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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Handlungen aufgehoben, es tritt daher nun an die Kirche die Frage heran,
wie sie sich zu verhalten habe, falls ihre Glieder jene von ihr geforderten
Handlungen unterlassen. Ein zwiefaches muß hier selbstverständlich sein, ein¬
mal, daß ein disciplinarisches Einschreiten der Kirche nicht als das erste, son¬
dern als das letzte, äußerste Mittel angewandt wird, nachdem die Seelsorge
vergeblich ihr Werk gethan hat; denn aber auch, daß ein disciplinarisches Ver¬
fahren stattfinden muß, wenn die Wege der Seelsorge nicht zum Ziele geführt
haben; die Kirche ist sich dies selbst schuldig, ihrer Selbstachtung schuldig, es
ist ein Akt der Selbstvertheidigung, zu dem sie genöthigt wird. Eine Kirche,
welche prinzipiell auf Kirchenzucht verzichtet, verfällt unweigerlich der Mi߬
achtung und verliert die Autorität, deren sie zur Lösung ihrer Aufgaben be¬
darf. Auch darüber wird kein großer Dissensus sein, daß hier feste Normen
bestehen müssen, wenn nicht eine verhängnißvolle Verwirrung Platz greifen
soll. Es darf nicht hier der kirchlichen Disciplin verfallen, wer dort frei aus¬
geht. Das Subjekt, welches die Kirchenzucht ausübt, ist in erster Linie die
Kirche; die Gemeinde ist nur das vollziehende Organ. Man könnte daher
nur darüber verschiedener Meinung sein, ob die von der Synode beschlossene
Disciplinar-Ordnung das Rechte getroffen hat. Daß dies im wesentlichen ge¬
schehen ist, dürfte schon die Thatsache wahrscheinlich machen, daß das Gesetz
im Plenum von allen Gruppen, abgesehen von den acht Vertretern der Linken,
en divo einstimmig angenommen wurde. Wir gestehen zu, es findet) sich in
dem Gesetz eine Bestimmung, die Bedenken erwecken kann, und deren Ersatz
durch die ursprüngliche Fassung der kirchenregimentlichen Vorlage wir vorge¬
zogen hätten; aber diese Bestimmung ist auch die einzige, die allzugroßer
Schärfe geziehen werden kann. Es ist dies Z 12, welcher die Ausschließung vom
Abendmahle zum Gegenstande hat. Die Vorlage hatte dieselbe davon abhängig
gemacht, ob die der Disciplin verfallenen Glieder als unfähig anzusehen seien,
die Gnadengabe im Segen und ohne Aergerniß der Gemeinde zu empfangen. Die
Fassung der Kommission, die von der Synode angenommen wurde, fügt dem
hinzu, daß eine solche Gemüthsverfassung anzunehmen sei bei beharrlicher Ver¬
absäumung der Taufe, im übrigen namentlich dann, wenn die Unterlassung der
kirchlichen Pflicht sich durch öffentliche Reden oder Handlungen als Verachtung
des Wortes Gottes kennzeichne. Doch schwinden die Bedenken, wenn wir uns
vergegenwärtigen, daß der Begriff des "Annehmens" ein hypothetischer, subjek¬
tiver ist, daß daher die Ausschließung vom Abendmahle da nicht zulässig sein
kann, wo bestimmte Thatsachen vorliegen, die einer solchen Annahme wider¬
streiten. Auch ist in Betracht zu ziehen, daß die Instanzen, durch welche diese
Disciplin geübt werden wird, die Organe der Gemeinde, der Gemeindekirchen-


Handlungen aufgehoben, es tritt daher nun an die Kirche die Frage heran,
wie sie sich zu verhalten habe, falls ihre Glieder jene von ihr geforderten
Handlungen unterlassen. Ein zwiefaches muß hier selbstverständlich sein, ein¬
mal, daß ein disciplinarisches Einschreiten der Kirche nicht als das erste, son¬
dern als das letzte, äußerste Mittel angewandt wird, nachdem die Seelsorge
vergeblich ihr Werk gethan hat; denn aber auch, daß ein disciplinarisches Ver¬
fahren stattfinden muß, wenn die Wege der Seelsorge nicht zum Ziele geführt
haben; die Kirche ist sich dies selbst schuldig, ihrer Selbstachtung schuldig, es
ist ein Akt der Selbstvertheidigung, zu dem sie genöthigt wird. Eine Kirche,
welche prinzipiell auf Kirchenzucht verzichtet, verfällt unweigerlich der Mi߬
achtung und verliert die Autorität, deren sie zur Lösung ihrer Aufgaben be¬
darf. Auch darüber wird kein großer Dissensus sein, daß hier feste Normen
bestehen müssen, wenn nicht eine verhängnißvolle Verwirrung Platz greifen
soll. Es darf nicht hier der kirchlichen Disciplin verfallen, wer dort frei aus¬
geht. Das Subjekt, welches die Kirchenzucht ausübt, ist in erster Linie die
Kirche; die Gemeinde ist nur das vollziehende Organ. Man könnte daher
nur darüber verschiedener Meinung sein, ob die von der Synode beschlossene
Disciplinar-Ordnung das Rechte getroffen hat. Daß dies im wesentlichen ge¬
schehen ist, dürfte schon die Thatsache wahrscheinlich machen, daß das Gesetz
