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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Bereits sind sie zum größten Theile in den Räumen des Berliner Museums
geborgen. Zweihundert Kisten sind noch unterwegs: wenn Poseidon uns günstig
ist, dessen Torso sich bereits unter den im Museum geborgenen Stücken befindet,
wird auch der Rest glücklich in den Hafen einlaufen. Es scheint jedoch, daß
das letzte Wort von deutscher Seite noch nicht auf der Akropolis von Perga-
mon gesprochen worden ist. Der Direktor der Berliner Antikensammlung, Pro¬
fessor Conze, hat bis vor kurzem noch dort geweilt -- er ist jetzt auf der
Heimreise begriffen --, um näheres über die Gestalt des Baudenkmals zu er¬
mitteln, zu welchem die gefundenen Skulptnrenreste gehört haben. Da die Ge¬
nehmigung' der türkischen Regierung, in Pergamon Nachgrabungen zu veran¬
stalten, vom Angust 1878 datirt und ans ein Jahr bemessen ist, so steht zu
hoffen, daß man nicht einen Stein ununtersucht gelassen haben, daß man
vielleicht noch manches andere kostbare Gut gefunden haben wird, über welchem
der Schleier des Geheimnisses heute ebenso dicht ruht, wie noch vor wenigen
Wochen über dem Gigantenfries.

Bevor wir auf die Geschichte dieser merkwürdigen Entdeckung und auf
ihre kunstgeschichtliche Würdigung eingehen, bedarf es eines historischen Rück¬
blicks auf die Zeit, aus welcher die gewaltige Schöpfung hervorgegangen ist.

Lysimachos, der Beherrscher Vorderasiens, der "Schatzmeister", wie er von
seinen Feinden spöttisch genannt wurde, hatte den Eunuchen Philetä'roh zum
Hüter seiner Schätze bestellt. Auf der befestigten Burg von Pergamon in
Mysien, gegenüber der Insel Lesbos, bewachte dieser neuntausend Talente, aber
nicht lange im Interesse seines Herrn. Als Seleukos Nikator immer größere
Fortschritte nach Westen machte und die Schwäche und Thatenlosigkeit des
Lysimachos immer mehr zunahm, benutzte der schlaue Eunuch den günstigen
Augenblick und wandte sich dem neuaufgehenden Sterne zu. Aber der Glanz
desselben leuchtete nicht lange über Kleinasien. Zwar nahm er in einer Schlacht
am Hellespont dem Lysimachos Reich und Leben, aber kurz darauf, im Anfange
des Jahres 280, wurde er selbst von Ptolemäos Keraunos ermordet. Jetzt
sah sich Philetäros frei. Mit Hilfe seiner Schätze warb er Söldner, und seine
Schlauheit half ihm, inmitten der allgemeinen Kämpfe und Verwirrungen seine
Unabhängigkeit zu erringen und bis zu seinem Tode zu behaupten. Sein Neffe
Eumenes I. (263--241) begann seine Regierung mit einem Sieg über Antiochos
Soter und verstand es, das Erworbene gegen die räuberischen Horden der
Kelten, welche sich in Galatien angesiedelt hatten und als Söldner in den
Dienst bald dieses, bald jenes Machthabers traten, mit Erfolg zu vertheidigen.
Unter seinem Nachfolger Attalos I. (241--197) wuchs der gallische Schrecken
wieder in unerträglichem Maße. Plündernd und verheerend drangen die Ga-
later in Mysien ein und legten den Städten unerschwingliche Tribute "uf. Da


Bereits sind sie zum größten Theile in den Räumen des Berliner Museums
geborgen. Zweihundert Kisten sind noch unterwegs: wenn Poseidon uns günstig
ist, dessen Torso sich bereits unter den im Museum geborgenen Stücken befindet,
wird auch der Rest glücklich in den Hafen einlaufen. Es scheint jedoch, daß
das letzte Wort von deutscher Seite noch nicht auf der Akropolis von Perga-
mon gesprochen worden ist. Der Direktor der Berliner Antikensammlung, Pro¬
fessor Conze, hat bis vor kurzem noch dort geweilt — er ist jetzt auf der
Heimreise begriffen —, um näheres über die Gestalt des Baudenkmals zu er¬
mitteln, zu welchem die gefundenen Skulptnrenreste gehört haben. Da die Ge¬
nehmigung' der türkischen Regierung, in Pergamon Nachgrabungen zu veran¬
stalten, vom Angust 1878 datirt und ans ein Jahr bemessen ist, so steht zu
hoffen, daß man nicht einen Stein ununtersucht gelassen haben, daß man
vielleicht noch manches andere kostbare Gut gefunden haben wird, über welchem
der Schleier des Geheimnisses heute ebenso dicht ruht, wie noch vor wenigen
Wochen über dem Gigantenfries.

Bevor wir auf die Geschichte dieser merkwürdigen Entdeckung und auf
ihre kunstgeschichtliche Würdigung eingehen, bedarf es eines historischen Rück¬
blicks auf die Zeit, aus welcher die gewaltige Schöpfung hervorgegangen ist.

