Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

wesenloses Nichts, und der Historienmalerei in dem Sinne, wie sie die Düssel¬
dorfer kultivirten, wurde der Boden entzogen. Alle die schönen historischen
Anekdoten, welche die Düsseldorfer so herzbeweglich zu schildern wußten, die
großen weltgeschichtlichen Ereignisse, die in der Begegnung zweier Monarchen
oder in einer andern ebenso feierlichen Staatsaktion gipfelten, die geflügelten
Worte der Weltgeschichte: I'Se^t o'sse wol und ähnliches, die in dramatischen
Szenen darzustellen die Düsseldorfer sich ebenfalls nicht verdrießen ließen -- alle
diese beliebten Paradepferde der Historienmalerei wurden von der Geschichts¬
forschung erbarmungslos ihrer Glorie entkleidet und in die Rumpelkammer
geworfen. Damit war der Düsseldorfischen Richtung der Garaus gemacht. Sie
starb zugleich mit ihren Begründern aus, und ich glaube, daß ihr heutzutage
niemand eine Thräne nachweint. Die dritte Generation der Düsseldorfischen
Maler nach W. v. Schadow hatte übrigens ihren Schwerpunkt bereits anders¬
wo gesucht und gefunden, im Genrebilde und in der Landschaft, und auf beiden
Hauptgebieten der modernen Malerei Erfolge erzielt, welche mit den Jahren zu
wachsen scheinen.

Aehnlich ist es mit der religiösen Malerei gegangen, die, soweit sie nicht
das Andachtsbild im engeren Sinne kultivirt, eigentlich von der Historien¬
malerei nicht zu trennen ist. Die kritischen Untersuchungen der Tübinger
Schule und ihre Popularisirung durch Strauß, der im Gegensatze zu seinem
französischen Rivalen Renan keinen Schimmer von Romantik an sich hat, er¬
schütterten ebensosehr den Glauben an die Realität der heiligen Geschichte, wie
die Forschungen der Historiker die Betrachtung der Profangeschichte in andere
Bahnen gelenkt hatten. Cornelius und Overbeck hatten ohnehin niemals feste
Wurzeln im Volke zu fassen gewußt. Sie und die übrigen Nazarener und
selbst diejenigen Historienmaler der neudeutschen Kunst, welche gewisse Conces¬
sionen an die immer mächtiger anschwellende, realistische Zeitströmung machten,
wie Rethel und Schmorr von Carolsfeld, vermochten immer nur eine kleine
Gemeinde um sich zu versammeln, deren glühender Enthusiasmus und deren
eifrige, literarische Propaganda den aufmerksamen Beobachter nicht darüber
hinweg zu täuschen vermag, daß das Volk dieser ganzen Bewegung kalt und
theilnahmlos gegenüberstand. Selbst Kaulbach, der witzige Rechner, der so ge¬
schickt die Schwächen und Neigungen des tonangebenden "gebildeten" Publikums
zu benutzen wußte, hat trotz seiner Klugheit nicht lange das Terrain zu be¬
haupten gewußt. Am Ende platzte doch die innere Leere aus allen Nähten
seiner aufgedunsenen Gliedergruppen heraus.

Im Volke behielt der Realismus der Düsseldorfer den Idealisten gegen¬
über den Sieg, so scheel auch die letzteren auf die rheinischen Farbenkünstler
hinüberblicken mußten. Aber wie haben sich seitdem die Begriffe geändert! Was


wesenloses Nichts, und der Historienmalerei in dem Sinne, wie sie die Düssel¬
dorfer kultivirten, wurde der Boden entzogen. Alle die schönen historischen
Anekdoten, welche die Düsseldorfer so herzbeweglich zu schildern wußten, die
großen weltgeschichtlichen Ereignisse, die in der Begegnung zweier Monarchen
oder in einer andern ebenso feierlichen Staatsaktion gipfelten, die geflügelten
Worte der Weltgeschichte: I'Se^t o'sse wol und ähnliches, die in dramatischen
Szenen darzustellen die Düsseldorfer sich ebenfalls nicht verdrießen ließen — alle
diese beliebten Paradepferde der Historienmalerei wurden von der Geschichts¬
forschung erbarmungslos ihrer Glorie entkleidet und in die Rumpelkammer
geworfen. Damit war der Düsseldorfischen Richtung der Garaus gemacht. Sie
starb zugleich mit ihren Begründern aus, und ich glaube, daß ihr heutzutage
niemand eine Thräne nachweint. Die dritte Generation der Düsseldorfischen
Maler nach W. v. Schadow hatte übrigens ihren Schwerpunkt bereits anders¬
wo gesucht und gefunden, im Genrebilde und in der Landschaft, und auf beiden
Hauptgebieten der modernen Malerei Erfolge erzielt, welche mit den Jahren zu
wachsen scheinen.

