Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

ungefähr ein Drittel des Einkommens von jeglichem Kapital verschlang. In
unsern Tage" dagegen ist die Staatsschuld Großbritanniens ans 788 Mill.
Pfd. Se. herabgemindert, während das Kapital der Nation die Höhe von 8^
Milliarden Pfd. Se. (170 Milliarden Mark) erreicht hat. Die Zinsen der
britischen Staatsschuld belaufen sich gegenwärtig auf 21 Mill. Pfd. Se., machen
also nur etwa den 22. Theil des Einkommens von dem im Lande vorhandenen
Kapital aus. Wenn die Staatsschuld wieder in das Verhältniß zum Kapital
treten sollte wie 1815, so müßte sie nicht 788 Millionen, sondern rund drei
Milliarden Pfd. Se. (60 Milliarden Mark) betragen, und ihre Verzinsung
müßte nicht 21, sondern rund 100 Mill. Pfd. Se. jährlich erfordern. Um also
England bis zu dem finanziellen Stande von 1815, bis zu dem damaligen
Grade der Erschöpfung seiner Geldmittel zu bringen, welcher die Folge von
zwölf Jahren voll großer Kriege war, müßte es durch die Verhältnisse ge¬
zwungen werden, sich finanzielle Opfer aufzuerlegen, welche seine Staatsschuld
um 2200 Mill. Pfd. Se. und die Verzinsung derselben um 80 Mill. vermehrten."

Wir schließen unsere Betrachtung mit einigen Bemerkungen, die zu kühler
und vorsichtiger Stimmung gegenüber dem in der Londoner Presse lautgewor¬
denen Wunsche nach einem Bündnisse mit Deutschland und Oesterreich-Ungarn
Anlaß geben. Ob Oesterreich-Ungarn seine Stellung auf der Balkanhalbinsel
behält und verwerthen kann, ist für uns aus bekannten Gründen nicht gleich-
giltig. Ob England Indien und die zur Sicherung dieses Besitzes erforder¬
liche Position in der asiatischen Türkei, sowie ans und am Mittelmeere behält,
hat mit unserem Interesse, soweit wir sehen können, nichts zu thun. Wir
haben ihm nichts zu danken und wenig Gutes von ihm zu erwarten. Es hat,
als es Preußen im siebenjährigen Kriege unterstützte, lediglich im Hinblick auf
seinen Vortheil gehandelt, und diese Unterstützung ließ viel zu wünschen übrig.
Dasselbe gilt von seiner Theilnahme an den Freiheitskriegen. Seine Haltung
auf dem Wiener Kongresse war der Förderung der deutschen Interessen nicht
günstig. Palmerston ist nie ein Freund Deutschlands gewesen. In den Kämpfen
um Schleswig-Holstein hat die englische Politik uns die Wege vertreten, so¬
viel und so lange sie konnte. 1870 konnte sie den Ausbruch des Krieges ver¬
hindern, und sie hat es nicht gethan. Eine starke Partei sah unsern Sieg mit
scheelen Augen an, und wir wissen, daß viele Engländer es getadelt haben, daß
ihre Regierung damals nicht offen auf Frankreichs Seite trat. Selbst jetzig
wo man das gute Einvernehmen zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn
für sich benutzen möchte, hört man in London Stimmen, die dasselbe mit Mi߬
trauen betrachten, insofern sie aus der damit in Verbindung gebrachten zoll¬
politischen Verständigung eine Beherrschung des Weltmarktes hervorgehen und
sich durch Hereinziehen der Niederlande bis in den indischen Archipel ausdehnen


Grenzboten IV. 1879. 64

ungefähr ein Drittel des Einkommens von jeglichem Kapital verschlang. In
unsern Tage» dagegen ist die Staatsschuld Großbritanniens ans 788 Mill.
Pfd. Se. herabgemindert, während das Kapital der Nation die Höhe von 8^
Milliarden Pfd. Se. (170 Milliarden Mark) erreicht hat. Die Zinsen der
britischen Staatsschuld belaufen sich gegenwärtig auf 21 Mill. Pfd. Se., machen
also nur etwa den 22. Theil des Einkommens von dem im Lande vorhandenen
Kapital aus. Wenn die Staatsschuld wieder in das Verhältniß zum Kapital
treten sollte wie 1815, so müßte sie nicht 788 Millionen, sondern rund drei
Milliarden Pfd. Se. (60 Milliarden Mark) betragen, und ihre Verzinsung
müßte nicht 21, sondern rund 100 Mill. Pfd. Se. jährlich erfordern. Um also
England bis zu dem finanziellen Stande von 1815, bis zu dem damaligen
Grade der Erschöpfung seiner Geldmittel zu bringen, welcher die Folge von
zwölf Jahren voll großer Kriege war, müßte es durch die Verhältnisse ge¬
zwungen werden, sich finanzielle Opfer aufzuerlegen, welche seine Staatsschuld
um 2200 Mill. Pfd. Se. und die Verzinsung derselben um 80 Mill. vermehrten."

