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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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gemeinsame Band, das die verschiedenen Völker des Mittelmeeres mit denen
des hohen Nordens verbindet, war, wie es schien, daß beide indogermanischen
Stammes sind; es lag also der Schluß nahe, daß die Indogermanen bereits
ans ihrer asiatischen Heimat einen Schatz von Formen und Ornamenten mit¬
gebracht hatten, die bei verschiedenen Völkern nach der Trennung eine beson¬
dere Ausbildung erhielten. Man suchte demnach zunächst einen gemeinsamen
Namen für die auf griechisch-römischem Boden gefundenen Kunstgegenstünde
und nannte dieselben pelasgisch. Der Name war nicht gut gewählt. Pelas-
gisch ist ein Wort, das man ohne große Noth überhaupt nicht in den Mund
nehmen sollte, denn "s gibt wenig Worte, die wegen ihrer Unklarheit so viel
Unheil in alter und neuer Zeit angerichtet haben. Jedenfalls aber sollte man
sich hüten, dieses vieldeutige und viel mißbrauchte Wort auf einen neuen
Gegenstand anzuwenden, ehe man mit Sicherheit sagen kann, was eigentlich das
Wort bei den Alten bedeuten soll. Dazu kommt aber, daß wir nicht das
mindeste Recht haben, an allen jenen weit entlegenen Fundorten gerade Pelas-
ger vorauszusetzen, und daß wir noch weniger berechtigt sind, vorauszusetzen,
daß die Indogermanen auf ihrer Wanderung bereits einen nationalen Kunststil
besaßen. Was die neueren Untersuchungen der Linguisten und Historiker über
die älteste und dunkelste Periode der arischen Völker ermittelt haben, spricht
vielmehr dafür, daß wir uns den Kulturzustand unserer Vorfahren in dieser
Epoche viel zu weit fortgeschritten vorgestellt haben. Victor Hehn hat zuerst
den Gedanken ausgesprochen, den Helbig kürzlich näher ausführte, daß die
Pfahlbauer, deren Reste wir an verschiedenen Punkten Mitteleuropas, besonders
aber in der Po-Ebene finden, Indogermanen gewesen seien, die also hiernach
selbst am Ende ihrer Wanderung noch nicht den entsprechenden Grad der
Kultur erreicht hatten. Wenn auch diese Hypothese allerdings noch nicht er¬
wiesen ist, so muß mau doch einräumen, daß sie durch Helbigs Ausführungen
einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit erhalten hat. Soviel steht fest, daß
jene Völker bei ihrer Einwanderung in Italien den Gebrauch der Drehscheibe
nicht kannten, welche nicht nur für die Technik aller jener Vasen vorausgesetzt
wird, sondern auch als Grundlage einer Ornamentik angesehen werden muß,
in der die concentrischen Kreise eine ebenso große Rolle spielen wie die
parallelen, in sich zurücklaufenden Streifen, welche den Bauch der Vasen glie¬
dern. Helbig hat nachdrücklich hervorgehoben, daß die Pfahlbauer der ältesten
Periode ihre Gefäße aus freier Hand geformt haben; nur die jüngeren Funde
zeigen Anklänge an jene oben geschilderten geometrischen Ornamente.

Es bleibt also nur die andere Annahme, daß jener Stil an einem Orte
erfunden und durch den Einfluß bez. die Handelsverbindungen eines Volkes
sich nach allen Seiten verbreitet habe. Dieses Volk, das mit Vorliebe Schiffe,


gemeinsame Band, das die verschiedenen Völker des Mittelmeeres mit denen
des hohen Nordens verbindet, war, wie es schien, daß beide indogermanischen
Stammes sind; es lag also der Schluß nahe, daß die Indogermanen bereits
ans ihrer asiatischen Heimat einen Schatz von Formen und Ornamenten mit¬
gebracht hatten, die bei verschiedenen Völkern nach der Trennung eine beson¬
dere Ausbildung erhielten. Man suchte demnach zunächst einen gemeinsamen
Namen für die auf griechisch-römischem Boden gefundenen Kunstgegenstünde
und nannte dieselben pelasgisch. Der Name war nicht gut gewählt. Pelas-
gisch ist ein Wort, das man ohne große Noth überhaupt nicht in den Mund
nehmen sollte, denn «s gibt wenig Worte, die wegen ihrer Unklarheit so viel
Unheil in alter und neuer Zeit angerichtet haben. Jedenfalls aber sollte man
sich hüten, dieses vieldeutige und viel mißbrauchte Wort auf einen neuen
Gegenstand anzuwenden, ehe man mit Sicherheit sagen kann, was eigentlich das
Wort bei den Alten bedeuten soll. Dazu kommt aber, daß wir nicht das
mindeste Recht haben, an allen jenen weit entlegenen Fundorten gerade Pelas-
ger vorauszusetzen, und daß wir noch weniger berechtigt sind, vorauszusetzen,
daß die Indogermanen auf ihrer Wanderung bereits einen nationalen Kunststil
besaßen. Was die neueren Untersuchungen der Linguisten und Historiker über
die älteste und dunkelste Periode der arischen Völker ermittelt haben, spricht
vielmehr dafür, daß wir uns den Kulturzustand unserer Vorfahren in dieser
Epoche viel zu weit fortgeschritten vorgestellt haben. Victor Hehn hat zuerst
den Gedanken ausgesprochen, den Helbig kürzlich näher ausführte, daß die
Pfahlbauer, deren Reste wir an verschiedenen Punkten Mitteleuropas, besonders
aber in der Po-Ebene finden, Indogermanen gewesen seien, die also hiernach
selbst am Ende ihrer Wanderung noch nicht den entsprechenden Grad der
Kultur erreicht hatten. Wenn auch diese Hypothese allerdings noch nicht er¬
wiesen ist, so muß mau doch einräumen, daß sie durch Helbigs Ausführungen
einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit erhalten hat. Soviel steht fest, daß
jene Völker bei ihrer Einwanderung in Italien den Gebrauch der Drehscheibe
nicht kannten, welche nicht nur für die Technik aller jener Vasen vorausgesetzt
wird, sondern auch als Grundlage einer Ornamentik angesehen werden muß,
in der die concentrischen Kreise eine ebenso große Rolle spielen wie die
parallelen, in sich zurücklaufenden Streifen, welche den Bauch der Vasen glie¬
dern. Helbig hat nachdrücklich hervorgehoben, daß die Pfahlbauer der ältesten
Periode ihre Gefäße aus freier Hand geformt haben; nur die jüngeren Funde
zeigen Anklänge an jene oben geschilderten geometrischen Ornamente.

