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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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gegen die Großherzogin Karoline von Berg, die Schwester Napoleons und Ge¬
mahlin Murats, schon 1808 ein Viertel seiner Rheinzollrevenüen, 80000 Fres.,
an den Großherzog gegen Befreiung von der unbedeutenden Verpflichtung, den
Leinpfad im Staude zu erhalten, wofür jährlich nur etwa 7000 Fras. erfor¬
derlich waren, abgetreten hatte. Trotzdem schloß Dalberg am 16. Februar
1810 den Staatsvertrag über die Gründung des Großherzogthums Frankfurt.
Gegen Ueberlassung Regensburgs an Baiern und Verzicht auf seine Einkünfte
aus dem Rheinzoll, die fortan in Napoleons Privatkasse flössen, erhielt er die
Departements Fulda und Hanau, die zusammen eine schwere Schuldenlast
trugen, erkannte die in denselben von Napoleon gemachten Schenkungen im
Betrage von 600 000 Fres. Rente an und übernahm sämmtliche Schulden dieser
Laude und die Fortzahlung der auf die Rheiuzölle gelegten Rente von 78000
Fras. Der erzbischöfliche Sitz sollte von Regensburg nach Frankfurt verlegt
werden. Alles in allem betrachtet, verbesserten sich die finanziellen Verhältnisse
des Fürsten nicht nur nicht, sondern sie verschlechterten sich sogar erheblich, da
seine Einnahmen sich um 180000 Fres. verringerten. Aber trotz der dringend¬
sten Vorstellungen seiner Minister, namentlich des Grafen Beust, unterzeich¬
nete Dalberg den Vertrag genau in derselben Form, in der er ihm vorgelegt
worden war.

Was Napoleon mit der Errichtung des neuen "Staats" beabsichtigte, er¬
gab sich aus seiner Botschaft an den französischen Senat vom 1. März mit
Wünschenswerther Deutlichkeit. Darin übertrug er für den Fall von Dalbergs
Tode seine "Rechte" ans das Großherzogthum an seinen Stiefsohn, den Vice-
könig Eugen von Italien, mit vollem Erbrecht seiner männlichen Descendenz;
für den Fall, daß diese aussterbe, war der "Rückfall an die kaiserliche Krone"
vorgesehen. Also betrachtete der Kaiser das Land als ein mittelbar französisches
Gebiet, wie ungefähr das Großherzogthum Berg, das er am 3. März 1809
seinem Neffen, dem damaligen Kronprinzen Napoleon Ludwig von Holland,
übertragen und in eigne Verwaltung genommen hatte. Hätte die Napoleoni¬
sche Gewaltherrschaft länger bestanden, so wäre die völlige Einverleibung dieser
Gebiete sicher uur eine Frage der Zeit gewesen.

Niemals hat sich denn auch Dalberg als etwas anderes gefühlt denn als
der Beauftragte des erhabenen Protektors, dem er sein Dasein geweiht hatte. /
Zwar war er im März 1810 von seiner dritten Reise nach Paris sehr ver¬
stimmt zurückgekehrt, weil weder seiue Vorschläge zu einer Verfassung des
rheinischen Bundes, die den Despotismus einiger seiner Souveräne unterdrücken
sollte, Erfolg gehabt hatten, noch die Kommission, die Napoleon zur Berathung
anch der deutschen Kirchenverhältuisse "als Suzerain von Deutschland,
als Nachfolger Karls des Großen, als veritabler Kaiser des Occidents,


gegen die Großherzogin Karoline von Berg, die Schwester Napoleons und Ge¬
mahlin Murats, schon 1808 ein Viertel seiner Rheinzollrevenüen, 80000 Fres.,
an den Großherzog gegen Befreiung von der unbedeutenden Verpflichtung, den
Leinpfad im Staude zu erhalten, wofür jährlich nur etwa 7000 Fras. erfor¬
derlich waren, abgetreten hatte. Trotzdem schloß Dalberg am 16. Februar
1810 den Staatsvertrag über die Gründung des Großherzogthums Frankfurt.
Gegen Ueberlassung Regensburgs an Baiern und Verzicht auf seine Einkünfte
aus dem Rheinzoll, die fortan in Napoleons Privatkasse flössen, erhielt er die
Departements Fulda und Hanau, die zusammen eine schwere Schuldenlast
trugen, erkannte die in denselben von Napoleon gemachten Schenkungen im
Betrage von 600 000 Fres. Rente an und übernahm sämmtliche Schulden dieser
Laude und die Fortzahlung der auf die Rheiuzölle gelegten Rente von 78000
Fras. Der erzbischöfliche Sitz sollte von Regensburg nach Frankfurt verlegt
werden. Alles in allem betrachtet, verbesserten sich die finanziellen Verhältnisse
des Fürsten nicht nur nicht, sondern sie verschlechterten sich sogar erheblich, da
seine Einnahmen sich um 180000 Fres. verringerten. Aber trotz der dringend¬
sten Vorstellungen seiner Minister, namentlich des Grafen Beust, unterzeich¬
nete Dalberg den Vertrag genau in derselben Form, in der er ihm vorgelegt
worden war.