Lysimachos, der Beherrscher Vorderasiens, der „Schatzmeister", wie er von
seinen Feinden spöttisch genannt wurde, hatte den Eunuchen Philetä'roh zum
Hüter seiner Schätze bestellt. Auf der befestigten Burg von Pergamon in
Mysien, gegenüber der Insel Lesbos, bewachte dieser neuntausend Talente, aber
nicht lange im Interesse seines Herrn. Als Seleukos Nikator immer größere
Fortschritte nach Westen machte und die Schwäche und Thatenlosigkeit des
Lysimachos immer mehr zunahm, benutzte der schlaue Eunuch den günstigen
Augenblick und wandte sich dem neuaufgehenden Sterne zu. Aber der Glanz
desselben leuchtete nicht lange über Kleinasien. Zwar nahm er in einer Schlacht
am Hellespont dem Lysimachos Reich und Leben, aber kurz darauf, im Anfange
des Jahres 280, wurde er selbst von Ptolemäos Keraunos ermordet. Jetzt
sah sich Philetäros frei. Mit Hilfe seiner Schätze warb er Söldner, und seine
Schlauheit half ihm, inmitten der allgemeinen Kämpfe und Verwirrungen seine
Unabhängigkeit zu erringen und bis zu seinem Tode zu behaupten. Sein Neffe
Eumenes I. (263—241) begann seine Regierung mit einem Sieg über Antiochos
Soter und verstand es, das Erworbene gegen die räuberischen Horden der
Kelten, welche sich in Galatien angesiedelt hatten und als Söldner in den
Dienst bald dieses, bald jenes Machthabers traten, mit Erfolg zu vertheidigen.
Unter seinem Nachfolger Attalos I. (241—197) wuchs der gallische Schrecken
wieder in unerträglichem Maße. Plündernd und verheerend drangen die Ga-
later in Mysien ein und legten den Städten unerschwingliche Tribute «uf. Da


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[0459] Bereits sind sie zum größten Theile in den Räumen des Berliner Museums geborgen. Zweihundert Kisten sind noch unterwegs: wenn Poseidon uns günstig ist, dessen Torso sich bereits unter den im Museum geborgenen Stücken befindet, wird auch der Rest glücklich in den Hafen einlaufen. Es scheint jedoch, daß das letzte Wort von deutscher Seite noch nicht auf der Akropolis von Perga- mon gesprochen worden ist. Der Direktor der Berliner Antikensammlung, Pro¬ fessor Conze, hat bis vor kurzem noch dort geweilt — er ist jetzt auf der Heimreise begriffen —, um näheres über die Gestalt des Baudenkmals zu er¬ mitteln, zu welchem die gefundenen Skulptnrenreste gehört haben. Da die Ge¬ nehmigung' der türkischen Regierung, in Pergamon Nachgrabungen zu veran¬ stalten, vom Angust 1878 datirt und ans ein Jahr bemessen ist, so steht zu hoffen, daß man nicht einen Stein ununtersucht gelassen haben, daß man vielleicht noch manches andere kostbare Gut gefunden haben wird, über welchem der Schleier des Geheimnisses heute ebenso dicht ruht, wie noch vor wenigen Wochen über dem Gigantenfries. Bevor wir auf die Geschichte dieser merkwürdigen Entdeckung und auf ihre kunstgeschichtliche Würdigung eingehen, bedarf es eines historischen Rück¬ blicks auf die Zeit, aus welcher die gewaltige Schöpfung hervorgegangen ist. Lysimachos, der Beherrscher Vorderasiens, der „Schatzmeister", wie er von seinen Feinden spöttisch genannt wurde, hatte den Eunuchen Philetä'roh zum Hüter seiner Schätze bestellt. Auf der befestigten Burg von Pergamon in Mysien, gegenüber der Insel Lesbos, bewachte dieser neuntausend Talente, aber nicht lange im Interesse seines Herrn. Als Seleukos Nikator immer größere Fortschritte nach Westen machte und die Schwäche und Thatenlosigkeit des Lysimachos immer mehr zunahm, benutzte der schlaue Eunuch den günstigen Augenblick und wandte sich dem neuaufgehenden Sterne zu. Aber der Glanz desselben leuchtete nicht lange über Kleinasien. Zwar nahm er in einer Schlacht am Hellespont dem Lysimachos Reich und Leben, aber kurz darauf, im Anfange des Jahres 280, wurde er selbst von Ptolemäos Keraunos ermordet. Jetzt sah sich Philetäros frei. Mit Hilfe seiner Schätze warb er Söldner, und seine Schlauheit half ihm, inmitten der allgemeinen Kämpfe und Verwirrungen seine Unabhängigkeit zu erringen und bis zu seinem Tode zu behaupten. Sein Neffe Eumenes I. (263—241) begann seine Regierung mit einem Sieg über Antiochos Soter und verstand es, das Erworbene gegen die räuberischen Horden der Kelten, welche sich in Galatien angesiedelt hatten und als Söldner in den Dienst bald dieses, bald jenes Machthabers traten, mit Erfolg zu vertheidigen. Unter seinem Nachfolger Attalos I. (241—197) wuchs der gallische Schrecken wieder in unerträglichem Maße. Plündernd und verheerend drangen die Ga- later in Mysien ein und legten den Städten unerschwingliche Tribute «uf. Da

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/459>, abgerufen am 23.07.2024.