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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Schöne Zeit, wo noch der Virtuose des durch ihn vorgetragenen Kunst¬
werkes wegen da war und das Publikum dieses hörte und nicht ihn! Heute
sind die herrlichen Beethovenschen Concerte, wie es scheint, hauptsächlich dazu
da, daß immer neue und wieder neue Virtuosen zeigen dürfen, wie sie dieselben
zu spielen vermögen. Ist es denn nicht wahrhaft bedauernswürdig, daß ewig
dieselben Werke, die Perlen unserer Concertliteratur heruntergespielt werden müssen,
auf die Gefahr hin, daß wir ihrer schließlich trotz aller ihrer Schönheit über¬
drüssig werden? Und müssen es denn durchaus "Concerte" sein? Könnte nicht
der auftretende Klavierspieler sich dem Publikum ebenso vortheilhaft vorführen
mit einer Sonate oder einem andern modernen cyclischen Werke wie mit einem
"Concert"? Der Einwurf, daß solche Werke in Kammermusik-Aufführungen ge¬
hören, kann doch wohl nicht im Ernste gemacht werden, da ja allerlei kleine
Sächelchen: Capricen, Lieder ohne Worte, oder für die Sänger kleine Lieder :c.
in den großen Concerten längst gewohnte Programm-Nummern sind! In neuester
Zeit ist man endlich zu der Einsicht gelangt, daß die Solo- und Duo-Sonaten
lange Zeit unverantwortlich vernachlässigt und eigentlich nur noch als Unterrichts¬
material verwendet worden sind; in Folge dessen holt man das Versäumte nach
und veranstaltet große Concerte, in denen nach einander gleich eine ganze Reihe
Sonaten gespielt werden. Die Einförmigkeit dieser Programme wird natürlich
bald genug das Publikum langweilen, und die Sonaten werden dann wieder in
die Rumpelkammer wandern. So anerkennenswerth die That Bülows war,
einmal daran zu erinnern, welcher Schatz in Beethovens Klaviersonaten steckt,
so verkehrt ist die Nachahmung, welche sein Beispiel findet, einen ganzen Concert¬
abend nur mit Sonaten auszufüllen. Sehen wir von den modernen Sonaten¬
spielern sx xrotssso ab, so müssen wir konstatiren, daß das Auftreten eines
Virtuosen beinahe ebenso aussieht wie das des andern: im ersten Theile des
Programms wird ein Concert gespielt -- von den Geigern gewöhnlich das
Beethovensche oder Mendelssohnsche, allenfalls das Bruchsche oder eines von
Spohr; von den Klavierspielern Beethovens G-Dur oder Es-Dur, Rubinsteins
D-Moll oder Liszts Es-Dur, allenfalls Reineckes oder Hillers Fis-Moll -- im
zweiten Theile einige solistische Nichtigkeiten, Virtuosenkunststückchen, manchmal
wohl auch ein paar allerliebste Nippes -- so einmal, so allemal! Der Haupt¬
unterschied ist der Name des Spielers. So ist es denn ganz natürlich, daß in
den Augen des Publikums das Auftreten der Virtuosen zu einer Art Examen
wird -- er spielt Probe! Das Publikum sitzt zu Gericht, ob der heute
auftretende Virtuose das und das Concert besser oder schlechter spielt als der,
welcher es vor einer Woche gespielt hat. Wir haben wiederholt Fälle erlebt,
daß dasselbe Concert in den beiden Concertinstituten Leipzigs, dem Gewandhaus
und der Euterpe, in Zwischenräumen von 8 Tagen zu Gehör gebracht wurde,


Schöne Zeit, wo noch der Virtuose des durch ihn vorgetragenen Kunst¬
werkes wegen da war und das Publikum dieses hörte und nicht ihn! Heute
sind die herrlichen Beethovenschen Concerte, wie es scheint, hauptsächlich dazu
da, daß immer neue und wieder neue Virtuosen zeigen dürfen, wie sie dieselben
zu spielen vermögen. Ist es denn nicht wahrhaft bedauernswürdig, daß ewig
dieselben Werke, die Perlen unserer Concertliteratur heruntergespielt werden müssen,
auf die Gefahr hin, daß wir ihrer schließlich trotz aller ihrer Schönheit über¬
drüssig werden? Und müssen es denn durchaus „Concerte" sein? Könnte nicht
der auftretende Klavierspieler sich dem Publikum ebenso vortheilhaft vorführen
mit einer Sonate oder einem andern modernen cyclischen Werke wie mit einem
„Concert"? Der Einwurf, daß solche Werke in Kammermusik-Aufführungen ge¬
hören, kann doch wohl nicht im Ernste gemacht werden, da ja allerlei kleine
Sächelchen: Capricen, Lieder ohne Worte, oder für die Sänger kleine Lieder :c.
