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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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hier eine Lücke vorhanden, und wenn der Antrag Eiselen sich darauf beschränkt
hätte, diese auszufüllen, etwa eine Bestimmung zu befürworten, daß auch außer¬
amtliche Publikationen eines Geistlichen geeignet seien, einen Protest von Seiten
der Gemeinde zu begründen, so würden wir nichts dagegen einzuwenden haben.
Derselbe geht aber weiter. Diese außeramtlichen Publikationen sollen unter
die Kategorie der Lehre gestellt und deshalb die synodalen Instanzen bei Ein¬
sprüchen der Gemeinden, die aus ihnen sich begründen, zugezogen werden.
Wir sehen davou ab, daß wir es begrifflich für unzulässig erachten müssen,
literarische Arbeiten oder private Aeußerungen unter den Gesichtspunkt der
Lehre zu stellen; dies sollte nur da geschehen, wo, wie auch der Präsident des
Oberkirchenraths mit Recht betonte, die amtliche Autorität deu Geistliche" trägt,
uicht aber da, wo er nur als theologischer Schriftsteller oder als private Per¬
sönlichkeit handelt. Wichtiger sind aber die sachlichen Bedenken. Daß der
Geistliche an der theologischen Arbeit sich betheiligt, ist gewiß wünschenswert).
Aber es liegt in der Natur derselben, daß sie, da sie ja einen Fortschritt her¬
beiführen will, sich mehr oder weniger vom Hergebrachten entfernen und inso¬
fern heterodox werden muß. Ein theologischer Schriftsteller wird mehr oder
weniger Heterodoxien vortragen. Diese Heterodoxien werden mitunter von
geringer, mitunter von großer Bedeutung sein. Wer soll nun darüber urtheilen,
wer ist dazu qualisizirt? Wir behaupten: der Synodalvorstand nicht. Was
wir bei der Besprechung des vorigen Antrags erhärtet haben, ist auch hier
zutreffend. Ueber theologische Fragen können nnr Männer urtheilen, welche
die theologische Wissenschaft beherrschen; nur sie sind kompetent. Welches Ge¬
schick würde wohl den Theologen treffen, von dem die gläubige deutsche Theo¬
logie unsers Jahrhunderts ausgegangen ist, wenn er der Kritik eines Synodal¬
vorstandes unterläge! Gegen Schleiermacher würden die erheblichsten Bedenken
erhoben werden können; wir vermuthen, daß viele, wenn nicht alle Kanzeln in
der preußischen Landeskirche ihm verschlossen bleiben würden, sobald das Ge¬
wicht der synodalen Faktoren zur Geltung käme. Und dabei würde diese kaum
ein Vorwurf treffen. Denn in welchem kirchlichen Dogma ist Schleiermacher
nicht heterodox! Und seine Heterodoxien sind eingreifendster Art. Es gehört
eben die wissenschaftlichste Durchbildung dazu, um in dem Ganzen der Schleicr-
macherschen Theologie ihren positiven Grundcharakter zu erkennen, durch welchen
die Abweichungen vom kirchlichen Bekenntniß ausgeglichen werden. Wir mi߬
billigen es daher, daß die wissenschaftlichen Arbeiten der Geistlichen dem Ein¬
fluß der synodalen Instanzen nicht entzogen find. Daß, falls populärwissen¬
schaftliche Publikationen oder Flugblätter deu Grund zum Einspruch gegeben
haben, die synodalen Instanzen zugezogen werden, dagegen wollen wir uns
nicht aussprechen. Dergleichen Schriften wenden sich an einen allgemeinen


hier eine Lücke vorhanden, und wenn der Antrag Eiselen sich darauf beschränkt
hätte, diese auszufüllen, etwa eine Bestimmung zu befürworten, daß auch außer¬
amtliche Publikationen eines Geistlichen geeignet seien, einen Protest von Seiten
der Gemeinde zu begründen, so würden wir nichts dagegen einzuwenden haben.
Derselbe geht aber weiter. Diese außeramtlichen Publikationen sollen unter
die Kategorie der Lehre gestellt und deshalb die synodalen Instanzen bei Ein¬
sprüchen der Gemeinden, die aus ihnen sich begründen, zugezogen werden.
Wir sehen davou ab, daß wir es begrifflich für unzulässig erachten müssen,
literarische Arbeiten oder private Aeußerungen unter den Gesichtspunkt der
Lehre zu stellen; dies sollte nur da geschehen, wo, wie auch der Präsident des
Oberkirchenraths mit Recht betonte, die amtliche Autorität deu Geistliche» trägt,
uicht aber da, wo er nur als theologischer Schriftsteller oder als private Per¬
sönlichkeit handelt. Wichtiger sind aber die sachlichen Bedenken. Daß der
Geistliche an der theologischen Arbeit sich betheiligt, ist gewiß wünschenswert).
Aber es liegt in der Natur derselben, daß sie, da sie ja einen Fortschritt her¬
beiführen will, sich mehr oder weniger vom Hergebrachten entfernen und inso¬
fern heterodox werden muß. Ein theologischer Schriftsteller wird mehr oder
weniger Heterodoxien vortragen. Diese Heterodoxien werden mitunter von
geringer, mitunter von großer Bedeutung sein. Wer soll nun darüber urtheilen,
wer ist dazu qualisizirt? Wir behaupten: der Synodalvorstand nicht. Was
wir bei der Besprechung des vorigen Antrags erhärtet haben, ist auch hier
zutreffend. Ueber theologische Fragen können nnr Männer urtheilen, welche
die theologische Wissenschaft beherrschen; nur sie sind kompetent. Welches Ge¬
schick würde wohl den Theologen treffen, von dem die gläubige deutsche Theo¬
logie unsers Jahrhunderts ausgegangen ist, wenn er der Kritik eines Synodal¬
vorstandes unterläge! Gegen Schleiermacher würden die erheblichsten Bedenken
erhoben werden können; wir vermuthen, daß viele, wenn nicht alle Kanzeln in
der preußischen Landeskirche ihm verschlossen bleiben würden, sobald das Ge¬
wicht der synodalen Faktoren zur Geltung käme. Und dabei würde diese kaum
ein Vorwurf treffen. Denn in welchem kirchlichen Dogma ist Schleiermacher
nicht heterodox! Und seine Heterodoxien sind eingreifendster Art. Es gehört
eben die wissenschaftlichste Durchbildung dazu, um in dem Ganzen der Schleicr-
macherschen Theologie ihren positiven Grundcharakter zu erkennen, durch welchen
die Abweichungen vom kirchlichen Bekenntniß ausgeglichen werden. Wir mi߬
billigen es daher, daß die wissenschaftlichen Arbeiten der Geistlichen dem Ein¬
fluß der synodalen Instanzen nicht entzogen find. Daß, falls populärwissen¬
schaftliche Publikationen oder Flugblätter deu Grund zum Einspruch gegeben
haben, die synodalen Instanzen zugezogen werden, dagegen wollen wir uns
nicht aussprechen. Dergleichen Schriften wenden sich an einen allgemeinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/534>, abgerufen am 23.07.2024.