Aehnlich ist es mit der religiösen Malerei gegangen, die, soweit sie nicht
das Andachtsbild im engeren Sinne kultivirt, eigentlich von der Historien¬
malerei nicht zu trennen ist. Die kritischen Untersuchungen der Tübinger
Schule und ihre Popularisirung durch Strauß, der im Gegensatze zu seinem
französischen Rivalen Renan keinen Schimmer von Romantik an sich hat, er¬
schütterten ebensosehr den Glauben an die Realität der heiligen Geschichte, wie
die Forschungen der Historiker die Betrachtung der Profangeschichte in andere
Bahnen gelenkt hatten. Cornelius und Overbeck hatten ohnehin niemals feste
Wurzeln im Volke zu fassen gewußt. Sie und die übrigen Nazarener und
selbst diejenigen Historienmaler der neudeutschen Kunst, welche gewisse Conces¬
sionen an die immer mächtiger anschwellende, realistische Zeitströmung machten,
wie Rethel und Schmorr von Carolsfeld, vermochten immer nur eine kleine
Gemeinde um sich zu versammeln, deren glühender Enthusiasmus und deren
eifrige, literarische Propaganda den aufmerksamen Beobachter nicht darüber
hinweg zu täuschen vermag, daß das Volk dieser ganzen Bewegung kalt und
theilnahmlos gegenüberstand. Selbst Kaulbach, der witzige Rechner, der so ge¬
schickt die Schwächen und Neigungen des tonangebenden „gebildeten" Publikums
zu benutzen wußte, hat trotz seiner Klugheit nicht lange das Terrain zu be¬
haupten gewußt. Am Ende platzte doch die innere Leere aus allen Nähten
seiner aufgedunsenen Gliedergruppen heraus.

Im Volke behielt der Realismus der Düsseldorfer den Idealisten gegen¬
über den Sieg, so scheel auch die letzteren auf die rheinischen Farbenkünstler
hinüberblicken mußten. Aber wie haben sich seitdem die Begriffe geändert! Was