im Plenum von allen Gruppen, abgesehen von den acht Vertretern der Linken,
en divo einstimmig angenommen wurde. Wir gestehen zu, es findet) sich in
dem Gesetz eine Bestimmung, die Bedenken erwecken kann, und deren Ersatz
durch die ursprüngliche Fassung der kirchenregimentlichen Vorlage wir vorge¬
zogen hätten; aber diese Bestimmung ist auch die einzige, die allzugroßer
Schärfe geziehen werden kann. Es ist dies Z 12, welcher die Ausschließung vom
Abendmahle zum Gegenstande hat. Die Vorlage hatte dieselbe davon abhängig
gemacht, ob die der Disciplin verfallenen Glieder als unfähig anzusehen seien,
die Gnadengabe im Segen und ohne Aergerniß der Gemeinde zu empfangen. Die
Fassung der Kommission, die von der Synode angenommen wurde, fügt dem
hinzu, daß eine solche Gemüthsverfassung anzunehmen sei bei beharrlicher Ver¬
absäumung der Taufe, im übrigen namentlich dann, wenn die Unterlassung der
kirchlichen Pflicht sich durch öffentliche Reden oder Handlungen als Verachtung
des Wortes Gottes kennzeichne. Doch schwinden die Bedenken, wenn wir uns
vergegenwärtigen, daß der Begriff des „Annehmens" ein hypothetischer, subjek¬
tiver ist, daß daher die Ausschließung vom Abendmahle da nicht zulässig sein
kann, wo bestimmte Thatsachen vorliegen, die einer solchen Annahme wider¬
streiten. Auch ist in Betracht zu ziehen, daß die Instanzen, durch welche diese
Disciplin geübt werden wird, die Organe der Gemeinde, der Gemeindekirchen-


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[0444] Handlungen aufgehoben, es tritt daher nun an die Kirche die Frage heran, wie sie sich zu verhalten habe, falls ihre Glieder jene von ihr geforderten Handlungen unterlassen. Ein zwiefaches muß hier selbstverständlich sein, ein¬ mal, daß ein disciplinarisches Einschreiten der Kirche nicht als das erste, son¬ dern als das letzte, äußerste Mittel angewandt wird, nachdem die Seelsorge vergeblich ihr Werk gethan hat; denn aber auch, daß ein disciplinarisches Ver¬ fahren stattfinden muß, wenn die Wege der Seelsorge nicht zum Ziele geführt haben; die Kirche ist sich dies selbst schuldig, ihrer Selbstachtung schuldig, es ist ein Akt der Selbstvertheidigung, zu dem sie genöthigt wird. Eine Kirche, welche prinzipiell auf Kirchenzucht verzichtet, verfällt unweigerlich der Mi߬ achtung und verliert die Autorität, deren sie zur Lösung ihrer Aufgaben be¬ darf. Auch darüber wird kein großer Dissensus sein, daß hier feste Normen bestehen müssen, wenn nicht eine verhängnißvolle Verwirrung Platz greifen soll. Es darf nicht hier der kirchlichen Disciplin verfallen, wer dort frei aus¬ geht. Das Subjekt, welches die Kirchenzucht ausübt, ist in erster Linie die Kirche; die Gemeinde ist nur das vollziehende Organ. Man könnte daher nur darüber verschiedener Meinung sein, ob die von der Synode beschlossene Disciplinar-Ordnung das Rechte getroffen hat. Daß dies im wesentlichen ge¬ schehen ist, dürfte schon die Thatsache wahrscheinlich machen, daß das Gesetz im Plenum von allen Gruppen, abgesehen von den acht Vertretern der Linken, en divo einstimmig angenommen wurde. Wir gestehen zu, es findet) sich in dem Gesetz eine Bestimmung, die Bedenken erwecken kann, und deren Ersatz durch die ursprüngliche Fassung der kirchenregimentlichen Vorlage wir vorge¬ zogen hätten; aber diese Bestimmung ist auch die einzige, die allzugroßer Schärfe geziehen werden kann. Es ist dies Z 12, welcher die Ausschließung vom Abendmahle zum Gegenstande hat. Die Vorlage hatte dieselbe davon abhängig gemacht, ob die der Disciplin verfallenen Glieder als unfähig anzusehen seien, die Gnadengabe im Segen und ohne Aergerniß der Gemeinde zu empfangen. Die Fassung der Kommission, die von der Synode angenommen wurde, fügt dem hinzu, daß eine solche Gemüthsverfassung anzunehmen sei bei beharrlicher Ver¬ absäumung der Taufe, im übrigen namentlich dann, wenn die Unterlassung der kirchlichen Pflicht sich durch öffentliche Reden oder Handlungen als Verachtung des Wortes Gottes kennzeichne. Doch schwinden die Bedenken, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß der Begriff des „Annehmens" ein hypothetischer, subjek¬ tiver ist, daß daher die Ausschließung vom Abendmahle da nicht zulässig sein kann, wo bestimmte Thatsachen vorliegen, die einer solchen Annahme wider¬ streiten. Auch ist in Betracht zu ziehen, daß die Instanzen, durch welche diese Disciplin geübt werden wird, die Organe der Gemeinde, der Gemeindekirchen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/444>, abgerufen am 26.08.2024.