Wir schließen unsere Betrachtung mit einigen Bemerkungen, die zu kühler
und vorsichtiger Stimmung gegenüber dem in der Londoner Presse lautgewor¬
denen Wunsche nach einem Bündnisse mit Deutschland und Oesterreich-Ungarn
Anlaß geben. Ob Oesterreich-Ungarn seine Stellung auf der Balkanhalbinsel
behält und verwerthen kann, ist für uns aus bekannten Gründen nicht gleich-
giltig. Ob England Indien und die zur Sicherung dieses Besitzes erforder¬
liche Position in der asiatischen Türkei, sowie ans und am Mittelmeere behält,
hat mit unserem Interesse, soweit wir sehen können, nichts zu thun. Wir
haben ihm nichts zu danken und wenig Gutes von ihm zu erwarten. Es hat,
als es Preußen im siebenjährigen Kriege unterstützte, lediglich im Hinblick auf
seinen Vortheil gehandelt, und diese Unterstützung ließ viel zu wünschen übrig.
Dasselbe gilt von seiner Theilnahme an den Freiheitskriegen. Seine Haltung
auf dem Wiener Kongresse war der Förderung der deutschen Interessen nicht
günstig. Palmerston ist nie ein Freund Deutschlands gewesen. In den Kämpfen
um Schleswig-Holstein hat die englische Politik uns die Wege vertreten, so¬
viel und so lange sie konnte. 1870 konnte sie den Ausbruch des Krieges ver¬
hindern, und sie hat es nicht gethan. Eine starke Partei sah unsern Sieg mit
scheelen Augen an, und wir wissen, daß viele Engländer es getadelt haben, daß
ihre Regierung damals nicht offen auf Frankreichs Seite trat. Selbst jetzig
wo man das gute Einvernehmen zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn
für sich benutzen möchte, hört man in London Stimmen, die dasselbe mit Mi߬
trauen betrachten, insofern sie aus der damit in Verbindung gebrachten zoll¬
politischen Verständigung eine Beherrschung des Weltmarktes hervorgehen und
sich durch Hereinziehen der Niederlande bis in den indischen Archipel ausdehnen


