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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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die unzweifelhaft griechischen Vasen sind in Etrurien, Unteritalien, Südrußland
allenthalben zahlreicher gefunden worden als in Athen und Korinth, wo sie
fabrizirt sind.

Wenden wir diese Resultate auf die oben geschilderten Vasen mit geome¬
trischen Mustern an, die keine Aehnlichkeit mit ägyptischer, assyrischer und grie¬
chischer Kunst zeigen, so ergibt sich aus dem oben Ausgeführten, daß wir in
ihnen Proben einer alten national-phönicischen Kunst erkennen dürfen, die gänz¬
lich auf die Kreise des Privatlebens beschränkt war. Die phönicischen Fabri¬
kate hatten in ältester Zeit im Auslande ein bedeutendes Absatzgebiet gefunden,
und es war im Interesse der Fabrikanten, in demselben Stile weiterarbeiten zu
lassen, denn je tiefer ein Volk steht in Bezug auf seinen Bildungszustand, desto
eigensinniger besteht es auf den einmal bekannten Mustern. Daß die Phönicier
aber nicht nur mit den Inseln des Ostens, sondern auch mit den Stämmen
Italiens in einem sehr regen Handelsverkehr gestanden haben, ist eine anerkannte
Thatsache, die fast täglich durch Ausgrabungen an den ältesten Kulturstätten
Italiens neue Bestätigung erhält. Noch kürzlich wurde z. B. unweit von
Praeneste eine kostbare Schale gefunden von rein ägyptischer Ornamentik mit
einer Inschrift in phönicischen Charakteren, die also nnr von phönicischen Kauf¬
leuten nach Italien gebracht worden sein kann. Auch Reste von Straußen¬
eiern, die man in altitalischen Grübern ebenso wie in Mykenae gefunden hat,
lassen auf uralte Handelsbeziehungen zum Süden schließen, die wenigstens für
die älteste Zeit sicher durch die Phönicier vermittelt wurden. Die Handels¬
unternehmungen der Phönicier beschränkten sich übrigens keineswegs auf das
Becken des Mittelmeeres; ihre Kauffahrer drangen durch die "Säulen des
Herakles" bis nach den Zinninseln; ihre Händler kannten den Landweg mitten
durch das Herz von Europa nach der Bernsteinküste; dadurch verliert das Vor¬
kommen des geometrischen Stiles im Norden alles Befremdende. Von den
Gegenständen, die wir heute im Kopenhagener Museum sehen, braucht kein
einziger in Phönicien fabrizirt zu sein, und doch können sie alle in phönicischen
Stile gearbeitet sein. Eine verzierte Bronzescheibe oder Metallspange, eine ge¬
malte Scherbe, welche die Gefahren des weiten Transports glücklich überstan¬
den, reichte hin, um der Phantasie des nordischen Handwerkers nicht nur im
allgemeinen die Richtung, sondern auch ein Vorbild zu geben, das mit dem
einfachsten Handwerkszeug ohne Schwierigkeit nachgeahmt werden konnte.

Fassen wir zum Schlüsse unser Urtheil über das vorliegende Buch kurz
zusammen, so gebührt Cesnola das Lob, durch seine Energie und seinen Eifer
der Wissenschaft werthvolles Material überliefert zu haben, um dessen wissen¬
schaftliche Verarbeitung besonders Murray und Stern sich große Verdienste
erworben haben, der Erstere durch den feinen, umsichtigen Aufsatz, in dem er


Grenzboten IV. 1379. 64

die unzweifelhaft griechischen Vasen sind in Etrurien, Unteritalien, Südrußland
allenthalben zahlreicher gefunden worden als in Athen und Korinth, wo sie
fabrizirt sind.

Wenden wir diese Resultate auf die oben geschilderten Vasen mit geome¬
trischen Mustern an, die keine Aehnlichkeit mit ägyptischer, assyrischer und grie¬
chischer Kunst zeigen, so ergibt sich aus dem oben Ausgeführten, daß wir in
ihnen Proben einer alten national-phönicischen Kunst erkennen dürfen, die gänz¬
lich auf die Kreise des Privatlebens beschränkt war. Die phönicischen Fabri¬
kate hatten in ältester Zeit im Auslande ein bedeutendes Absatzgebiet gefunden,
und es war im Interesse der Fabrikanten, in demselben Stile weiterarbeiten zu
lassen, denn je tiefer ein Volk steht in Bezug auf seinen Bildungszustand, desto
eigensinniger besteht es auf den einmal bekannten Mustern. Daß die Phönicier
aber nicht nur mit den Inseln des Ostens, sondern auch mit den Stämmen
Italiens in einem sehr regen Handelsverkehr gestanden haben, ist eine anerkannte
Thatsache, die fast täglich durch Ausgrabungen an den ältesten Kulturstätten
Italiens neue Bestätigung erhält. Noch kürzlich wurde z. B. unweit von
Praeneste eine kostbare Schale gefunden von rein ägyptischer Ornamentik mit
einer Inschrift in phönicischen Charakteren, die also nnr von phönicischen Kauf¬
leuten nach Italien gebracht worden sein kann. Auch Reste von Straußen¬
eiern, die man in altitalischen Grübern ebenso wie in Mykenae gefunden hat,
lassen auf uralte Handelsbeziehungen zum Süden schließen, die wenigstens für
die älteste Zeit sicher durch die Phönicier vermittelt wurden. Die Handels¬
unternehmungen der Phönicier beschränkten sich übrigens keineswegs auf das
Becken des Mittelmeeres; ihre Kauffahrer drangen durch die „Säulen des
Herakles" bis nach den Zinninseln; ihre Händler kannten den Landweg mitten
durch das Herz von Europa nach der Bernsteinküste; dadurch verliert das Vor¬
kommen des geometrischen Stiles im Norden alles Befremdende. Von den
Gegenständen, die wir heute im Kopenhagener Museum sehen, braucht kein
einziger in Phönicien fabrizirt zu sein, und doch können sie alle in phönicischen
Stile gearbeitet sein. Eine verzierte Bronzescheibe oder Metallspange, eine ge¬
malte Scherbe, welche die Gefahren des weiten Transports glücklich überstan¬
den, reichte hin, um der Phantasie des nordischen Handwerkers nicht nur im
allgemeinen die Richtung, sondern auch ein Vorbild zu geben, das mit dem
einfachsten Handwerkszeug ohne Schwierigkeit nachgeahmt werden konnte.

