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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Msmarck in Wien.

So wird man in der Geschichte einst das Ende einer großen Entwicke¬
lungsepoche und den Beginn einer neuen Zeit bezeichnen, einer neuen Zeit für
Deutschland und das ihm benachbarte und verwandte Oesterreich-Ungarn.
Die Anwesenheit unseres Reichskanzlers in der Kaiserstadt an der Donau
sah anfänglich und oberflächlich betrachtet so wenig absichtlich, so natürlich
aus , sie war eine Etappe auf der Rückreise von seiner gewöhnlichen Gasteiner
Badekur, eine Erwiederung des Besuches, deu der österreichisch-ungarische
Minister des Auswärtigen ihm während der letzteren abgestattet; und
doch, wenn mau eiuen Blick in die Vergangenheit zurückwarf, und wenn man
die Signatur der Gegenwart prüfte, welche weitreichende Bedeutung hatten diese
Tage! Sie waren ein Ereigniß ersten Ranges, der segensreiche Enderfolg einer
langen Reihe von Gedanken und Bestrebungen des geniale" Geistes, der die
Politischen Geschicke Deutschlands lenkt, das Siegel auf ein großes, viel ver¬
heißendes Versöhnungswerk, welches alle verständigen Deutschen seit Jahren
ersehnten, welches bis auf die letzte Zeit vielfach bedroht und zu vereiteln ver¬
sucht worden war und nun, wie wir zuversichtlich hoffen dürfen, endlich ge¬
lungen und für alle oder, da Menschliches immer dem Wechsel unterliegt, für
lange Zeit sicher gestellt ist.

Bismarck in Wien und sein dortiger Empfang, sein dortiges Wirken be¬
deuten den Abschluß eines weltgeschichtlichen Prozesses, der, in seiner zweiten
Hälfte vom Deutschen Kanzler eingeleitet, vom Grafen Andrassy konsequent ge¬
fördert, die beiden Hauptmächte Mitteleuropas in die rechte Stellung zu ein¬
ander und daun auf die rechten Wege zu bringen bestimmt war, und der als
letztes Ziel die endgiltige Sicherung des Weltfriedens im Auge hatte.

Betrachten wir kurz den Ausgangszustand und die Stationen dieser Ent¬
wickelung der Dinge. Deutscher Bund mit zwei Großmächten, die verschiedene
Ziele haben, und von denen die eine ungefähr so stark wie die andere ist, ein
Wagen, der vorn und hinten mit Pferden bespmmt ist, Anstrengungen dahin,'


Grenzboten IV. 1879. 1
Msmarck in Wien.

So wird man in der Geschichte einst das Ende einer großen Entwicke¬
lungsepoche und den Beginn einer neuen Zeit bezeichnen, einer neuen Zeit für
Deutschland und das ihm benachbarte und verwandte Oesterreich-Ungarn.
Die Anwesenheit unseres Reichskanzlers in der Kaiserstadt an der Donau
sah anfänglich und oberflächlich betrachtet so wenig absichtlich, so natürlich
aus , sie war eine Etappe auf der Rückreise von seiner gewöhnlichen Gasteiner
Badekur, eine Erwiederung des Besuches, deu der österreichisch-ungarische
Minister des Auswärtigen ihm während der letzteren abgestattet; und
doch, wenn mau eiuen Blick in die Vergangenheit zurückwarf, und wenn man
die Signatur der Gegenwart prüfte, welche weitreichende Bedeutung hatten diese
Tage! Sie waren ein Ereigniß ersten Ranges, der segensreiche Enderfolg einer
langen Reihe von Gedanken und Bestrebungen des geniale» Geistes, der die
Politischen Geschicke Deutschlands lenkt, das Siegel auf ein großes, viel ver¬
heißendes Versöhnungswerk, welches alle verständigen Deutschen seit Jahren
ersehnten, welches bis auf die letzte Zeit vielfach bedroht und zu vereiteln ver¬
sucht worden war und nun, wie wir zuversichtlich hoffen dürfen, endlich ge¬
lungen und für alle oder, da Menschliches immer dem Wechsel unterliegt, für
lange Zeit sicher gestellt ist.

Bismarck in Wien und sein dortiger Empfang, sein dortiges Wirken be¬
deuten den Abschluß eines weltgeschichtlichen Prozesses, der, in seiner zweiten
Hälfte vom Deutschen Kanzler eingeleitet, vom Grafen Andrassy konsequent ge¬
fördert, die beiden Hauptmächte Mitteleuropas in die rechte Stellung zu ein¬
ander und daun auf die rechten Wege zu bringen bestimmt war, und der als
letztes Ziel die endgiltige Sicherung des Weltfriedens im Auge hatte.

Betrachten wir kurz den Ausgangszustand und die Stationen dieser Ent¬
wickelung der Dinge. Deutscher Bund mit zwei Großmächten, die verschiedene
Ziele haben, und von denen die eine ungefähr so stark wie die andere ist, ein
Wagen, der vorn und hinten mit Pferden bespmmt ist, Anstrengungen dahin,'


Grenzboten IV. 1879. 1
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[0005] Msmarck in Wien. So wird man in der Geschichte einst das Ende einer großen Entwicke¬ lungsepoche und den Beginn einer neuen Zeit bezeichnen, einer neuen Zeit für Deutschland und das ihm benachbarte und verwandte Oesterreich-Ungarn. Die Anwesenheit unseres Reichskanzlers in der Kaiserstadt an der Donau sah anfänglich und oberflächlich betrachtet so wenig absichtlich, so natürlich aus , sie war eine Etappe auf der Rückreise von seiner gewöhnlichen Gasteiner Badekur, eine Erwiederung des Besuches, deu der österreichisch-ungarische Minister des Auswärtigen ihm während der letzteren abgestattet; und doch, wenn mau eiuen Blick in die Vergangenheit zurückwarf, und wenn man die Signatur der Gegenwart prüfte, welche weitreichende Bedeutung hatten diese Tage! Sie waren ein Ereigniß ersten Ranges, der segensreiche Enderfolg einer langen Reihe von Gedanken und Bestrebungen des geniale» Geistes, der die Politischen Geschicke Deutschlands lenkt, das Siegel auf ein großes, viel ver¬ heißendes Versöhnungswerk, welches alle verständigen Deutschen seit Jahren ersehnten, welches bis auf die letzte Zeit vielfach bedroht und zu vereiteln ver¬ sucht worden war und nun, wie wir zuversichtlich hoffen dürfen, endlich ge¬ lungen und für alle oder, da Menschliches immer dem Wechsel unterliegt, für lange Zeit sicher gestellt ist. Bismarck in Wien und sein dortiger Empfang, sein dortiges Wirken be¬ deuten den Abschluß eines weltgeschichtlichen Prozesses, der, in seiner zweiten Hälfte vom Deutschen Kanzler eingeleitet, vom Grafen Andrassy konsequent ge¬ fördert, die beiden Hauptmächte Mitteleuropas in die rechte Stellung zu ein¬ ander und daun auf die rechten Wege zu bringen bestimmt war, und der als letztes Ziel die endgiltige Sicherung des Weltfriedens im Auge hatte. Betrachten wir kurz den Ausgangszustand und die Stationen dieser Ent¬ wickelung der Dinge. Deutscher Bund mit zwei Großmächten, die verschiedene Ziele haben, und von denen die eine ungefähr so stark wie die andere ist, ein Wagen, der vorn und hinten mit Pferden bespmmt ist, Anstrengungen dahin,' Grenzboten IV. 1879. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/5>, abgerufen am 23.07.2024.