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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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beschränkte sich darauf, eine Deklaration des Begriffs "Evangelisches Bekennt¬
niß" im Sinne des historischen Bekenntnißstandes, also eine Erläuterung der
M 5 und 18 der Generalsynodal-Ordnung durch § 1 derselben zu beantragen,
und man entschloß sich sogar, für eine motivirte Tagesordnung zu stimmen,
durch welche dieser Antrag, der den Namen des Grafen Rothkirch trug, abge¬
lehnt wurde. Diese motivirte Tagesordnung lautete: "In Erwägung, daß
mit der Union auch der Bekenntnißstand der evangelischen Landeskirche hin¬
sichtlich der in ihr zu Recht bestehenden reformatorischen Bekenntnisse durch
8 1 der Generalsynodal-Ordnung gewährleistet ist und diese Gewährleistung
die Voraussetzung der Bestimmungen in ß 5 und 18 ist, geht die Synode über
diesen Antrag zur Tagesordnung über." Das konfessionelle Element in seiner
bestimmten Gestalt trat also kaum hervor, nur eine eigenthümliche, allgemeiner
gerichtete kirchenpolitische Tendenz kennzeichnete die Partei. Dieselbe zeigte sich
als starke Betonung des autoritativen Prinzips, als das Bestreben, die Ab¬
hängigkeit der einzelnen Gemeinden sowie der einzelnen Geistlichen von den
höheren Instanzen, Kreis- oder Provinzial-Synodalvorständen und Konsistorien
zu steigern und die freie Selbstbewegung der Geistlichen wie der einzelnen
Gemeinden zu beschränken. Müssen wir auch zugeben, daß durch diese Ten¬
denz die konfessionelle Partei mit einem wesentlichen Prinzip der Verfassung
in Kollision kommt, so kann dies doch für uns kein Grund sein, sie deshalb
zu verurtheilen. Das Autoritäts- und Individualität-Prinzip schließen sich
keineswegs aus, sondern dienen einander zur gegenseitigen Korrektur. So
könnten wir uns wohl denken, daß sich zwischen der "Evangelischen Vereini¬
gung" und der konfessionellen Partei ein freundliches Verhältniß bildete. Die
eine wie die andere vertritt eine Wahrheit. Was wir der konfessionellen Partei
aber zur schweren Schuld anrechnen müssen, das ist ihr Verhalten bei den
Wahlen zum Synodalvorstand. Sie hat sich nicht entschließen können, Mit¬
gliedern der "Evangelischen Vereinigung" ihre Stimme zu geben. Sie hat klein¬
liche Parteipolitik, aber nicht Kirchenpolitik getrieben. Sie hat in der Hoffnung
auf momentanen Erfolg, die sich übrigens nicht verwirklichte, die Bedingungen
mißachtet, an welche der Bestand der evangelischen Kirche geknüpft ist, die An¬
erkennung aller Parteien, die auf dem positiven Boden des evangelischen Be¬
kenntnisses stehen. Nichtsdestoweniger hoffen wir, daß allmählich auch diese
Partei lernen wird, die Interessen der Kirche von einem höheren Standorte
aus zu betrachten. So lange freilich Herr v. Kleist-Retzow Stimmführer der
Partei ist, verzichten wir auf die Erfüllung dieser Hoffnung. Aber es gibt in
derselben auch besonnenere, maßvollere und friedlichere Elemente; wir nennen
hier vor allem den Grafen Rothkirch-Trans. Gelingt es diesen, die Führung
zu erlangen, so dürfen wir eine Verständigung in sichere Aussicht nehmen.


beschränkte sich darauf, eine Deklaration des Begriffs „Evangelisches Bekennt¬
niß" im Sinne des historischen Bekenntnißstandes, also eine Erläuterung der
M 5 und 18 der Generalsynodal-Ordnung durch § 1 derselben zu beantragen,
und man entschloß sich sogar, für eine motivirte Tagesordnung zu stimmen,
durch welche dieser Antrag, der den Namen des Grafen Rothkirch trug, abge¬
lehnt wurde. Diese motivirte Tagesordnung lautete: „In Erwägung, daß
mit der Union auch der Bekenntnißstand der evangelischen Landeskirche hin¬
sichtlich der in ihr zu Recht bestehenden reformatorischen Bekenntnisse durch
8 1 der Generalsynodal-Ordnung gewährleistet ist und diese Gewährleistung
die Voraussetzung der Bestimmungen in ß 5 und 18 ist, geht die Synode über
diesen Antrag zur Tagesordnung über." Das konfessionelle Element in seiner
bestimmten Gestalt trat also kaum hervor, nur eine eigenthümliche, allgemeiner
gerichtete kirchenpolitische Tendenz kennzeichnete die Partei. Dieselbe zeigte sich
als starke Betonung des autoritativen Prinzips, als das Bestreben, die Ab¬
hängigkeit der einzelnen Gemeinden sowie der einzelnen Geistlichen von den
höheren Instanzen, Kreis- oder Provinzial-Synodalvorständen und Konsistorien
zu steigern und die freie Selbstbewegung der Geistlichen wie der einzelnen
Gemeinden zu beschränken. Müssen wir auch zugeben, daß durch diese Ten¬
denz die konfessionelle Partei mit einem wesentlichen Prinzip der Verfassung