in den großen Concerten längst gewohnte Programm-Nummern sind! In neuester
Zeit ist man endlich zu der Einsicht gelangt, daß die Solo- und Duo-Sonaten
lange Zeit unverantwortlich vernachlässigt und eigentlich nur noch als Unterrichts¬
material verwendet worden sind; in Folge dessen holt man das Versäumte nach
und veranstaltet große Concerte, in denen nach einander gleich eine ganze Reihe
Sonaten gespielt werden. Die Einförmigkeit dieser Programme wird natürlich
bald genug das Publikum langweilen, und die Sonaten werden dann wieder in
die Rumpelkammer wandern. So anerkennenswerth die That Bülows war,
einmal daran zu erinnern, welcher Schatz in Beethovens Klaviersonaten steckt,
so verkehrt ist die Nachahmung, welche sein Beispiel findet, einen ganzen Concert¬
abend nur mit Sonaten auszufüllen. Sehen wir von den modernen Sonaten¬
spielern sx xrotssso ab, so müssen wir konstatiren, daß das Auftreten eines
Virtuosen beinahe ebenso aussieht wie das des andern: im ersten Theile des
Programms wird ein Concert gespielt — von den Geigern gewöhnlich das
Beethovensche oder Mendelssohnsche, allenfalls das Bruchsche oder eines von
Spohr; von den Klavierspielern Beethovens G-Dur oder Es-Dur, Rubinsteins
D-Moll oder Liszts Es-Dur, allenfalls Reineckes oder Hillers Fis-Moll — im
zweiten Theile einige solistische Nichtigkeiten, Virtuosenkunststückchen, manchmal
wohl auch ein paar allerliebste Nippes — so einmal, so allemal! Der Haupt¬
unterschied ist der Name des Spielers. So ist es denn ganz natürlich, daß in
den Augen des Publikums das Auftreten der Virtuosen zu einer Art Examen
wird — er spielt Probe! Das Publikum sitzt zu Gericht, ob der heute
auftretende Virtuose das und das Concert besser oder schlechter spielt als der,
welcher es vor einer Woche gespielt hat. Wir haben wiederholt Fälle erlebt,
daß dasselbe Concert in den beiden Concertinstituten Leipzigs, dem Gewandhaus
und der Euterpe, in Zwischenräumen von 8 Tagen zu Gehör gebracht wurde,


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[0372] Schöne Zeit, wo noch der Virtuose des durch ihn vorgetragenen Kunst¬ werkes wegen da war und das Publikum dieses hörte und nicht ihn! Heute sind die herrlichen Beethovenschen Concerte, wie es scheint, hauptsächlich dazu da, daß immer neue und wieder neue Virtuosen zeigen dürfen, wie sie dieselben zu spielen vermögen. Ist es denn nicht wahrhaft bedauernswürdig, daß ewig dieselben Werke, die Perlen unserer Concertliteratur heruntergespielt werden müssen, auf die Gefahr hin, daß wir ihrer schließlich trotz aller ihrer Schönheit über¬ drüssig werden? Und müssen es denn durchaus „Concerte" sein? Könnte nicht der auftretende Klavierspieler sich dem Publikum ebenso vortheilhaft vorführen mit einer Sonate oder einem andern modernen cyclischen Werke wie mit einem „Concert"? Der Einwurf, daß solche Werke in Kammermusik-Aufführungen ge¬ hören, kann doch wohl nicht im Ernste gemacht werden, da ja allerlei kleine Sächelchen: Capricen, Lieder ohne Worte, oder für die Sänger kleine Lieder :c. in den großen Concerten längst gewohnte Programm-Nummern sind! In neuester Zeit ist man endlich zu der Einsicht gelangt, daß die Solo- und Duo-Sonaten lange Zeit unverantwortlich vernachlässigt und eigentlich nur noch als Unterrichts¬ material verwendet worden sind; in Folge dessen holt man das Versäumte nach und veranstaltet große Concerte, in denen nach einander gleich eine ganze Reihe Sonaten gespielt werden. Die Einförmigkeit dieser Programme wird natürlich bald genug das Publikum langweilen, und die Sonaten werden dann wieder in die Rumpelkammer wandern. So anerkennenswerth die That Bülows war, einmal daran zu erinnern, welcher Schatz in Beethovens Klaviersonaten steckt, so verkehrt ist die Nachahmung, welche sein Beispiel findet, einen ganzen Concert¬ abend nur mit Sonaten auszufüllen. Sehen wir von den modernen Sonaten¬ spielern sx xrotssso ab, so müssen wir konstatiren, daß das Auftreten eines Virtuosen beinahe ebenso aussieht wie das des andern: im ersten Theile des Programms wird ein Concert gespielt — von den Geigern gewöhnlich das Beethovensche oder Mendelssohnsche, allenfalls das Bruchsche oder eines von Spohr; von den Klavierspielern Beethovens G-Dur oder Es-Dur, Rubinsteins D-Moll oder Liszts Es-Dur, allenfalls Reineckes oder Hillers Fis-Moll — im zweiten Theile einige solistische Nichtigkeiten, Virtuosenkunststückchen, manchmal wohl auch ein paar allerliebste Nippes — so einmal, so allemal! Der Haupt¬ unterschied ist der Name des Spielers. So ist es denn ganz natürlich, daß in den Augen des Publikums das Auftreten der Virtuosen zu einer Art Examen wird — er spielt Probe! Das Publikum sitzt zu Gericht, ob der heute auftretende Virtuose das und das Concert besser oder schlechter spielt als der, welcher es vor einer Woche gespielt hat. Wir haben wiederholt Fälle erlebt, daß dasselbe Concert in den beiden Concertinstituten Leipzigs, dem Gewandhaus und der Euterpe, in Zwischenräumen von 8 Tagen zu Gehör gebracht wurde,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/372>, abgerufen am 23.07.2024.