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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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am 1. September 1815 eröffnet werden sollte. Dalbergs Pläne wurden von
Wessenberg und andern damals mehrfach literarisch verfochten; sie blieben, zum
Unglück für das kirchliche und nationale Leben des katholischen Deutschland,
gegenüber dem Partikularismus der alten Rheinbundstaaten, dem Widerwillen
Preußens, mit ihnen vereinigt vorzugehen, und den zähe festgehaltenen Macht¬
ansprüchen Roms auch damals Entwürfe, wie sie es früher geblieben waren.
Hier wenigstens war der greise Dalberg der alten Fahne treu geblieben, um
damit doch noch Zeugniß dafür abzulegen, daß seine Fehler auf politischem
Gebiete nicht Fehler des Herzens, sondern des Charakters und des Verstandes
waren.

Ausschließlich seinem Beruft als Erzbischof von Regensburg sind die letzten
Jahre gewidmet gewesen. Bevor der Wiener Kongreß seine Dotation auf
100 000 si. normirte, kämpfte er oft selbst mit dem Mangel, lebte in einer ein¬
fachen Miethwohnung, behalf sich in anspruchlosester Weise auch mit Kost und
Kleidung. Als er sich dann reichlicher ausgestattet sah, verwandte er einen
großen Theil seiner Einkünfte auf die Unterstützung Armer und Nothleidender,
nicht nur in Regensburg, auch in Frankfurt. "Nie war ich so glücklich wie
jetzt",, schrieb er damals. Und wie er die Liebe praktisch übte, so hat er sich
noch in seinem letzte" Hirtenbriefe zu dem Satze bekannt: "Der wahre Christen¬
glaube besteht nur in lebendiger Liebe", und seinen Untergebenen die unwider-
sprechliche Wahrheit gepredigt: "Gott hat die Glanbensspaltung seit Anbeginn
der Welt zugelassen, da er jeden Menschen mit eigenthümlichen Fähigkeiten
ausrüstete und der Glaube sich nach dieser Einsicht gestaltet und offenbart: der
Bruder glaubt und denkt nicht wie der Bruder, der Sohn nicht wie der Vater,
das Alter nicht wie die Jugend -- und so wird nie und nimmer ein und der¬
selbe Glaube herrschen, oder es müßten alle Menschen ein und dasselbe wollen,
empfinden, denken und thun und all der Unterschied der Alter und Geschlechter
und Völker verschwinden.--Wer bist du uun, daß du zu deinem Bruder
sagen dürftest: Glaube wie ich, sonst bist du verdammt?" So schrieb ein
katholischer Erzbischof im Jahre 1819, ein Sohn allerdings des vielgeschmähten
Jahrhunderts der Aufklärung, ein Zeitgenosse Lessings, nicht Kettelers und
Pius' IX.

Mit diesem Bekenntniß echter, weitherziger Toleranz ist er gestorben, nach
einer Krankheit von nur wenigen Tagen, nach eben erfüllten 73. Lebensjahre,
am 10. Februar 1817. Seine Ueberreste ruhen im Dome zu Regensburg, den
er zur Metropolitankirche des gesammten katholischen Deutschlands vergebens
hatte machen wollen.

Es ist kein tragisches Loos, das ihn getroffen, denn Karl v. Dalberg war
kein Held, und doch liegt etwas Tragisches in seinem Geschick. Er verstrickte


am 1. September 1815 eröffnet werden sollte. Dalbergs Pläne wurden von
Wessenberg und andern damals mehrfach literarisch verfochten; sie blieben, zum
Unglück für das kirchliche und nationale Leben des katholischen Deutschland,
gegenüber dem Partikularismus der alten Rheinbundstaaten, dem Widerwillen
Preußens, mit ihnen vereinigt vorzugehen, und den zähe festgehaltenen Macht¬
ansprüchen Roms auch damals Entwürfe, wie sie es früher geblieben waren.
Hier wenigstens war der greise Dalberg der alten Fahne treu geblieben, um
damit doch noch Zeugniß dafür abzulegen, daß seine Fehler auf politischem
Gebiete nicht Fehler des Herzens, sondern des Charakters und des Verstandes
waren.

Ausschließlich seinem Beruft als Erzbischof von Regensburg sind die letzten
Jahre gewidmet gewesen. Bevor der Wiener Kongreß seine Dotation auf
100 000 si. normirte, kämpfte er oft selbst mit dem Mangel, lebte in einer ein¬
fachen Miethwohnung, behalf sich in anspruchlosester Weise auch mit Kost und
Kleidung. Als er sich dann reichlicher ausgestattet sah, verwandte er einen
großen Theil seiner Einkünfte auf die Unterstützung Armer und Nothleidender,
nicht nur in Regensburg, auch in Frankfurt. „Nie war ich so glücklich wie
jetzt",, schrieb er damals. Und wie er die Liebe praktisch übte, so hat er sich
noch in seinem letzte» Hirtenbriefe zu dem Satze bekannt: „Der wahre Christen¬
glaube besteht nur in lebendiger Liebe", und seinen Untergebenen die unwider-
sprechliche Wahrheit gepredigt: „Gott hat die Glanbensspaltung seit Anbeginn
der Welt zugelassen, da er jeden Menschen mit eigenthümlichen Fähigkeiten
ausrüstete und der Glaube sich nach dieser Einsicht gestaltet und offenbart: der
Bruder glaubt und denkt nicht wie der Bruder, der Sohn nicht wie der Vater,
das Alter nicht wie die Jugend — und so wird nie und nimmer ein und der¬
selbe Glaube herrschen, oder es müßten alle Menschen ein und dasselbe wollen,
empfinden, denken und thun und all der Unterschied der Alter und Geschlechter
und Völker verschwinden.--Wer bist du uun, daß du zu deinem Bruder
sagen dürftest: Glaube wie ich, sonst bist du verdammt?" So schrieb ein
katholischer Erzbischof im Jahre 1819, ein Sohn allerdings des vielgeschmähten
Jahrhunderts der Aufklärung, ein Zeitgenosse Lessings, nicht Kettelers und
Pius' IX.

Mit diesem Bekenntniß echter, weitherziger Toleranz ist er gestorben, nach
einer Krankheit von nur wenigen Tagen, nach eben erfüllten 73. Lebensjahre,
am 10. Februar 1817. Seine Ueberreste ruhen im Dome zu Regensburg, den
er zur Metropolitankirche des gesammten katholischen Deutschlands vergebens
hatte machen wollen.

Es ist kein tragisches Loos, das ihn getroffen, denn Karl v. Dalberg war
kein Held, und doch liegt etwas Tragisches in seinem Geschick. Er verstrickte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/500>, abgerufen am 27.08.2024.