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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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dorfer, Belgier und Franzosen zu einer neuen glänzenden Einheit verschmolzen.
Was jedoch Cornelius und Kaulbach zuviel besaßen, besaß Piloty zu wenig.
Aeußere Handfertigkeit und geistige Vertiefung hielten sich bei ihm nicht die
Wage. Er war in erster Linie Maler, und seine brillanten malerischen Quali¬
täten überwucherten bald alle übrigen Seiten seines künstlerischen Schaffens in
dem Grade, daß über der glänzenden Schale der geistige Kern anfangs ver¬
nachlässigt, später ganz vergessen wurde. Dieser Kultus der Aeußerlichkeiten
hat die Historienmalerei in München allmählich zu einer Theatermalerei degra-
dirt, die sich selbst Genüge gethan zu haben glaubt, wenn sie den Effekt des
lebenden Bildes erreicht hat. So ist aus der unwahren Romantik der Düssel¬
dorfer die bunte Karnevalsparade der Münchener geworden, welche das wahre
Wesen der Historienmalerei ebensowenig erschöpft.

Ist dieses aber überhaupt zu erschöpfen, ist es überhaupt zu begründen und
zu definiren? Steckt wirklich das Wesen der Historienmalerei darin, daß man
große Schatten der Vergangenheit auf die Leinwand beschwört? Und wo hört
das Historienbild auf, wo fäugt das historische Genre an? Friedrich der Große,
der mit seinen berühmten Freunden zu Sanssouci die Freuden der Tafel ge¬
nießt -- ist das ein Vorwurf für ein Historiengemälde, oder gehört das bereits
dem historischen Genre an? Ist der Inhalt oder der Maßstab das Kriterium,
welches uns diese Grenzen finden hilft? Ist es der Maßstab, dann wäre
Defreggers "Todesgang Andreas Hofers" große Historie und das "Letzte Aufgebot
der Tiroler gegen Napoleon" nur ein Genrebild. Soll aber der Inhalt ma߬
gebend sein, dann würde das Resultat unserer Klassificirung ein umgekehrtes
sein müssen. Kann man sich ein Historienbild von großartigerem Inhalt denken
als die Schlacht bei sedem oder die Proklamation des deutschen Kaisers in
Versailles? Und doch soll die moderne Schlachtenmalerei und die Zeitgeschichte
nach den Forderungen der strengsten Schulästhetiker von der Historienmalerei
ausgeschlossen sein, die erstere, weil sie unästhetisch sei, weil sie nach der Ausbildung
der modernen Taktik nicht mit der Wahrheit konkurriren könne, die andere, weil
sie zur Tendenzmalerei reize. Nach diesen Grundsätzen, die sich merkwürdiger¬
weise am nachdrücklichsten in der extrem-fortschrittlichen Presse vertreten finden,
müßten wir Deutsche also auf die künstlerische Verherrlichung unserer größten
Thaten verzichten, weil wir das Unglück gehabt, diese Thaten erst in der jüngsten
Vergangenheit vollführt zu haben. Daß die Tendenzmalerei jedoch ebensosehr
in der Schilderung uralter historischer Vorgänge zum Ausdruck oder zum Aus¬
bruch gelangen kann, beweist am besten die Historienmalerei der polnischen
Künstler, insbesondere eines Josef Brandt und eines Jan Matejko. Brandt ist
noch der objektivere von beiden, der sich auf die Glorifikation polnischer Tap¬
ferkeit beschränkt. Motejko kehrt jedoch die Pfeile seiner Tendenz gegen andere


dorfer, Belgier und Franzosen zu einer neuen glänzenden Einheit verschmolzen.
Was jedoch Cornelius und Kaulbach zuviel besaßen, besaß Piloty zu wenig.
Aeußere Handfertigkeit und geistige Vertiefung hielten sich bei ihm nicht die
Wage. Er war in erster Linie Maler, und seine brillanten malerischen Quali¬
täten überwucherten bald alle übrigen Seiten seines künstlerischen Schaffens in
dem Grade, daß über der glänzenden Schale der geistige Kern anfangs ver¬
nachlässigt, später ganz vergessen wurde. Dieser Kultus der Aeußerlichkeiten
hat die Historienmalerei in München allmählich zu einer Theatermalerei degra-
dirt, die sich selbst Genüge gethan zu haben glaubt, wenn sie den Effekt des
lebenden Bildes erreicht hat. So ist aus der unwahren Romantik der Düssel¬
dorfer die bunte Karnevalsparade der Münchener geworden, welche das wahre
Wesen der Historienmalerei ebensowenig erschöpft.

