles zu
erweitern, und weil wir serner bestimmt anzunehmen Grund haben, daß der
Reichskanzler diese unsere Auffassung des Verhältnisses der beiden Faktoren
unseres parlamentarischen Lebens theilt. Nur die, welche im Reichstage vor
allem streiten und erobern wollen, nur die, welche in der Bestimmung alljähr¬
licher Feststellung des Reichshaushalts eine Waffe erblicken, können in der
Verlängerung der Etats- und Legislaturperiode eine Störung ihrer Pläne und
eine Schädigung ihrer Interessen sehen. Andere werden den Vorschlag, falls
er sich mit praktischen Gründen empfehlen läßt, nicht ablehnen können, und
solche Gründe lassen sich in der That anführen, während die Beschränkung des
gegenwärtigen Budgetrechts uur die zeitliche Geltendmachung desselben betrifft
und deshalb kaum eine Gefahr in sich birgt. Ohne Zustimmung der Volks¬
vertretung darf die Regierung auch in Zukunft keinen Pfennig verwenden, und
die Kontrole über die Verwendung der bewilligten Gelder wird durch die
Neuerung nicht im mindesten geschmälert. Dagegen verdient Folgendes ent¬
schieden Berücksichtigung.

Deutschland als Ganzes ist erst seit dreizehn Jahren ein Staat mit kon¬
stitutioneller Regierungsform. Auf die lange Entbehrung ist aber eine Ueber¬
fülle gefolgt, deren Bewältigung ermüdet und schwächt, ja mit Erstickung bedroht.
Wenige sind, die nicht empfinden und zugestehen, daß der parlamentarische
Apparat in Deutschland viel zu komplizirt ist, und daß er eine Menge von
Arbeitskraft verbraucht, die kaum beschafft werden kann. Selbst ein Blatt wie
die „Frankfurter Zeitung" gibt das zu, wenn sie sagt: „In der That sind
die Unzuträglichkeiten des jetzigen Zustandes groß: wir kommen aus den par¬
lamentarischen Verhandlungen nicht heraus, und diese selbst leiden am meisten
bei dem Drängen und Hasten (welches ohne Zweifel einen großen Theil der
Mißgriffe und Ueverstürznngen in der Gesetzgebung namentlich auf Volkswirth-
schaftlichen Gebiete veranlaßt hat). Der Parlamentarismus droht in einen
Zustand der Versumpfung zu gerathen, der die schlimmsten Gefahren für unser
politisches Leben birgt. Der Parlamentarier muß bei der Ueberanstrengung,
die ihm seine Mandate zumuthen, mehr und mehr Routinier werden, das Volk
versinkt den parlamentarischen Verhandlungen gegenüber in Gleichgiltigkeit und
wird aus derselben höchstens durch Interessenfragen, und zwar nicht zum allge¬
meinen Besten, aufgerüttelt. Aeußeres und Inneres, Form und Wesen bedingen
sich kaum anderswo in gleich hohem Maße wie beim Parlamentarismus. Wo
die Abgeordneten müde und abgehetzt die Geschäfte um jeden Preis zu erledigen
suchen, wo uicht mehr das allgemeine Interesse den Verhandlungen mit Span-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/54>, abgerufen am 23.07.2024.