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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Darmstadt kommt, so kannst Du von ihr eine Menge Anekdoten aus jener Zeit hören,
die Dich gewiß zum Lachen bringen werden. Von den Lehrer" am Dctmoldcr Gym¬
nasium übten hauptsächlich Rohdcwald und Falkmann (der bekannte Stylist) einen
wohlthätigen Einfluß auf mich aus. Jener durch Ausbildung meines sittlichen, dieser
durch Weckung und Entwickelung meines ästhetischen Gefühls. Wenn mir Falkmann
im Sommer 1825, als ich das Dctmolder Gymnasium verließ, das Distichon ins Stamm¬
buch schrieb:

Ueberall folgen die Musen und Grazien ihrem Verehrer,
niedrer und kalter Sinn weist sie allem nur zurück,

so ist das, mein' ich, Beweis genug, daß ich bis dahin nicht "Mangel an geistig an¬
regenden Einflüssen" gelitten, sondern daß die Talente, die man vielleicht in mir entdeckte,
Pflege genug erfahren hatten. Ich bin nachher, in einem mannigfach bewegten Ge-
schäftsleben, der Aufforderung, die in jenem Distichon liegt, nach Kräften nachgekommen,
wenn der Erfolg, mir wenigstens, auch immer ein ungenügender geblieben ist. Meine
Lehrzeit bestand ich zu Soest bei meinem Oheim, einem vielfach gebildeten, u. was
mehr als das ist, einem überaus wackern und vortrefflichen Mann, der mir Muße voll¬
auf gab, mich theils autodidaktisch, theils durch Privatlehrer fortzubilden. Den größten
Theil meiner zahlreichen Privatstunden (Englisch, Französisch, Italienisch und ein Neit-
cursus sogar) hat er selbst bezahlt! Ich verdanke ihm außerordentlich viel!

Was das Lericon sonst über mich beibringt, ist richtig, mit Ausnahme meines
Verhältnisses zu Grabbe, über das ich mich bereits mündlich gegen Dich ausgelassen
habe. Nachdem ich also nachgetragen, daß ich zu Ende 35 und Anfang 36 noch
Hugo's Odin u. "Dämmerungsgesänge" übersetzt (für die formelle Weiterbildung
immer von Moment), kann ich gleich einen Sprung machen, u. Dich aus meiner
Barmer Zeit (1837--1839) an den Rhein nach Unkel führen. Der edle" Mercatura
hatt' ich nun vollständig den Rücken gewandt u. wollte in stiller Zurückgezogenheit
schaffen, was mir der Geist eingäbe. Daraus ward indeß nichts. Von dem Zauber
des Rheins ergriffe" den Simrock so wundervoll in seinem "An den Rhein, an den
Rhein" angedeutet hat, hab' ich in Unkel viel gelebt und geliebt, aber wenig gedichtet.
Der Aufbau des Rolandsbogens war das Einzige, was ich dort ausführte, u. das
"Rolandsalbum" die einzige schriftstellerische Merksäule des ganze" Jahrs. Das malerische
u. romantische Westfahlen, zu dessen Vollendung ich eigentlich nach Unkel mich gewandt
hatte, blieb liegen, u. wurde erst später von Schücking fortgesetzt. Was ich mir übrigens
in Unkel sonst errungen, u. welch einen wichtigen Abschnitt in meinem Leben es bildet,
weißt Du und siehst Du alle Tage im Anschauen meines häuslichen Glückes. Ich
verließ die kleine Rheinstadt im Sept. v. I., machte dann eine Reise nach Süddeutsch¬
land und sah Jda im November in Thüringen wieder. Den Winter bracht' ich theils
bei ihr ans dem Lande (in Moura) theils in Weimar zu, wo ich mir in Eckermann,
Büret, dem Maler Schramm u. A. liebe Freunde erworben habe. Im Mai 1841
war meine Hochzeit seit dem 26 Mai bin ich in Darmstadt. Das Weitere weißt