Ist dieses aber überhaupt zu erschöpfen, ist es überhaupt zu begründen und
zu definiren? Steckt wirklich das Wesen der Historienmalerei darin, daß man
große Schatten der Vergangenheit auf die Leinwand beschwört? Und wo hört
das Historienbild auf, wo fäugt das historische Genre an? Friedrich der Große,
der mit seinen berühmten Freunden zu Sanssouci die Freuden der Tafel ge¬
nießt — ist das ein Vorwurf für ein Historiengemälde, oder gehört das bereits
dem historischen Genre an? Ist der Inhalt oder der Maßstab das Kriterium,
welches uns diese Grenzen finden hilft? Ist es der Maßstab, dann wäre
Defreggers „Todesgang Andreas Hofers" große Historie und das „Letzte Aufgebot
der Tiroler gegen Napoleon" nur ein Genrebild. Soll aber der Inhalt ma߬
gebend sein, dann würde das Resultat unserer Klassificirung ein umgekehrtes
sein müssen. Kann man sich ein Historienbild von großartigerem Inhalt denken
als die Schlacht bei sedem oder die Proklamation des deutschen Kaisers in
Versailles? Und doch soll die moderne Schlachtenmalerei und die Zeitgeschichte
nach den Forderungen der strengsten Schulästhetiker von der Historienmalerei
ausgeschlossen sein, die erstere, weil sie unästhetisch sei, weil sie nach der Ausbildung
der modernen Taktik nicht mit der Wahrheit konkurriren könne, die andere, weil
sie zur Tendenzmalerei reize. Nach diesen Grundsätzen, die sich merkwürdiger¬
weise am nachdrücklichsten in der extrem-fortschrittlichen Presse vertreten finden,
müßten wir Deutsche also auf die künstlerische Verherrlichung unserer größten
Thaten verzichten, weil wir das Unglück gehabt, diese Thaten erst in der jüngsten
Vergangenheit vollführt zu haben. Daß die Tendenzmalerei jedoch ebensosehr
in der Schilderung uralter historischer Vorgänge zum Ausdruck oder zum Aus¬
bruch gelangen kann, beweist am besten die Historienmalerei der polnischen
Künstler, insbesondere eines Josef Brandt und eines Jan Matejko. Brandt ist
noch der objektivere von beiden, der sich auf die Glorifikation polnischer Tap¬
ferkeit beschränkt. Motejko kehrt jedoch die Pfeile seiner Tendenz gegen andere


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[0423] dorfer, Belgier und Franzosen zu einer neuen glänzenden Einheit verschmolzen. Was jedoch Cornelius und Kaulbach zuviel besaßen, besaß Piloty zu wenig. Aeußere Handfertigkeit und geistige Vertiefung hielten sich bei ihm nicht die Wage. Er war in erster Linie Maler, und seine brillanten malerischen Quali¬ täten überwucherten bald alle übrigen Seiten seines künstlerischen Schaffens in dem Grade, daß über der glänzenden Schale der geistige Kern anfangs ver¬ nachlässigt, später ganz vergessen wurde. Dieser Kultus der Aeußerlichkeiten hat die Historienmalerei in München allmählich zu einer Theatermalerei degra- dirt, die sich selbst Genüge gethan zu haben glaubt, wenn sie den Effekt des lebenden Bildes erreicht hat. So ist aus der unwahren Romantik der Düssel¬ dorfer die bunte Karnevalsparade der Münchener geworden, welche das wahre Wesen der Historienmalerei ebensowenig erschöpft. Ist dieses aber überhaupt zu erschöpfen, ist es überhaupt zu begründen und zu definiren? Steckt wirklich das Wesen der Historienmalerei darin, daß man große Schatten der Vergangenheit auf die Leinwand beschwört? Und wo hört das Historienbild auf, wo fäugt das historische Genre an? Friedrich der Große, der mit seinen berühmten Freunden zu Sanssouci die Freuden der Tafel ge¬ nießt — ist das ein Vorwurf für ein Historiengemälde, oder gehört das bereits dem historischen Genre an? Ist der Inhalt oder der Maßstab das Kriterium, welches uns diese Grenzen finden hilft? Ist es der Maßstab, dann wäre Defreggers „Todesgang Andreas Hofers" große Historie und das „Letzte Aufgebot der Tiroler gegen Napoleon" nur ein Genrebild. Soll aber der Inhalt ma߬ gebend sein, dann würde das Resultat unserer Klassificirung ein umgekehrtes sein müssen. Kann man sich ein Historienbild von großartigerem Inhalt denken als die Schlacht bei sedem oder die Proklamation des deutschen Kaisers in Versailles? Und doch soll die moderne Schlachtenmalerei und die Zeitgeschichte nach den Forderungen der strengsten Schulästhetiker von der Historienmalerei ausgeschlossen sein, die erstere, weil sie unästhetisch sei, weil sie nach der Ausbildung der modernen Taktik nicht mit der Wahrheit konkurriren könne, die andere, weil sie zur Tendenzmalerei reize. Nach diesen Grundsätzen, die sich merkwürdiger¬ weise am nachdrücklichsten in der extrem-fortschrittlichen Presse vertreten finden, müßten wir Deutsche also auf die künstlerische Verherrlichung unserer größten Thaten verzichten, weil wir das Unglück gehabt, diese Thaten erst in der jüngsten Vergangenheit vollführt zu haben. Daß die Tendenzmalerei jedoch ebensosehr in der Schilderung uralter historischer Vorgänge zum Ausdruck oder zum Aus¬ bruch gelangen kann, beweist am besten die Historienmalerei der polnischen Künstler, insbesondere eines Josef Brandt und eines Jan Matejko. Brandt ist noch der objektivere von beiden, der sich auf die Glorifikation polnischer Tap¬ ferkeit beschränkt. Motejko kehrt jedoch die Pfeile seiner Tendenz gegen andere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/423>, abgerufen am 27.08.2024.