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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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hätte zausen können! Im Scherz natürlich, denn ich weiß wohl, an wie vielen
Fehlern meine Versuche leiden.

Werden Sie nach dieser offenen Beichte (die ich inzwischen nur Ihnen mache)
meinen Hans-Sachsercien auch fernerhin eine bescheidene Stelle neben den vollendeten
Dichtungen der ersten Lyriker der Nation im Musenalmanach gönnen? Darf ich es
außerdem wagen, Ihnen die anliegenden Gedichte mit der Bitte zu überreichen, dieselben
im Morgenblatte abdrucken zu lassen, wenn sie anders der Tendenz dieser, ihrem
poetischen Theile nach, wenn ich nicht irre, unter Ihrer Leitung stehenden Zeitschrift
entsprechen? Wenn meine Sachen sonst was taugen, so weiß ich Wohl, daß bei Ihnen
der Stand zur Sache nichts thut -- aber beim Publikum? --

Da ich aus Ihrem Briefe sehe, daß die Länge meines ersten Beitrags zum
Album dessen Aufnahme nicht hinderlich ist, so bitte ich Sie, den zweiten mit seinen
lahme" Distichen -- im Technischen bin ich überhaupt sehr zurück, und werde unter
anderen einigen Polenliedern, wenn sie einmal gedruckt werden sollten, wohl das: Xos
?a1vin von ours-wus <zug.utili>,thu sMavaruM als Motto vorsetzen müssen -- zu
vernichten. Ich sandte ihn bloß, weil ich glaubte, der erste werde im Druck mehr
als eine halbe Octavseite einnehmen.

Und nun bitte ich Sie recht sehr um Entschuldigung, daß ich Ihre Geduld auf
eme so harte Probe gestellt habe. Ihre herzlichen Worte erwidern mußte ich . . .
Daß ich es aber so ausführlich gethan habe, wollen Sie dem Alleinstehenden, dem es
wohlthat, sich einmal aussprechen zu können, und der sich außerdem verantworten zu
müssen glaubte, daß er als Unberufener in die glänzende Gesellschaft des Alma¬
nachs sich gewagt, verzeihen!

Dieser Brief ist sicherlich von hohem Werthe. Mit verhaltenem Leid, aber
ohne Bitterkeit erzählt der junge Dichter sein bisheriges Leben, zugleich mit einer
wahrhaft herzgewinnenden Bescheidenheit, ohne die Spur einer Ahnung, daß
er so manchen Dichter, der ihm noch als ein unerreichbares Vorbild erscheint,
schon redlich überholt habe.

Einmal durch die beiden väterlichen Freunde im Musenalmanach und
Morgenblatt vor einen weiten Kreis gestellt, sah sich Freiligrath unerwartet
als Dichter gefeiert, selbst in Amsterdam, wohin nur das letzte Schaumspritzen
der deutschen literarischen Bewegung gelangte. Von Heimweh verzehrt, ergriff
er die Gelegenheit, daß er im Aufrücken übergangen worden war, um Anfang
1836 zu kündigen, und kehrte nach Soest zurück, dort seine Gedichte für Cotta
druckfertig zu machen, welcher selbst dem weltverlassenen Komptoiristen zu
Amsterdam den Verlag angetragen hatte. Im Frühling 1837 trat Freiligrath,
um aufs neue eine feste Stätte zu finden, wieder in ein kaufmännisches Ge¬
schäft zu Barmer; 1839 aber gaben ihm die rasch aufeinanderfolgenden Auf¬
lagen seiner Gedichte den Muth, völlig mit dem Kaufmannsstande zu brechen.
Er zog im Herbst von Barmer hinweg, um fortan als freier Dichter zu leben,


Grenzliotm IV. 1379. 06

hätte zausen können! Im Scherz natürlich, denn ich weiß wohl, an wie vielen
Fehlern meine Versuche leiden.

Werden Sie nach dieser offenen Beichte (die ich inzwischen nur Ihnen mache)
meinen Hans-Sachsercien auch fernerhin eine bescheidene Stelle neben den vollendeten
Dichtungen der ersten Lyriker der Nation im Musenalmanach gönnen? Darf ich es
außerdem wagen, Ihnen die anliegenden Gedichte mit der Bitte zu überreichen, dieselben
im Morgenblatte abdrucken zu lassen, wenn sie anders der Tendenz dieser, ihrem
poetischen Theile nach, wenn ich nicht irre, unter Ihrer Leitung stehenden Zeitschrift
entsprechen? Wenn meine Sachen sonst was taugen, so weiß ich Wohl, daß bei Ihnen
der Stand zur Sache nichts thut — aber beim Publikum? —

Da ich aus Ihrem Briefe sehe, daß die Länge meines ersten Beitrags zum
Album dessen Aufnahme nicht hinderlich ist, so bitte ich Sie, den zweiten mit seinen
lahme» Distichen — im Technischen bin ich überhaupt sehr zurück, und werde unter
anderen einigen Polenliedern, wenn sie einmal gedruckt werden sollten, wohl das: Xos
?a1vin von ours-wus <zug.utili>,thu sMavaruM als Motto vorsetzen müssen — zu
vernichten. Ich sandte ihn bloß, weil ich glaubte, der erste werde im Druck mehr
als eine halbe Octavseite einnehmen.

Und nun bitte ich Sie recht sehr um Entschuldigung, daß ich Ihre Geduld auf
eme so harte Probe gestellt habe. Ihre herzlichen Worte erwidern mußte ich . . .
Daß ich es aber so ausführlich gethan habe, wollen Sie dem Alleinstehenden, dem es
wohlthat, sich einmal aussprechen zu können, und der sich außerdem verantworten zu
müssen glaubte, daß er als Unberufener in die glänzende Gesellschaft des Alma¬
nachs sich gewagt, verzeihen!

Dieser Brief ist sicherlich von hohem Werthe. Mit verhaltenem Leid, aber
ohne Bitterkeit erzählt der junge Dichter sein bisheriges Leben, zugleich mit einer
wahrhaft herzgewinnenden Bescheidenheit, ohne die Spur einer Ahnung, daß
er so manchen Dichter, der ihm noch als ein unerreichbares Vorbild erscheint,
schon redlich überholt habe.

Einmal durch die beiden väterlichen Freunde im Musenalmanach und
Morgenblatt vor einen weiten Kreis gestellt, sah sich Freiligrath unerwartet
als Dichter gefeiert, selbst in Amsterdam, wohin nur das letzte Schaumspritzen
der deutschen literarischen Bewegung gelangte. Von Heimweh verzehrt, ergriff
er die Gelegenheit, daß er im Aufrücken übergangen worden war, um Anfang
1836 zu kündigen, und kehrte nach Soest zurück, dort seine Gedichte für Cotta
druckfertig zu machen, welcher selbst dem weltverlassenen Komptoiristen zu
Amsterdam den Verlag angetragen hatte. Im Frühling 1837 trat Freiligrath,
um aufs neue eine feste Stätte zu finden, wieder in ein kaufmännisches Ge¬
schäft zu Barmer; 1839 aber gaben ihm die rasch aufeinanderfolgenden Auf¬
lagen seiner Gedichte den Muth, völlig mit dem Kaufmannsstande zu brechen.
Er zog im Herbst von Barmer hinweg, um fortan als freier Dichter zu leben,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/505>, abgerufen am 26.08.2024.