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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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ins Gefängniß werfen und seine Haft auf unbestimmte Zeit verlängern darf,
blos weil er während des Kampfes vielleicht gefährlich werden könnte. Und
doch hatte Cluseret nicht das Geringste gethan, was eine böse Absicht verrathen
hätte. Er hatte nicht gethan, was im September 1870 die deutschen Sozial¬
demokraten zu thun sich erdreistet hatten, als man sie nach Lötzen abführte.
"Zufolge der Theorie der Kommune," sagt Becker mit Recht, "hatten sich diese
Herren über ihre Einsperrung durchaus nicht zu beklagen, sich vielmehr zu
gratuliren, daß sie nicht wegen Lcmdesverraths erschossen wurden."

Der Staatsmann Leo Meillet stimmte in einer schriftlichen Erklärung über
Clnseret folgendermaßen ab: "Weil man ihn (hört! hört!) nicht schon
erschossen hat, ist es unnütz, ihn im Gefängnisse zu behalten; denn das Ge¬
fängniß hat nur eine Vorsichtsmaßregel sein können." In der That, diese
Heuchler, denen beständig die Allgerechtigkeit auf den Lippen saß, spielten mit
dem Leben und der Freiheit der Menschen so schlimm wie der abscheulichste
Despot, und doch preisen noch heute deutsche Sozialdemokraten die Kommune
von 1871 als das größte Ereigniß des Jahrhunderts. Sie war es nur, wenn
man die größte Häufung von ungeheuerlichen Narrheiten, Schandthaten und
Monstreverbrechen mit einem solchen Ausdrucke bezeichnen darf, ohne als Ver¬
herrlicher blutigen Wahnsinns betrachtet zu werden.

Ob Cluseret, nachdem er fast einen Monat ohne vernünftigen Grund
eingekerkert gewesen und zwischen Tod und Leben geschwebt, nach seiner Frei¬
lassung den Kollegen gegrollt? Deleseluze und das Centralcomitc scheinen das
nicht angenommen zu haben; denn sie vertrauten ihm, als die Regierungs¬
truppen schon in die Stadt eingedrungen waren, als echte Thoren die Ver¬
theidigung des wichtigen und fast uneinnehmbaren Montmartre an. Dieser
Schlüssel von Paris im Barrikadenkampfe wurde von den Versaillern über¬
raschend schnell genommen.

Eine bunte Reihe anderer Bilder aus dieser verkehrten Welt, diesem
Narretanien vom Frühjahr 1871 wolle man in dem Buche selbst aufsuchen.
Sie würden ergötzlich sein, wenn sie nicht zugleich gräßlich und ekelhaft wären.
Wir heben nur noch zwei Hauptpunkte aus unserer Schrift heraus: den Beweis,
daß die Ermordung der Geiseln und die Mordbrennereien der Kommune nichts
weniger als Fabeln sind, und die Aufklärung, die der Verfasser über das Ver¬
hältniß der Internationale zur Kommune gibt. Ueber das erstere Thema sagt
er: "Ich glaube, daß ich in dieser Beziehung keinen Raum für irgend einen
Zweifel lasse, da ich das Zeugniß der offiziellen Protokolle und das Einge-
ständniß der Kommunarden selbst beibringe." Hinsichtlich des zweiten erfahren
wir. was Vielen neu sein wird, daß "die Internationale, die so oft als Popanz
vorgeschoben wird, auf die Kommune keinen Einfluß gehabt hat". Man ver-


ins Gefängniß werfen und seine Haft auf unbestimmte Zeit verlängern darf,
blos weil er während des Kampfes vielleicht gefährlich werden könnte. Und
doch hatte Cluseret nicht das Geringste gethan, was eine böse Absicht verrathen
hätte. Er hatte nicht gethan, was im September 1870 die deutschen Sozial¬
demokraten zu thun sich erdreistet hatten, als man sie nach Lötzen abführte.
„Zufolge der Theorie der Kommune," sagt Becker mit Recht, „hatten sich diese
Herren über ihre Einsperrung durchaus nicht zu beklagen, sich vielmehr zu
gratuliren, daß sie nicht wegen Lcmdesverraths erschossen wurden."

Der Staatsmann Leo Meillet stimmte in einer schriftlichen Erklärung über
Clnseret folgendermaßen ab: „Weil man ihn (hört! hört!) nicht schon
erschossen hat, ist es unnütz, ihn im Gefängnisse zu behalten; denn das Ge¬
fängniß hat nur eine Vorsichtsmaßregel sein können." In der That, diese
Heuchler, denen beständig die Allgerechtigkeit auf den Lippen saß, spielten mit
dem Leben und der Freiheit der Menschen so schlimm wie der abscheulichste
Despot, und doch preisen noch heute deutsche Sozialdemokraten die Kommune
von 1871 als das größte Ereigniß des Jahrhunderts. Sie war es nur, wenn
man die größte Häufung von ungeheuerlichen Narrheiten, Schandthaten und
Monstreverbrechen mit einem solchen Ausdrucke bezeichnen darf, ohne als Ver¬
herrlicher blutigen Wahnsinns betrachtet zu werden.

Ob Cluseret, nachdem er fast einen Monat ohne vernünftigen Grund
eingekerkert gewesen und zwischen Tod und Leben geschwebt, nach seiner Frei¬
lassung den Kollegen gegrollt? Deleseluze und das Centralcomitc scheinen das
nicht angenommen zu haben; denn sie vertrauten ihm, als die Regierungs¬
truppen schon in die Stadt eingedrungen waren, als echte Thoren die Ver¬
theidigung des wichtigen und fast uneinnehmbaren Montmartre an. Dieser
Schlüssel von Paris im Barrikadenkampfe wurde von den Versaillern über¬
raschend schnell genommen.

Eine bunte Reihe anderer Bilder aus dieser verkehrten Welt, diesem
Narretanien vom Frühjahr 1871 wolle man in dem Buche selbst aufsuchen.
Sie würden ergötzlich sein, wenn sie nicht zugleich gräßlich und ekelhaft wären.
Wir heben nur noch zwei Hauptpunkte aus unserer Schrift heraus: den Beweis,
daß die Ermordung der Geiseln und die Mordbrennereien der Kommune nichts
weniger als Fabeln sind, und die Aufklärung, die der Verfasser über das Ver¬
hältniß der Internationale zur Kommune gibt. Ueber das erstere Thema sagt
er: „Ich glaube, daß ich in dieser Beziehung keinen Raum für irgend einen
Zweifel lasse, da ich das Zeugniß der offiziellen Protokolle und das Einge-
ständniß der Kommunarden selbst beibringe." Hinsichtlich des zweiten erfahren
wir. was Vielen neu sein wird, daß „die Internationale, die so oft als Popanz
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/399>, abgerufen am 23.07.2024.