Fassen wir zum Schlüsse unser Urtheil über das vorliegende Buch kurz
zusammen, so gebührt Cesnola das Lob, durch seine Energie und seinen Eifer
der Wissenschaft werthvolles Material überliefert zu haben, um dessen wissen¬
schaftliche Verarbeitung besonders Murray und Stern sich große Verdienste
erworben haben, der Erstere durch den feinen, umsichtigen Aufsatz, in dem er


Grenzboten IV. 1379. 64
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[0417] die unzweifelhaft griechischen Vasen sind in Etrurien, Unteritalien, Südrußland allenthalben zahlreicher gefunden worden als in Athen und Korinth, wo sie fabrizirt sind. Wenden wir diese Resultate auf die oben geschilderten Vasen mit geome¬ trischen Mustern an, die keine Aehnlichkeit mit ägyptischer, assyrischer und grie¬ chischer Kunst zeigen, so ergibt sich aus dem oben Ausgeführten, daß wir in ihnen Proben einer alten national-phönicischen Kunst erkennen dürfen, die gänz¬ lich auf die Kreise des Privatlebens beschränkt war. Die phönicischen Fabri¬ kate hatten in ältester Zeit im Auslande ein bedeutendes Absatzgebiet gefunden, und es war im Interesse der Fabrikanten, in demselben Stile weiterarbeiten zu lassen, denn je tiefer ein Volk steht in Bezug auf seinen Bildungszustand, desto eigensinniger besteht es auf den einmal bekannten Mustern. Daß die Phönicier aber nicht nur mit den Inseln des Ostens, sondern auch mit den Stämmen Italiens in einem sehr regen Handelsverkehr gestanden haben, ist eine anerkannte Thatsache, die fast täglich durch Ausgrabungen an den ältesten Kulturstätten Italiens neue Bestätigung erhält. Noch kürzlich wurde z. B. unweit von Praeneste eine kostbare Schale gefunden von rein ägyptischer Ornamentik mit einer Inschrift in phönicischen Charakteren, die also nnr von phönicischen Kauf¬ leuten nach Italien gebracht worden sein kann. Auch Reste von Straußen¬ eiern, die man in altitalischen Grübern ebenso wie in Mykenae gefunden hat, lassen auf uralte Handelsbeziehungen zum Süden schließen, die wenigstens für die älteste Zeit sicher durch die Phönicier vermittelt wurden. Die Handels¬ unternehmungen der Phönicier beschränkten sich übrigens keineswegs auf das Becken des Mittelmeeres; ihre Kauffahrer drangen durch die „Säulen des Herakles" bis nach den Zinninseln; ihre Händler kannten den Landweg mitten durch das Herz von Europa nach der Bernsteinküste; dadurch verliert das Vor¬ kommen des geometrischen Stiles im Norden alles Befremdende. Von den Gegenständen, die wir heute im Kopenhagener Museum sehen, braucht kein einziger in Phönicien fabrizirt zu sein, und doch können sie alle in phönicischen Stile gearbeitet sein. Eine verzierte Bronzescheibe oder Metallspange, eine ge¬ malte Scherbe, welche die Gefahren des weiten Transports glücklich überstan¬ den, reichte hin, um der Phantasie des nordischen Handwerkers nicht nur im allgemeinen die Richtung, sondern auch ein Vorbild zu geben, das mit dem einfachsten Handwerkszeug ohne Schwierigkeit nachgeahmt werden konnte. Fassen wir zum Schlüsse unser Urtheil über das vorliegende Buch kurz zusammen, so gebührt Cesnola das Lob, durch seine Energie und seinen Eifer der Wissenschaft werthvolles Material überliefert zu haben, um dessen wissen¬ schaftliche Verarbeitung besonders Murray und Stern sich große Verdienste erworben haben, der Erstere durch den feinen, umsichtigen Aufsatz, in dem er Grenzboten IV. 1379. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/417>, abgerufen am 27.08.2024.