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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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das Vertrauen zu der Wirksamkeit der synodalen Organe. Ebenso haben wir
es bedauern müssen, daß die positiven Parteien sich noch nicht ans den Boden
voller gegenseitiger Anerkennung gestellt haben, der gefunden und bewahrt
werden muß, wenn die evangelische Kirche der Gefahr der Auflösung entgehen
soll; wie gern wir es anch anerkennen, daß in dieser Hinsicht zur Versöhnung
und zu gegenseitiger Annäherung durch die Synode viel geschehen ist. Es
handelt sich hier um die Lebensfrage der evangelischen Kirche, um ihr Sein
oder Nichtsein. Ihre Stärke ist auch ihre Schwäche. Ist der Protestantismus
durch die Befreiung der an Gottes Wort gebuudnen Subjektivität entstanden,
so kann er doch nur durch die Selbstbeschränkung derselben Bestand gewinnen.


H. Jacoby.


Deutsche Kirchen und Schulen zur Keformationszeit.

Die Einführung der Lehre Luthers hatte im Kurfürstenthum Sachsen eine
große Anzahl kirchlicher Einzelbildungen zur Folge, die sich, je nachdem diese
Lehre verstanden worden war, sowohl in dogmatischer Hinsicht als in ihrer
äußeren Erscheinung wesentlich von einander unterschieden. Die Versuche, die¬
selben gleichmäßig zu gestalten, erwiesen sich so lange als erfolglos oder doch
ungenügend, als es an einer durchgreifenden kirchlichen Gewalt mangelte. Was
Luther selbst nach dieser Seite hin that, bestand in bloßen Rathschlägen; denn
er war dein Zwange abhold und wollte nicht ein straffes geistliches Regiment,
sondern freiheitliche Entwickelung seiner Lehre zu einer neuen Kirche. Der
politische Faktor, der Staat, sollte nichts dreinzureden haben. Auf diesem
Wege aber wäre aus jenen Einzelbildungen nie ein orgmnsirtes Ganze geworden.
Andrerseits gesellte sich der religiösen Bewegung bald eine politische zu, welche,
genährt durch Mißverständniß der Gedanken des Reformators, das Eingreifen
der Staatsgewalt doch gebot. Die Schläge, welche die Wiedertäufer und der
Bauernaufstand gegen die Entwickelung der lutherischen Kirche geführt, hatten
die Grundlagen erschüttert, auf deuen dieselbe sich erbauen sollte. Das Predigt¬
amt und die Obrigkeit, die Luther sich als deren Säulen gedacht, waren negirt,
die politischen Gemeinden in den Städten und auf dem Lande durchwühlt und
zersetzt, die ohnehin lockere kirchliche Ordnung stand im Begriffe, sich aufzulösen.
So sah der Reformator sich durch die Noth gezwungen, zur Aufrichtung der
Pfarreien und zur Sicherstellung derselben für die Zukunft die Hilfe der terri-


das Vertrauen zu der Wirksamkeit der synodalen Organe. Ebenso haben wir
es bedauern müssen, daß die positiven Parteien sich noch nicht ans den Boden
voller gegenseitiger Anerkennung gestellt haben, der gefunden und bewahrt
werden muß, wenn die evangelische Kirche der Gefahr der Auflösung entgehen
soll; wie gern wir es anch anerkennen, daß in dieser Hinsicht zur Versöhnung
und zu gegenseitiger Annäherung durch die Synode viel geschehen ist. Es
handelt sich hier um die Lebensfrage der evangelischen Kirche, um ihr Sein
oder Nichtsein. Ihre Stärke ist auch ihre Schwäche. Ist der Protestantismus
durch die Befreiung der an Gottes Wort gebuudnen Subjektivität entstanden,
so kann er doch nur durch die Selbstbeschränkung derselben Bestand gewinnen.


H. Jacoby.


Deutsche Kirchen und Schulen zur Keformationszeit.