Darmstadt kommt, so kannst Du von ihr eine Menge Anekdoten aus jener Zeit hören,
die Dich gewiß zum Lachen bringen werden. Von den Lehrer» am Dctmoldcr Gym¬
nasium übten hauptsächlich Rohdcwald und Falkmann (der bekannte Stylist) einen
wohlthätigen Einfluß auf mich aus. Jener durch Ausbildung meines sittlichen, dieser
durch Weckung und Entwickelung meines ästhetischen Gefühls. Wenn mir Falkmann
im Sommer 1825, als ich das Dctmolder Gymnasium verließ, das Distichon ins Stamm¬
buch schrieb:

Ueberall folgen die Musen und Grazien ihrem Verehrer,
niedrer und kalter Sinn weist sie allem nur zurück,

so ist das, mein' ich, Beweis genug, daß ich bis dahin nicht „Mangel an geistig an¬
regenden Einflüssen" gelitten, sondern daß die Talente, die man vielleicht in mir entdeckte,
Pflege genug erfahren hatten. Ich bin nachher, in einem mannigfach bewegten Ge-
schäftsleben, der Aufforderung, die in jenem Distichon liegt, nach Kräften nachgekommen,
wenn der Erfolg, mir wenigstens, auch immer ein ungenügender geblieben ist. Meine
Lehrzeit bestand ich zu Soest bei meinem Oheim, einem vielfach gebildeten, u. was
mehr als das ist, einem überaus wackern und vortrefflichen Mann, der mir Muße voll¬
auf gab, mich theils autodidaktisch, theils durch Privatlehrer fortzubilden. Den größten
Theil meiner zahlreichen Privatstunden (Englisch, Französisch, Italienisch und ein Neit-
cursus sogar) hat er selbst bezahlt! Ich verdanke ihm außerordentlich viel!

Was das Lericon sonst über mich beibringt, ist richtig, mit Ausnahme meines
Verhältnisses zu Grabbe, über das ich mich bereits mündlich gegen Dich ausgelassen
habe. Nachdem ich also nachgetragen, daß ich zu Ende 35 und Anfang 36 noch
Hugo's Odin u. „Dämmerungsgesänge" übersetzt (für die formelle Weiterbildung
immer von Moment), kann ich gleich einen Sprung machen, u. Dich aus meiner
Barmer Zeit (1837—1839) an den Rhein nach Unkel führen. Der edle» Mercatura
hatt' ich nun vollständig den Rücken gewandt u. wollte in stiller Zurückgezogenheit
schaffen, was mir der Geist eingäbe. Daraus ward indeß nichts. Von dem Zauber
des Rheins ergriffe» den Simrock so wundervoll in seinem „An den Rhein, an den
Rhein" angedeutet hat, hab' ich in Unkel viel gelebt und geliebt, aber wenig gedichtet.
Der Aufbau des Rolandsbogens war das Einzige, was ich dort ausführte, u. das
„Rolandsalbum" die einzige schriftstellerische Merksäule des ganze» Jahrs. Das malerische
u. romantische Westfahlen, zu dessen Vollendung ich eigentlich nach Unkel mich gewandt
hatte, blieb liegen, u. wurde erst später von Schücking fortgesetzt. Was ich mir übrigens
in Unkel sonst errungen, u. welch einen wichtigen Abschnitt in meinem Leben es bildet,
weißt Du und siehst Du alle Tage im Anschauen meines häuslichen Glückes. Ich
verließ die kleine Rheinstadt im Sept. v. I., machte dann eine Reise nach Süddeutsch¬
land und sah Jda im November in Thüringen wieder. Den Winter bracht' ich theils
bei ihr ans dem Lande (in Moura) theils in Weimar zu, wo ich mir in Eckermann,
Büret, dem Maler Schramm u. A. liebe Freunde erworben habe. Im Mai 1841
war meine Hochzeit seit dem 26 Mai bin ich in Darmstadt. Das Weitere weißt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/507>, abgerufen am 26.08.2024.