in Kollision kommt, so kann dies doch für uns kein Grund sein, sie deshalb
zu verurtheilen. Das Autoritäts- und Individualität-Prinzip schließen sich
keineswegs aus, sondern dienen einander zur gegenseitigen Korrektur. So
könnten wir uns wohl denken, daß sich zwischen der „Evangelischen Vereini¬
gung" und der konfessionellen Partei ein freundliches Verhältniß bildete. Die
eine wie die andere vertritt eine Wahrheit. Was wir der konfessionellen Partei
aber zur schweren Schuld anrechnen müssen, das ist ihr Verhalten bei den
Wahlen zum Synodalvorstand. Sie hat sich nicht entschließen können, Mit¬
gliedern der „Evangelischen Vereinigung" ihre Stimme zu geben. Sie hat klein¬
liche Parteipolitik, aber nicht Kirchenpolitik getrieben. Sie hat in der Hoffnung
auf momentanen Erfolg, die sich übrigens nicht verwirklichte, die Bedingungen
mißachtet, an welche der Bestand der evangelischen Kirche geknüpft ist, die An¬
erkennung aller Parteien, die auf dem positiven Boden des evangelischen Be¬
kenntnisses stehen. Nichtsdestoweniger hoffen wir, daß allmählich auch diese
Partei lernen wird, die Interessen der Kirche von einem höheren Standorte
aus zu betrachten. So lange freilich Herr v. Kleist-Retzow Stimmführer der
Partei ist, verzichten wir auf die Erfüllung dieser Hoffnung. Aber es gibt in
derselben auch besonnenere, maßvollere und friedlichere Elemente; wir nennen
hier vor allem den Grafen Rothkirch-Trans. Gelingt es diesen, die Führung
zu erlangen, so dürfen wir eine Verständigung in sichere Aussicht nehmen.


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[0439] beschränkte sich darauf, eine Deklaration des Begriffs „Evangelisches Bekennt¬ niß" im Sinne des historischen Bekenntnißstandes, also eine Erläuterung der M 5 und 18 der Generalsynodal-Ordnung durch § 1 derselben zu beantragen, und man entschloß sich sogar, für eine motivirte Tagesordnung zu stimmen, durch welche dieser Antrag, der den Namen des Grafen Rothkirch trug, abge¬ lehnt wurde. Diese motivirte Tagesordnung lautete: „In Erwägung, daß mit der Union auch der Bekenntnißstand der evangelischen Landeskirche hin¬ sichtlich der in ihr zu Recht bestehenden reformatorischen Bekenntnisse durch 8 1 der Generalsynodal-Ordnung gewährleistet ist und diese Gewährleistung die Voraussetzung der Bestimmungen in ß 5 und 18 ist, geht die Synode über diesen Antrag zur Tagesordnung über." Das konfessionelle Element in seiner bestimmten Gestalt trat also kaum hervor, nur eine eigenthümliche, allgemeiner gerichtete kirchenpolitische Tendenz kennzeichnete die Partei. Dieselbe zeigte sich als starke Betonung des autoritativen Prinzips, als das Bestreben, die Ab¬ hängigkeit der einzelnen Gemeinden sowie der einzelnen Geistlichen von den höheren Instanzen, Kreis- oder Provinzial-Synodalvorständen und Konsistorien zu steigern und die freie Selbstbewegung der Geistlichen wie der einzelnen Gemeinden zu beschränken. Müssen wir auch zugeben, daß durch diese Ten¬ denz die konfessionelle Partei mit einem wesentlichen Prinzip der Verfassung in Kollision kommt, so kann dies doch für uns kein Grund sein, sie deshalb zu verurtheilen. Das Autoritäts- und Individualität-Prinzip schließen sich keineswegs aus, sondern dienen einander zur gegenseitigen Korrektur. So könnten wir uns wohl denken, daß sich zwischen der „Evangelischen Vereini¬ gung" und der konfessionellen Partei ein freundliches Verhältniß bildete. Die eine wie die andere vertritt eine Wahrheit. Was wir der konfessionellen Partei aber zur schweren Schuld anrechnen müssen, das ist ihr Verhalten bei den Wahlen zum Synodalvorstand. Sie hat sich nicht entschließen können, Mit¬ gliedern der „Evangelischen Vereinigung" ihre Stimme zu geben. Sie hat klein¬ liche Parteipolitik, aber nicht Kirchenpolitik getrieben. Sie hat in der Hoffnung auf momentanen Erfolg, die sich übrigens nicht verwirklichte, die Bedingungen mißachtet, an welche der Bestand der evangelischen Kirche geknüpft ist, die An¬ erkennung aller Parteien, die auf dem positiven Boden des evangelischen Be¬ kenntnisses stehen. Nichtsdestoweniger hoffen wir, daß allmählich auch diese Partei lernen wird, die Interessen der Kirche von einem höheren Standorte aus zu betrachten. So lange freilich Herr v. Kleist-Retzow Stimmführer der Partei ist, verzichten wir auf die Erfüllung dieser Hoffnung. Aber es gibt in derselben auch besonnenere, maßvollere und friedlichere Elemente; wir nennen hier vor allem den Grafen Rothkirch-Trans. Gelingt es diesen, die Führung zu erlangen, so dürfen wir eine Verständigung in sichere Aussicht nehmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/439>, abgerufen am 23.07.2024.