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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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dieses Schritts gegenüber dem Kaiser Franz "tief gerührt" seiner letzten Pflicht
als Kurfürst und Reichserzkanzler entledigt.

Mit Recht hebt Beaulieu in der zusammenfassenden Kritik dieses ganzen
Verfahrens hervor, wie das allgemeine Urtheil über Dalbergs Betheiligung am
Rheinbunde immer härter gelautet habe und härter habe lauten müssen als
über die weltlichen Fürsten, da der Erzkanzler keine Dynastie zu sichern und
nicht für angestammte Lande zu sorgen hatte. Wahrhaft patriotisch hätte er
gehandelt, wenn er damals mit einem energischen Protest seine Würde nieder¬
gelegt und sich ans sein geistliches Amt zurückgezogen hätte. Warum hat er
es nicht gethan, warum ist er zum Verräther an derselben Reichsverfassung ge¬
worden, für die mannhaft einzutreten er so oft als seine oberste Pflicht bezeich¬
net hatte? Die Erklärung liegt unzweifelhaft darin, daß er wirklich an die
Möglichkeit einer Reorganisation Deutschlands im Anschluß an Napoleons Pro¬
tektorat glaubte. Eben deshalb hoffte er, ganz Deutschland, aber außer Preußen
und Oesterreich, im Rheinbunde dereinst vereinigt zu sehen. Denn niemals hat
er begriffen, daß die politische Stärke der Nation ganz wo anders liege als in
diesen zerfahrenen Territorien des Südens und Westens, die soeben die Willkür
der Kabinetspolitik zu neuen Staatenbildungen zusammenzuschweißen sich bemühte.

Jene Hoffnung verurtheilte denn nun den früheren Reichskanzler dazu,
Jahre hindurch den Stein des Sisyphus zu wälzen, indem er sich abmühte,
dem neuen Staatenkonglomerat eine "Verfassung" zu verschaffen, und vielleicht
hat darin die einzige Vergeltung gelegen, die er empfand, daß ihm dies mi߬
lang, wie es mißlingen mußte. Denn dazu hatte doch Napoleon diese Lande
nicht vom Reiche losgerissen, um sie nun wieder zu einem in sich eng verbun¬
denen Staatskörper zu vereinigen; Truppen sollten sie ihm liefern, nichts weiter.
Und dazu hatte" diese Fürsten nicht sich souverän gemacht, um nun die Fesseln
einer neuen Bundesverfassung sich anzulegen. So hatte Dalberg keinen Bei¬
stand von dem einen oder den anderen zu erwarten; seine Bestrebungen blieben
die eines Privatmannes, und es gehörte seine ganze fast naive Unkenntniß der
Dinge und der Personen dazu, daß er sich darüber täuschte. Nach § 15 der
Rheinbundsakte war er allerdings als Fürst-Primas, als Vorsitzender des
königlichen Kollegiums verpflichtet, den Entwurf eiues Grundgesetzes vorzulegen,
und so eifrig ging er auf die neuen Verhältnisse ein, daß er schon am 4. August
dem hohen Protektor einen Entwurf übersandte, den dieser auch -- in dein
Augenblicke, wo er sich rüstete, über Preußen herzufallen! -- sorgfältig zu prüfen
versprach (13. August). Dalberg wollte zunächst die Errichtung eines Bundes¬
gerichts für die Streitigkeiten zwischen den einzelnen Staaten und Wiederbelebung
derjenigen Reichsgesetze, welche noch auf den neuen Zustand anwendbar seien,
wie des Religionsfriedens, der Landfriedens- und Exekutionsordnung n. a., er


dieses Schritts gegenüber dem Kaiser Franz „tief gerührt" seiner letzten Pflicht
als Kurfürst und Reichserzkanzler entledigt.

Mit Recht hebt Beaulieu in der zusammenfassenden Kritik dieses ganzen
Verfahrens hervor, wie das allgemeine Urtheil über Dalbergs Betheiligung am
Rheinbunde immer härter gelautet habe und härter habe lauten müssen als
über die weltlichen Fürsten, da der Erzkanzler keine Dynastie zu sichern und
nicht für angestammte Lande zu sorgen hatte. Wahrhaft patriotisch hätte er
gehandelt, wenn er damals mit einem energischen Protest seine Würde nieder¬
gelegt und sich ans sein geistliches Amt zurückgezogen hätte. Warum hat er
es nicht gethan, warum ist er zum Verräther an derselben Reichsverfassung ge¬
worden, für die mannhaft einzutreten er so oft als seine oberste Pflicht bezeich¬
net hatte? Die Erklärung liegt unzweifelhaft darin, daß er wirklich an die
Möglichkeit einer Reorganisation Deutschlands im Anschluß an Napoleons Pro¬
tektorat glaubte. Eben deshalb hoffte er, ganz Deutschland, aber außer Preußen
und Oesterreich, im Rheinbunde dereinst vereinigt zu sehen. Denn niemals hat
er begriffen, daß die politische Stärke der Nation ganz wo anders liege als in
diesen zerfahrenen Territorien des Südens und Westens, die soeben die Willkür
der Kabinetspolitik zu neuen Staatenbildungen zusammenzuschweißen sich bemühte.

