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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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ein Ende gemacht werden. Ist es nun aber wünschenswert!), daß in Bezug
auf alle Amtshandlungen des Geistlichen der Beschluß des Gemeindekirchenraths
erst wirksam wird, nachdem die zweite Instanz gesprochen hat? Die logische
Konsequenz würde dafür sprechen, aber sie kann nicht allein entscheiden. Es
liegen bis jetzt keine Thatsachen vor, die zu einer Aenderung nöthigen. Nur
ein einziger Fall, in welchem ein Geistlicher zur Ausübung einer Amtshand¬
lung, die er aus zureichenden Grunde verweigert hatte, von dem Gemeinde-
kirchenrathe genöthigt worden sei, konnte angeführt werden. Aber konnte der¬
selbe als ein geeignetes Motiv erscheinen, eine Bestimmung der Verfassung zu
beseitigen? Gewiß nicht. Umsoweniger, als gar keine Garantie vorliegt, daß
ähnliche Kollisionen zwischen dem Geistlichen und der zweiten Instanz, dem
Kreis-Synodalvorstand, nicht eintreten werden. Auch war zu erwägen, welche
praktischen Schwierigkeiten vorhanden sind, zumal auf dem Lande, den zerstreut
wohnenden Kreis-Synodalvorstand zu versammeln; ebenso, daß in einem Falle
man es gewiß sehr häufig werde bei der Entscheidung des Gemeindekirchen¬
raths bewenden lassen müssen. Wenn ein Geistlicher die Begleitung bei einem
Leichenbegängnisse ablehnt, der Gemeindekirchenrath sie aber fordert, wird es
da möglich sein, den Kreis-Synodalvorstand zu befragen, wird nicht fast in
allen Fällen die Entscheidung des Gemeindekirchenraths unmittelbar wirksam
werden müssen?

Unter solchen Umständen glaubte die Minorität einer Veränderung des
ß 14 nicht zustimmen zu sollen, die Frage schien ihr noch nicht spruchreif. Die
Majorität der Synode trat aber für die Aenderung ein, und so wurde sie be¬
schlossen. Wir lassen es dahingestellt, ob den Interessen, die zu dieser Aende¬
rung geführt haben, durch dieselbe wirklich Befriedigung gewährt ist, oder ob
nicht nach einiger Zeit das Bedürfniß nach einer neuen Umgestaltung erwachen
wird, durch welche die Beschlüsse des Gemeindekirchenraths bei Widerspruch des
Geistlichen erst dann in Wirksamkeit treten, wenn die dritte Instanz gesprochen
hat. Man wird finden, daß auch die Kreis-Synodalvorstände keinen genügen¬
den Schutz gegen eine Vergewaltigung des Geistlichen gewähren.

Wir stehen am Schlüsse unsrer Darstellung. Der Gesammteindruck, den
wir von der Thätigkeit der Synode empfingen, war ein günstiger. Gegen die
Gesetzentwürfe, die aus derselben hervorgegangen sind, hatten wir wenig ein¬
zuwenden. Wir mußten sie vielmehr als werthvolle Leistungen zur Förderung
des kirchlichen Lebens dankbar begrüßen. Wohl aber erweckten in uns ernste
Bedenken die Bestrebungen der Synode, die Arbeit auf dem Gebiete der theo¬
logischen Wissenschaft der Kritik der synodalen Instanzen zu unterstellen. Gegen
diese Bestrebungen mußten wir den entschiedensten Widerspruch erheben. Sie
schädigen die theologische Wissenschaft und damit auch die Kirche, sie erschüttern


ein Ende gemacht werden. Ist es nun aber wünschenswert!), daß in Bezug
auf alle Amtshandlungen des Geistlichen der Beschluß des Gemeindekirchenraths
erst wirksam wird, nachdem die zweite Instanz gesprochen hat? Die logische
Konsequenz würde dafür sprechen, aber sie kann nicht allein entscheiden. Es
liegen bis jetzt keine Thatsachen vor, die zu einer Aenderung nöthigen. Nur
ein einziger Fall, in welchem ein Geistlicher zur Ausübung einer Amtshand¬
lung, die er aus zureichenden Grunde verweigert hatte, von dem Gemeinde-
kirchenrathe genöthigt worden sei, konnte angeführt werden. Aber konnte der¬
selbe als ein geeignetes Motiv erscheinen, eine Bestimmung der Verfassung zu
beseitigen? Gewiß nicht. Umsoweniger, als gar keine Garantie vorliegt, daß
ähnliche Kollisionen zwischen dem Geistlichen und der zweiten Instanz, dem
Kreis-Synodalvorstand, nicht eintreten werden. Auch war zu erwägen, welche
praktischen Schwierigkeiten vorhanden sind, zumal auf dem Lande, den zerstreut
wohnenden Kreis-Synodalvorstand zu versammeln; ebenso, daß in einem Falle
man es gewiß sehr häufig werde bei der Entscheidung des Gemeindekirchen¬
raths bewenden lassen müssen. Wenn ein Geistlicher die Begleitung bei einem
Leichenbegängnisse ablehnt, der Gemeindekirchenrath sie aber fordert, wird es
da möglich sein, den Kreis-Synodalvorstand zu befragen, wird nicht fast in
allen Fällen die Entscheidung des Gemeindekirchenraths unmittelbar wirksam
werden müssen?

Unter solchen Umständen glaubte die Minorität einer Veränderung des
ß 14 nicht zustimmen zu sollen, die Frage schien ihr noch nicht spruchreif. Die
Majorität der Synode trat aber für die Aenderung ein, und so wurde sie be¬
schlossen. Wir lassen es dahingestellt, ob den Interessen, die zu dieser Aende¬
rung geführt haben, durch dieselbe wirklich Befriedigung gewährt ist, oder ob
nicht nach einiger Zeit das Bedürfniß nach einer neuen Umgestaltung erwachen
wird, durch welche die Beschlüsse des Gemeindekirchenraths bei Widerspruch des
Geistlichen erst dann in Wirksamkeit treten, wenn die dritte Instanz gesprochen
hat. Man wird finden, daß auch die Kreis-Synodalvorstände keinen genügen¬
den Schutz gegen eine Vergewaltigung des Geistlichen gewähren.

Wir stehen am Schlüsse unsrer Darstellung. Der Gesammteindruck, den
wir von der Thätigkeit der Synode empfingen, war ein günstiger. Gegen die
Gesetzentwürfe, die aus derselben hervorgegangen sind, hatten wir wenig ein¬
zuwenden. Wir mußten sie vielmehr als werthvolle Leistungen zur Förderung
des kirchlichen Lebens dankbar begrüßen. Wohl aber erweckten in uns ernste
Bedenken die Bestrebungen der Synode, die Arbeit auf dem Gebiete der theo¬
logischen Wissenschaft der Kritik der synodalen Instanzen zu unterstellen. Gegen
diese Bestrebungen mußten wir den entschiedensten Widerspruch erheben. Sie
schädigen die theologische Wissenschaft und damit auch die Kirche, sie erschüttern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/536>, abgerufen am 23.07.2024.