Was Napoleon mit der Errichtung des neuen „Staats" beabsichtigte, er¬
gab sich aus seiner Botschaft an den französischen Senat vom 1. März mit
Wünschenswerther Deutlichkeit. Darin übertrug er für den Fall von Dalbergs
Tode seine „Rechte" ans das Großherzogthum an seinen Stiefsohn, den Vice-
könig Eugen von Italien, mit vollem Erbrecht seiner männlichen Descendenz;
für den Fall, daß diese aussterbe, war der „Rückfall an die kaiserliche Krone"
vorgesehen. Also betrachtete der Kaiser das Land als ein mittelbar französisches
Gebiet, wie ungefähr das Großherzogthum Berg, das er am 3. März 1809
seinem Neffen, dem damaligen Kronprinzen Napoleon Ludwig von Holland,
übertragen und in eigne Verwaltung genommen hatte. Hätte die Napoleoni¬
sche Gewaltherrschaft länger bestanden, so wäre die völlige Einverleibung dieser
Gebiete sicher uur eine Frage der Zeit gewesen.

Niemals hat sich denn auch Dalberg als etwas anderes gefühlt denn als
der Beauftragte des erhabenen Protektors, dem er sein Dasein geweiht hatte. /
Zwar war er im März 1810 von seiner dritten Reise nach Paris sehr ver¬
stimmt zurückgekehrt, weil weder seiue Vorschläge zu einer Verfassung des
rheinischen Bundes, die den Despotismus einiger seiner Souveräne unterdrücken
sollte, Erfolg gehabt hatten, noch die Kommission, die Napoleon zur Berathung
anch der deutschen Kirchenverhältuisse „als Suzerain von Deutschland,
als Nachfolger Karls des Großen, als veritabler Kaiser des Occidents,


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[0492] gegen die Großherzogin Karoline von Berg, die Schwester Napoleons und Ge¬ mahlin Murats, schon 1808 ein Viertel seiner Rheinzollrevenüen, 80000 Fres., an den Großherzog gegen Befreiung von der unbedeutenden Verpflichtung, den Leinpfad im Staude zu erhalten, wofür jährlich nur etwa 7000 Fras. erfor¬ derlich waren, abgetreten hatte. Trotzdem schloß Dalberg am 16. Februar 1810 den Staatsvertrag über die Gründung des Großherzogthums Frankfurt. Gegen Ueberlassung Regensburgs an Baiern und Verzicht auf seine Einkünfte aus dem Rheinzoll, die fortan in Napoleons Privatkasse flössen, erhielt er die Departements Fulda und Hanau, die zusammen eine schwere Schuldenlast trugen, erkannte die in denselben von Napoleon gemachten Schenkungen im Betrage von 600 000 Fres. Rente an und übernahm sämmtliche Schulden dieser Laude und die Fortzahlung der auf die Rheiuzölle gelegten Rente von 78000 Fras. Der erzbischöfliche Sitz sollte von Regensburg nach Frankfurt verlegt werden. Alles in allem betrachtet, verbesserten sich die finanziellen Verhältnisse des Fürsten nicht nur nicht, sondern sie verschlechterten sich sogar erheblich, da seine Einnahmen sich um 180000 Fres. verringerten. Aber trotz der dringend¬ sten Vorstellungen seiner Minister, namentlich des Grafen Beust, unterzeich¬ nete Dalberg den Vertrag genau in derselben Form, in der er ihm vorgelegt worden war. Was Napoleon mit der Errichtung des neuen „Staats" beabsichtigte, er¬ gab sich aus seiner Botschaft an den französischen Senat vom 1. März mit Wünschenswerther Deutlichkeit. Darin übertrug er für den Fall von Dalbergs Tode seine „Rechte" ans das Großherzogthum an seinen Stiefsohn, den Vice- könig Eugen von Italien, mit vollem Erbrecht seiner männlichen Descendenz; für den Fall, daß diese aussterbe, war der „Rückfall an die kaiserliche Krone" vorgesehen. Also betrachtete der Kaiser das Land als ein mittelbar französisches Gebiet, wie ungefähr das Großherzogthum Berg, das er am 3. März 1809 seinem Neffen, dem damaligen Kronprinzen Napoleon Ludwig von Holland, übertragen und in eigne Verwaltung genommen hatte. Hätte die Napoleoni¬ sche Gewaltherrschaft länger bestanden, so wäre die völlige Einverleibung dieser Gebiete sicher uur eine Frage der Zeit gewesen. Niemals hat sich denn auch Dalberg als etwas anderes gefühlt denn als der Beauftragte des erhabenen Protektors, dem er sein Dasein geweiht hatte. / Zwar war er im März 1810 von seiner dritten Reise nach Paris sehr ver¬ stimmt zurückgekehrt, weil weder seiue Vorschläge zu einer Verfassung des rheinischen Bundes, die den Despotismus einiger seiner Souveräne unterdrücken sollte, Erfolg gehabt hatten, noch die Kommission, die Napoleon zur Berathung anch der deutschen Kirchenverhältuisse „als Suzerain von Deutschland, als Nachfolger Karls des Großen, als veritabler Kaiser des Occidents,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/492>, abgerufen am 24.07.2024.