Jene Hoffnung verurtheilte denn nun den früheren Reichskanzler dazu,
Jahre hindurch den Stein des Sisyphus zu wälzen, indem er sich abmühte,
dem neuen Staatenkonglomerat eine „Verfassung" zu verschaffen, und vielleicht
hat darin die einzige Vergeltung gelegen, die er empfand, daß ihm dies mi߬
lang, wie es mißlingen mußte. Denn dazu hatte doch Napoleon diese Lande
nicht vom Reiche losgerissen, um sie nun wieder zu einem in sich eng verbun¬
denen Staatskörper zu vereinigen; Truppen sollten sie ihm liefern, nichts weiter.
Und dazu hatte» diese Fürsten nicht sich souverän gemacht, um nun die Fesseln
einer neuen Bundesverfassung sich anzulegen. So hatte Dalberg keinen Bei¬
stand von dem einen oder den anderen zu erwarten; seine Bestrebungen blieben
die eines Privatmannes, und es gehörte seine ganze fast naive Unkenntniß der
Dinge und der Personen dazu, daß er sich darüber täuschte. Nach § 15 der
Rheinbundsakte war er allerdings als Fürst-Primas, als Vorsitzender des
königlichen Kollegiums verpflichtet, den Entwurf eiues Grundgesetzes vorzulegen,
und so eifrig ging er auf die neuen Verhältnisse ein, daß er schon am 4. August
dem hohen Protektor einen Entwurf übersandte, den dieser auch — in dein
Augenblicke, wo er sich rüstete, über Preußen herzufallen! — sorgfältig zu prüfen
versprach (13. August). Dalberg wollte zunächst die Errichtung eines Bundes¬
gerichts für die Streitigkeiten zwischen den einzelnen Staaten und Wiederbelebung
derjenigen Reichsgesetze, welche noch auf den neuen Zustand anwendbar seien,
wie des Religionsfriedens, der Landfriedens- und Exekutionsordnung n. a., er


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[0454] dieses Schritts gegenüber dem Kaiser Franz „tief gerührt" seiner letzten Pflicht als Kurfürst und Reichserzkanzler entledigt. Mit Recht hebt Beaulieu in der zusammenfassenden Kritik dieses ganzen Verfahrens hervor, wie das allgemeine Urtheil über Dalbergs Betheiligung am Rheinbunde immer härter gelautet habe und härter habe lauten müssen als über die weltlichen Fürsten, da der Erzkanzler keine Dynastie zu sichern und nicht für angestammte Lande zu sorgen hatte. Wahrhaft patriotisch hätte er gehandelt, wenn er damals mit einem energischen Protest seine Würde nieder¬ gelegt und sich ans sein geistliches Amt zurückgezogen hätte. Warum hat er es nicht gethan, warum ist er zum Verräther an derselben Reichsverfassung ge¬ worden, für die mannhaft einzutreten er so oft als seine oberste Pflicht bezeich¬ net hatte? Die Erklärung liegt unzweifelhaft darin, daß er wirklich an die Möglichkeit einer Reorganisation Deutschlands im Anschluß an Napoleons Pro¬ tektorat glaubte. Eben deshalb hoffte er, ganz Deutschland, aber außer Preußen und Oesterreich, im Rheinbunde dereinst vereinigt zu sehen. Denn niemals hat er begriffen, daß die politische Stärke der Nation ganz wo anders liege als in diesen zerfahrenen Territorien des Südens und Westens, die soeben die Willkür der Kabinetspolitik zu neuen Staatenbildungen zusammenzuschweißen sich bemühte. Jene Hoffnung verurtheilte denn nun den früheren Reichskanzler dazu, Jahre hindurch den Stein des Sisyphus zu wälzen, indem er sich abmühte, dem neuen Staatenkonglomerat eine „Verfassung" zu verschaffen, und vielleicht hat darin die einzige Vergeltung gelegen, die er empfand, daß ihm dies mi߬ lang, wie es mißlingen mußte. Denn dazu hatte doch Napoleon diese Lande nicht vom Reiche losgerissen, um sie nun wieder zu einem in sich eng verbun¬ denen Staatskörper zu vereinigen; Truppen sollten sie ihm liefern, nichts weiter. Und dazu hatte» diese Fürsten nicht sich souverän gemacht, um nun die Fesseln einer neuen Bundesverfassung sich anzulegen. So hatte Dalberg keinen Bei¬ stand von dem einen oder den anderen zu erwarten; seine Bestrebungen blieben die eines Privatmannes, und es gehörte seine ganze fast naive Unkenntniß der Dinge und der Personen dazu, daß er sich darüber täuschte. Nach § 15 der Rheinbundsakte war er allerdings als Fürst-Primas, als Vorsitzender des königlichen Kollegiums verpflichtet, den Entwurf eiues Grundgesetzes vorzulegen, und so eifrig ging er auf die neuen Verhältnisse ein, daß er schon am 4. August dem hohen Protektor einen Entwurf übersandte, den dieser auch — in dein Augenblicke, wo er sich rüstete, über Preußen herzufallen! — sorgfältig zu prüfen versprach (13. August). Dalberg wollte zunächst die Errichtung eines Bundes¬ gerichts für die Streitigkeiten zwischen den einzelnen Staaten und Wiederbelebung derjenigen Reichsgesetze, welche noch auf den neuen Zustand anwendbar seien, wie des Religionsfriedens, der Landfriedens- und Exekutionsordnung n. a., er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/454>, abgerufen am 26.08.2024.