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0421" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143476"/>
          <p xml:id="ID_1238" prev="#ID_1237"> wesenloses Nichts, und der Historienmalerei in dem Sinne, wie sie die Düssel¬<lb/>
dorfer kultivirten, wurde der Boden entzogen. Alle die schönen historischen<lb/>
Anekdoten, welche die Düsseldorfer so herzbeweglich zu schildern wußten, die<lb/>
großen weltgeschichtlichen Ereignisse, die in der Begegnung zweier Monarchen<lb/>
oder in einer andern ebenso feierlichen Staatsaktion gipfelten, die geflügelten<lb/>
Worte der Weltgeschichte: I'Se^t o'sse wol und ähnliches, die in dramatischen<lb/>
Szenen darzustellen die Düsseldorfer sich ebenfalls nicht verdrießen ließen &#x2014; alle<lb/>
diese beliebten Paradepferde der Historienmalerei wurden von der Geschichts¬<lb/>
forschung erbarmungslos ihrer Glorie entkleidet und in die Rumpelkammer<lb/>
geworfen. Damit war der Düsseldorfischen Richtung der Garaus gemacht. Sie<lb/>
starb zugleich mit ihren Begründern aus, und ich glaube, daß ihr heutzutage<lb/>
niemand eine Thräne nachweint. Die dritte Generation der Düsseldorfischen<lb/>
Maler nach W. v. Schadow hatte übrigens ihren Schwerpunkt bereits anders¬<lb/>
wo gesucht und gefunden, im Genrebilde und in der Landschaft, und auf beiden<lb/>
Hauptgebieten der modernen Malerei Erfolge erzielt, welche mit den Jahren zu<lb/>
wachsen scheinen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1239"> Aehnlich ist es mit der religiösen Malerei gegangen, die, soweit sie nicht<lb/>
das Andachtsbild im engeren Sinne kultivirt, eigentlich von der Historien¬<lb/>
malerei nicht zu trennen ist. Die kritischen Untersuchungen der Tübinger<lb/>
Schule und ihre Popularisirung durch Strauß, der im Gegensatze zu seinem<lb/>
französischen Rivalen Renan keinen Schimmer von Romantik an sich hat, er¬<lb/>
schütterten ebensosehr den Glauben an die Realität der heiligen Geschichte, wie<lb/>
die Forschungen der Historiker die Betrachtung der Profangeschichte in andere<lb/>
Bahnen gelenkt hatten. Cornelius und Overbeck hatten ohnehin niemals feste<lb/>
Wurzeln im Volke zu fassen gewußt. Sie und die übrigen Nazarener und<lb/>
selbst diejenigen Historienmaler der neudeutschen Kunst, welche gewisse Conces¬<lb/>
sionen an die immer mächtiger anschwellende, realistische Zeitströmung machten,<lb/>
wie Rethel und Schmorr von Carolsfeld, vermochten immer nur eine kleine<lb/>
Gemeinde um sich zu versammeln, deren glühender Enthusiasmus und deren<lb/>
eifrige, literarische Propaganda den aufmerksamen Beobachter nicht darüber<lb/>
hinweg zu täuschen vermag, daß das Volk dieser ganzen Bewegung kalt und<lb/>
theilnahmlos gegenüberstand. Selbst Kaulbach, der witzige Rechner, der so ge¬<lb/>
schickt die Schwächen und Neigungen des tonangebenden &#x201E;gebildeten" Publikums<lb/>
zu benutzen wußte, hat trotz seiner Klugheit nicht lange das Terrain zu be¬<lb/>
haupten gewußt. Am Ende platzte doch die innere Leere aus allen Nähten<lb/>
seiner aufgedunsenen Gliedergruppen heraus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1240" next="#ID_1241"> Im Volke behielt der Realismus der Düsseldorfer den Idealisten gegen¬<lb/>
über den Sieg, so scheel auch die letzteren auf die rheinischen Farbenkünstler<lb/>
hinüberblicken mußten. Aber wie haben sich seitdem die Begriffe geändert! Was</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0421] wesenloses Nichts, und der Historienmalerei in dem Sinne, wie sie die Düssel¬ dorfer kultivirten, wurde der Boden entzogen. Alle die schönen historischen Anekdoten, welche die Düsseldorfer so herzbeweglich zu schildern wußten, die großen weltgeschichtlichen Ereignisse, die in der Begegnung zweier Monarchen oder in einer andern ebenso feierlichen Staatsaktion gipfelten, die geflügelten Worte der Weltgeschichte: I'Se^t o'sse wol und ähnliches, die in dramatischen Szenen darzustellen die Düsseldorfer sich ebenfalls nicht verdrießen ließen — alle diese beliebten Paradepferde der Historienmalerei wurden von der Geschichts¬ forschung erbarmungslos ihrer Glorie entkleidet und in die Rumpelkammer geworfen. Damit war der Düsseldorfischen Richtung der Garaus gemacht. Sie starb zugleich mit ihren Begründern aus, und ich glaube, daß ihr heutzutage niemand eine Thräne nachweint. Die dritte Generation der Düsseldorfischen Maler nach W. v. Schadow hatte übrigens ihren Schwerpunkt bereits anders¬ wo gesucht und gefunden, im Genrebilde und in der Landschaft, und auf beiden Hauptgebieten der modernen Malerei Erfolge erzielt, welche mit den Jahren zu wachsen scheinen. Aehnlich ist es mit der religiösen Malerei gegangen, die, soweit sie nicht das Andachtsbild im engeren Sinne kultivirt, eigentlich von der Historien¬ malerei nicht zu trennen ist. Die kritischen Untersuchungen der Tübinger Schule und ihre Popularisirung durch Strauß, der im Gegensatze zu seinem französischen Rivalen Renan keinen Schimmer von Romantik an sich hat, er¬ schütterten ebensosehr den Glauben an die Realität der heiligen Geschichte, wie die Forschungen der Historiker die Betrachtung der Profangeschichte in andere Bahnen gelenkt hatten. Cornelius und Overbeck hatten ohnehin niemals feste Wurzeln im Volke zu fassen gewußt. Sie und die übrigen Nazarener und selbst diejenigen Historienmaler der neudeutschen Kunst, welche gewisse Conces¬ sionen an die immer mächtiger anschwellende, realistische Zeitströmung machten, wie Rethel und Schmorr von Carolsfeld, vermochten immer nur eine kleine Gemeinde um sich zu versammeln, deren glühender Enthusiasmus und deren eifrige, literarische Propaganda den aufmerksamen Beobachter nicht darüber hinweg zu täuschen vermag, daß das Volk dieser ganzen Bewegung kalt und theilnahmlos gegenüberstand. Selbst Kaulbach, der witzige Rechner, der so ge¬ schickt die Schwächen und Neigungen des tonangebenden „gebildeten" Publikums zu benutzen wußte, hat trotz seiner Klugheit nicht lange das Terrain zu be¬ haupten gewußt. Am Ende platzte doch die innere Leere aus allen Nähten seiner aufgedunsenen Gliedergruppen heraus. Im Volke behielt der Realismus der Düsseldorfer den Idealisten gegen¬ über den Sieg, so scheel auch die letzteren auf die rheinischen Farbenkünstler hinüberblicken mußten. Aber wie haben sich seitdem die Begriffe geändert! Was

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/421
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/421>, abgerufen am 27.08.2024.