Grenzboten IV. 1879. 64
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0489" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143544"/>
          <p xml:id="ID_1410" prev="#ID_1409"> ungefähr ein Drittel des Einkommens von jeglichem Kapital verschlang. In<lb/>
unsern Tage» dagegen ist die Staatsschuld Großbritanniens ans 788 Mill.<lb/>
Pfd. Se. herabgemindert, während das Kapital der Nation die Höhe von 8^<lb/>
Milliarden Pfd. Se. (170 Milliarden Mark) erreicht hat. Die Zinsen der<lb/>
britischen Staatsschuld belaufen sich gegenwärtig auf 21 Mill. Pfd. Se., machen<lb/>
also nur etwa den 22. Theil des Einkommens von dem im Lande vorhandenen<lb/>
Kapital aus. Wenn die Staatsschuld wieder in das Verhältniß zum Kapital<lb/>
treten sollte wie 1815, so müßte sie nicht 788 Millionen, sondern rund drei<lb/>
Milliarden Pfd. Se. (60 Milliarden Mark) betragen, und ihre Verzinsung<lb/>
müßte nicht 21, sondern rund 100 Mill. Pfd. Se. jährlich erfordern. Um also<lb/>
England bis zu dem finanziellen Stande von 1815, bis zu dem damaligen<lb/>
Grade der Erschöpfung seiner Geldmittel zu bringen, welcher die Folge von<lb/>
zwölf Jahren voll großer Kriege war, müßte es durch die Verhältnisse ge¬<lb/>
zwungen werden, sich finanzielle Opfer aufzuerlegen, welche seine Staatsschuld<lb/>
um 2200 Mill. Pfd. Se. und die Verzinsung derselben um 80 Mill. vermehrten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1411" next="#ID_1412"> Wir schließen unsere Betrachtung mit einigen Bemerkungen, die zu kühler<lb/>
und vorsichtiger Stimmung gegenüber dem in der Londoner Presse lautgewor¬<lb/>
denen Wunsche nach einem Bündnisse mit Deutschland und Oesterreich-Ungarn<lb/>
Anlaß geben. Ob Oesterreich-Ungarn seine Stellung auf der Balkanhalbinsel<lb/>
behält und verwerthen kann, ist für uns aus bekannten Gründen nicht gleich-<lb/>
giltig. Ob England Indien und die zur Sicherung dieses Besitzes erforder¬<lb/>
liche Position in der asiatischen Türkei, sowie ans und am Mittelmeere behält,<lb/>
hat mit unserem Interesse, soweit wir sehen können, nichts zu thun. Wir<lb/>
haben ihm nichts zu danken und wenig Gutes von ihm zu erwarten. Es hat,<lb/>
als es Preußen im siebenjährigen Kriege unterstützte, lediglich im Hinblick auf<lb/>
seinen Vortheil gehandelt, und diese Unterstützung ließ viel zu wünschen übrig.<lb/>
Dasselbe gilt von seiner Theilnahme an den Freiheitskriegen. Seine Haltung<lb/>
auf dem Wiener Kongresse war der Förderung der deutschen Interessen nicht<lb/>
günstig. Palmerston ist nie ein Freund Deutschlands gewesen. In den Kämpfen<lb/>
um Schleswig-Holstein hat die englische Politik uns die Wege vertreten, so¬<lb/>
viel und so lange sie konnte. 1870 konnte sie den Ausbruch des Krieges ver¬<lb/>
hindern, und sie hat es nicht gethan.  Eine starke Partei sah unsern Sieg mit<lb/>
scheelen Augen an, und wir wissen, daß viele Engländer es getadelt haben, daß<lb/>
ihre Regierung damals nicht offen auf Frankreichs Seite trat. Selbst jetzig<lb/>
wo man das gute Einvernehmen zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn<lb/>
für sich benutzen möchte, hört man in London Stimmen, die dasselbe mit Mi߬<lb/>
trauen betrachten, insofern sie aus der damit in Verbindung gebrachten zoll¬<lb/>
politischen Verständigung eine Beherrschung des Weltmarktes hervorgehen und<lb/>
sich durch Hereinziehen der Niederlande bis in den indischen Archipel ausdehnen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1879. 64</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0489] ungefähr ein Drittel des Einkommens von jeglichem Kapital verschlang. In unsern Tage» dagegen ist die Staatsschuld Großbritanniens ans 788 Mill. Pfd. Se. herabgemindert, während das Kapital der Nation die Höhe von 8^ Milliarden Pfd. Se. (170 Milliarden Mark) erreicht hat. Die Zinsen der britischen Staatsschuld belaufen sich gegenwärtig auf 21 Mill. Pfd. Se., machen also nur etwa den 22. Theil des Einkommens von dem im Lande vorhandenen Kapital aus. Wenn die Staatsschuld wieder in das Verhältniß zum Kapital treten sollte wie 1815, so müßte sie nicht 788 Millionen, sondern rund drei Milliarden Pfd. Se. (60 Milliarden Mark) betragen, und ihre Verzinsung müßte nicht 21, sondern rund 100 Mill. Pfd. Se. jährlich erfordern. Um also England bis zu dem finanziellen Stande von 1815, bis zu dem damaligen Grade der Erschöpfung seiner Geldmittel zu bringen, welcher die Folge von zwölf Jahren voll großer Kriege war, müßte es durch die Verhältnisse ge¬ zwungen werden, sich finanzielle Opfer aufzuerlegen, welche seine Staatsschuld um 2200 Mill. Pfd. Se. und die Verzinsung derselben um 80 Mill. vermehrten." Wir schließen unsere Betrachtung mit einigen Bemerkungen, die zu kühler und vorsichtiger Stimmung gegenüber dem in der Londoner Presse lautgewor¬ denen Wunsche nach einem Bündnisse mit Deutschland und Oesterreich-Ungarn Anlaß geben. Ob Oesterreich-Ungarn seine Stellung auf der Balkanhalbinsel behält und verwerthen kann, ist für uns aus bekannten Gründen nicht gleich- giltig. Ob England Indien und die zur Sicherung dieses Besitzes erforder¬ liche Position in der asiatischen Türkei, sowie ans und am Mittelmeere behält, hat mit unserem Interesse, soweit wir sehen können, nichts zu thun. Wir haben ihm nichts zu danken und wenig Gutes von ihm zu erwarten. Es hat, als es Preußen im siebenjährigen Kriege unterstützte, lediglich im Hinblick auf seinen Vortheil gehandelt, und diese Unterstützung ließ viel zu wünschen übrig. Dasselbe gilt von seiner Theilnahme an den Freiheitskriegen. Seine Haltung auf dem Wiener Kongresse war der Förderung der deutschen Interessen nicht günstig. Palmerston ist nie ein Freund Deutschlands gewesen. In den Kämpfen um Schleswig-Holstein hat die englische Politik uns die Wege vertreten, so¬ viel und so lange sie konnte. 1870 konnte sie den Ausbruch des Krieges ver¬ hindern, und sie hat es nicht gethan. Eine starke Partei sah unsern Sieg mit scheelen Augen an, und wir wissen, daß viele Engländer es getadelt haben, daß ihre Regierung damals nicht offen auf Frankreichs Seite trat. Selbst jetzig wo man das gute Einvernehmen zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn für sich benutzen möchte, hört man in London Stimmen, die dasselbe mit Mi߬ trauen betrachten, insofern sie aus der damit in Verbindung gebrachten zoll¬ politischen Verständigung eine Beherrschung des Weltmarktes hervorgehen und sich durch Hereinziehen der Niederlande bis in den indischen Archipel ausdehnen Grenzboten IV. 1879. 64

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/489
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/489>, abgerufen am 23.07.2024.