Die Einführung der Lehre Luthers hatte im Kurfürstenthum Sachsen eine
große Anzahl kirchlicher Einzelbildungen zur Folge, die sich, je nachdem diese
Lehre verstanden worden war, sowohl in dogmatischer Hinsicht als in ihrer
äußeren Erscheinung wesentlich von einander unterschieden. Die Versuche, die¬
selben gleichmäßig zu gestalten, erwiesen sich so lange als erfolglos oder doch
ungenügend, als es an einer durchgreifenden kirchlichen Gewalt mangelte. Was
Luther selbst nach dieser Seite hin that, bestand in bloßen Rathschlägen; denn
er war dein Zwange abhold und wollte nicht ein straffes geistliches Regiment,
sondern freiheitliche Entwickelung seiner Lehre zu einer neuen Kirche. Der
politische Faktor, der Staat, sollte nichts dreinzureden haben. Auf diesem
Wege aber wäre aus jenen Einzelbildungen nie ein orgmnsirtes Ganze geworden.
Andrerseits gesellte sich der religiösen Bewegung bald eine politische zu, welche,
genährt durch Mißverständniß der Gedanken des Reformators, das Eingreifen
der Staatsgewalt doch gebot. Die Schläge, welche die Wiedertäufer und der
Bauernaufstand gegen die Entwickelung der lutherischen Kirche geführt, hatten
die Grundlagen erschüttert, auf deuen dieselbe sich erbauen sollte. Das Predigt¬
amt und die Obrigkeit, die Luther sich als deren Säulen gedacht, waren negirt,
die politischen Gemeinden in den Städten und auf dem Lande durchwühlt und
zersetzt, die ohnehin lockere kirchliche Ordnung stand im Begriffe, sich aufzulösen.
So sah der Reformator sich durch die Noth gezwungen, zur Aufrichtung der
Pfarreien und zur Sicherstellung derselben für die Zukunft die Hilfe der terri-


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[0537] das Vertrauen zu der Wirksamkeit der synodalen Organe. Ebenso haben wir es bedauern müssen, daß die positiven Parteien sich noch nicht ans den Boden voller gegenseitiger Anerkennung gestellt haben, der gefunden und bewahrt werden muß, wenn die evangelische Kirche der Gefahr der Auflösung entgehen soll; wie gern wir es anch anerkennen, daß in dieser Hinsicht zur Versöhnung und zu gegenseitiger Annäherung durch die Synode viel geschehen ist. Es handelt sich hier um die Lebensfrage der evangelischen Kirche, um ihr Sein oder Nichtsein. Ihre Stärke ist auch ihre Schwäche. Ist der Protestantismus durch die Befreiung der an Gottes Wort gebuudnen Subjektivität entstanden, so kann er doch nur durch die Selbstbeschränkung derselben Bestand gewinnen. H. Jacoby. Deutsche Kirchen und Schulen zur Keformationszeit. Die Einführung der Lehre Luthers hatte im Kurfürstenthum Sachsen eine große Anzahl kirchlicher Einzelbildungen zur Folge, die sich, je nachdem diese Lehre verstanden worden war, sowohl in dogmatischer Hinsicht als in ihrer äußeren Erscheinung wesentlich von einander unterschieden. Die Versuche, die¬ selben gleichmäßig zu gestalten, erwiesen sich so lange als erfolglos oder doch ungenügend, als es an einer durchgreifenden kirchlichen Gewalt mangelte. Was Luther selbst nach dieser Seite hin that, bestand in bloßen Rathschlägen; denn er war dein Zwange abhold und wollte nicht ein straffes geistliches Regiment, sondern freiheitliche Entwickelung seiner Lehre zu einer neuen Kirche. Der politische Faktor, der Staat, sollte nichts dreinzureden haben. Auf diesem Wege aber wäre aus jenen Einzelbildungen nie ein orgmnsirtes Ganze geworden. Andrerseits gesellte sich der religiösen Bewegung bald eine politische zu, welche, genährt durch Mißverständniß der Gedanken des Reformators, das Eingreifen der Staatsgewalt doch gebot. Die Schläge, welche die Wiedertäufer und der Bauernaufstand gegen die Entwickelung der lutherischen Kirche geführt, hatten die Grundlagen erschüttert, auf deuen dieselbe sich erbauen sollte. Das Predigt¬ amt und die Obrigkeit, die Luther sich als deren Säulen gedacht, waren negirt, die politischen Gemeinden in den Städten und auf dem Lande durchwühlt und zersetzt, die ohnehin lockere kirchliche Ordnung stand im Begriffe, sich aufzulösen. So sah der Reformator sich durch die Noth gezwungen, zur Aufrichtung der Pfarreien und zur Sicherstellung derselben für die Zukunft die Hilfe der terri-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/537>, abgerufen am 23.07.2024.