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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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man damals Realismus nannte, erscheint uns heute im Lichte des Idealismus
und obenein noch in dem eines falschen Idealismus. Für uns haben sich die
Gegensätze von damals fast schon verwischt. Was die Nazarener von den
älteren Düsseldorfer Historienmalern unterscheidet, ist wenig mehr als die Farbe
und ein tieferer geistiger Gehalt auf jener Seite, ein philosophisches Gedanken¬
spiel, welches der Kunst eher schädlich als nützlich ist.

In den vierziger Jahren erfolgte dann jene Revolution durch die Wan¬
derung der beiden großen Historienbilder der Belgier Gallait und de Biefve,
"Die Abdankung Karls V." und "Der Kompromiß des niederländischen Adels
(1566)", durch die Hauptstadt Europas, jene Revolution, welche den Sieg des
Farbenrealismus vollständig machte. In Berlin erlitt Cornelius persönlich
durch die belgischen Bilder eine Niederlage, von der er sich in den Augen der
Berliner niemals wieder erholt hat. Aber auch die belgische Historienmalerei,
welche wie ein glänzendes Meteor am Kunsthimmel Enropas aufstieg, hat nur
ein verhältnißmäßig ephemeres Dasein gefristet. Man wird zu tiefem, schmerz¬
lichem Nachdenken angeregt, wenn man bei der Betrachtung einer in der Welt¬
geschichte so winzigen Spanne Zeit, wie die eines halben Jahrhunderts ist,
gewahr wird, mit welcher fabelhaften Schnelligkeit sich die scheinbar eisenfeste¬
sten Kräfte, die produktivsten Genies aufreiben und in Atome zerstäuben. Nicht
viele besitzen die Elastizität des Geistes wie Altmeister Karl Lessing, der in den
letzten Jahrzehnten die Landschaftsmalerei in durchaus modernen Geiste mit
demselben großen Erfolge kultivirt wie vor einem Vierteljahrhundert die Ge¬
schichtsmalerei im Sinne der älteren Düsseldorfer.

Heute nehmen die belgischen Maler eine stark prononcirte Stellung ein.
Von der ritterlichen Romantik eines Gallait und de Biefoe, die zwar beide
noch unter den Lebenden weilen, aber gänzlich in den Hintergrund des künst¬
lerischen Schaffens ihrer Nation getreten sind, ist heute gar nichts mehr übrig
geblieben. Unter den sich kreuzenden Einflüssen der französischen Malerei und
der heimischen, auf van Eyck und seinen Nachfolgern fußender Tradition hat
sich ein kühner, häufig auch krasser Realismus und Naturalismus herausge¬
bildet, der in seiner frischen, fast übermüthigen Keckheit mit dem zahmen Idea¬
lismus der voraufgegangenen Epoche keine Berührungspunkte aufzuweisen hat.

Auch in Deutschland war inzwischen unter der Einwirkung der Belgier eine
neue Schule vou Historienmalern erstanden, welche sich mit Glück der Realität
der modernen Geschichtsauffassung zu aecomodiren suchte. Ihr Haupt ist Piloty
und ihr letzter glänzendster Sproß Hans Makart. Diplomatische Treue nicht
blos in der Darstellung der historischen Vorgänge, sondern auch in der Wieder¬
gabe der äußeren Details, der Lokalitäten, Kostüme und Waffen, war das
Hauptbestreben dieser Schule, in der sich die koloristischen Tendenzen der Düssel-


man damals Realismus nannte, erscheint uns heute im Lichte des Idealismus
und obenein noch in dem eines falschen Idealismus. Für uns haben sich die
Gegensätze von damals fast schon verwischt. Was die Nazarener von den
älteren Düsseldorfer Historienmalern unterscheidet, ist wenig mehr als die Farbe
und ein tieferer geistiger Gehalt auf jener Seite, ein philosophisches Gedanken¬
spiel, welches der Kunst eher schädlich als nützlich ist.

In den vierziger Jahren erfolgte dann jene Revolution durch die Wan¬
derung der beiden großen Historienbilder der Belgier Gallait und de Biefve,
„Die Abdankung Karls V." und „Der Kompromiß des niederländischen Adels
(1566)", durch die Hauptstadt Europas, jene Revolution, welche den Sieg des
Farbenrealismus vollständig machte. In Berlin erlitt Cornelius persönlich
durch die belgischen Bilder eine Niederlage, von der er sich in den Augen der
Berliner niemals wieder erholt hat. Aber auch die belgische Historienmalerei,
welche wie ein glänzendes Meteor am Kunsthimmel Enropas aufstieg, hat nur
ein verhältnißmäßig ephemeres Dasein gefristet. Man wird zu tiefem, schmerz¬
lichem Nachdenken angeregt, wenn man bei der Betrachtung einer in der Welt¬
geschichte so winzigen Spanne Zeit, wie die eines halben Jahrhunderts ist,
gewahr wird, mit welcher fabelhaften Schnelligkeit sich die scheinbar eisenfeste¬
sten Kräfte, die produktivsten Genies aufreiben und in Atome zerstäuben. Nicht
viele besitzen die Elastizität des Geistes wie Altmeister Karl Lessing, der in den
letzten Jahrzehnten die Landschaftsmalerei in durchaus modernen Geiste mit
demselben großen Erfolge kultivirt wie vor einem Vierteljahrhundert die Ge¬
schichtsmalerei im Sinne der älteren Düsseldorfer.

Heute nehmen die belgischen Maler eine stark prononcirte Stellung ein.
Von der ritterlichen Romantik eines Gallait und de Biefoe, die zwar beide
noch unter den Lebenden weilen, aber gänzlich in den Hintergrund des künst¬
lerischen Schaffens ihrer Nation getreten sind, ist heute gar nichts mehr übrig
geblieben. Unter den sich kreuzenden Einflüssen der französischen Malerei und
der heimischen, auf van Eyck und seinen Nachfolgern fußender Tradition hat
sich ein kühner, häufig auch krasser Realismus und Naturalismus herausge¬
bildet, der in seiner frischen, fast übermüthigen Keckheit mit dem zahmen Idea¬
lismus der voraufgegangenen Epoche keine Berührungspunkte aufzuweisen hat.

Auch in Deutschland war inzwischen unter der Einwirkung der Belgier eine
neue Schule vou Historienmalern erstanden, welche sich mit Glück der Realität
der modernen Geschichtsauffassung zu aecomodiren suchte. Ihr Haupt ist Piloty
und ihr letzter glänzendster Sproß Hans Makart. Diplomatische Treue nicht
blos in der Darstellung der historischen Vorgänge, sondern auch in der Wieder¬
gabe der äußeren Details, der Lokalitäten, Kostüme und Waffen, war das
Hauptbestreben dieser Schule, in der sich die koloristischen Tendenzen der Düssel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/422>, abgerufen am 27.08.2024.