Es bleibt also nur die andere Annahme, daß jener Stil an einem Orte
erfunden und durch den Einfluß bez. die Handelsverbindungen eines Volkes
sich nach allen Seiten verbreitet habe. Dieses Volk, das mit Vorliebe Schiffe,


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[0414] gemeinsame Band, das die verschiedenen Völker des Mittelmeeres mit denen des hohen Nordens verbindet, war, wie es schien, daß beide indogermanischen Stammes sind; es lag also der Schluß nahe, daß die Indogermanen bereits ans ihrer asiatischen Heimat einen Schatz von Formen und Ornamenten mit¬ gebracht hatten, die bei verschiedenen Völkern nach der Trennung eine beson¬ dere Ausbildung erhielten. Man suchte demnach zunächst einen gemeinsamen Namen für die auf griechisch-römischem Boden gefundenen Kunstgegenstünde und nannte dieselben pelasgisch. Der Name war nicht gut gewählt. Pelas- gisch ist ein Wort, das man ohne große Noth überhaupt nicht in den Mund nehmen sollte, denn «s gibt wenig Worte, die wegen ihrer Unklarheit so viel Unheil in alter und neuer Zeit angerichtet haben. Jedenfalls aber sollte man sich hüten, dieses vieldeutige und viel mißbrauchte Wort auf einen neuen Gegenstand anzuwenden, ehe man mit Sicherheit sagen kann, was eigentlich das Wort bei den Alten bedeuten soll. Dazu kommt aber, daß wir nicht das mindeste Recht haben, an allen jenen weit entlegenen Fundorten gerade Pelas- ger vorauszusetzen, und daß wir noch weniger berechtigt sind, vorauszusetzen, daß die Indogermanen auf ihrer Wanderung bereits einen nationalen Kunststil besaßen. Was die neueren Untersuchungen der Linguisten und Historiker über die älteste und dunkelste Periode der arischen Völker ermittelt haben, spricht vielmehr dafür, daß wir uns den Kulturzustand unserer Vorfahren in dieser Epoche viel zu weit fortgeschritten vorgestellt haben. Victor Hehn hat zuerst den Gedanken ausgesprochen, den Helbig kürzlich näher ausführte, daß die Pfahlbauer, deren Reste wir an verschiedenen Punkten Mitteleuropas, besonders aber in der Po-Ebene finden, Indogermanen gewesen seien, die also hiernach selbst am Ende ihrer Wanderung noch nicht den entsprechenden Grad der Kultur erreicht hatten. Wenn auch diese Hypothese allerdings noch nicht er¬ wiesen ist, so muß mau doch einräumen, daß sie durch Helbigs Ausführungen einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit erhalten hat. Soviel steht fest, daß jene Völker bei ihrer Einwanderung in Italien den Gebrauch der Drehscheibe nicht kannten, welche nicht nur für die Technik aller jener Vasen vorausgesetzt wird, sondern auch als Grundlage einer Ornamentik angesehen werden muß, in der die concentrischen Kreise eine ebenso große Rolle spielen wie die parallelen, in sich zurücklaufenden Streifen, welche den Bauch der Vasen glie¬ dern. Helbig hat nachdrücklich hervorgehoben, daß die Pfahlbauer der ältesten Periode ihre Gefäße aus freier Hand geformt haben; nur die jüngeren Funde zeigen Anklänge an jene oben geschilderten geometrischen Ornamente. Es bleibt also nur die andere Annahme, daß jener Stil an einem Orte erfunden und durch den Einfluß bez. die Handelsverbindungen eines Volkes sich nach allen Seiten verbreitet habe. Dieses Volk, das mit Vorliebe Schiffe,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/414>, abgerufen am 26.08.2024.