Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.machen, d. h. gute, gehaltvolle Musik fadem Geklingel, süßlichen Geseufz und Wir beabsichtigen hier keineswegs, für die Auswüchse der neudeutschen machen, d. h. gute, gehaltvolle Musik fadem Geklingel, süßlichen Geseufz und Wir beabsichtigen hier keineswegs, für die Auswüchse der neudeutschen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143425"/> <p xml:id="ID_1109" prev="#ID_1108"> machen, d. h. gute, gehaltvolle Musik fadem Geklingel, süßlichen Geseufz und<lb/> blendendem Brillantfeuerwerk vorziehen, so können sie viel mehr nützen, als<lb/> selbst eine ehrliche Kritik es vermag. Denn schließlich ist auch die ehrlichste<lb/> Kritik die Meinung eines Menschen und macht den Geschmack und das Fassungs¬<lb/> vermögen dieses einen Menschen zur Norm, wogegen das Selbstgehörte in eiuer<lb/> ganz andern Weise zu wirken vermag. Uebersteigt ein Werk das musikalische<lb/> Fassungsvermögen des Hörers, so wird es ihm fremd bleiben, begreift er es,<lb/> so wird er es liebgewinnen, oder aber es wird ihm, wenn es seinen Geist zu<lb/> wenig beschäftigt, nicht interessiren, er wird es dann langweilig nichtssagend<lb/> finden. Das „Schönfinden" eines Musikstücks ist keineswegs so sehr Geschmack¬<lb/> sache, wie man oft genug aussprechen hört, es ist vielmehr ein Gradmesser für<lb/> das musikalische Verständniß; die Fähigkeit, eine der complicirteren Beethovenschen<lb/> Sonaten schön zu finden, ist bei weitem nicht allen Menschen eigen, aber sie kann<lb/> erworben werden, während für Mozart das angeborene Musikverständniß eines<lb/> halbwegs mit Gehör begabten Menschen gewöhnlich ausreicht. Wie erziehungs¬<lb/> fähig das Ohr, d. h. wie ausbildungsfähig das Musikverständniß ist, kann man<lb/> recht deutlich einsehen, wenn man ein Concertpublikum, das an die complicirtesten<lb/> Schöpfungen der neuesten Zeit gewöhnt ist, mit einem vergleicht, das nur Händel,<lb/> Haydn, Mozart, den jüngeren Beethoven und allenfalls Mendelssohn zu hören<lb/> bekommt. Ein Publikum der ersteren Art ist z. B. das Sondershäuser. Bei¬<lb/> spiele der letzteren Art brauchen wir nicht zu suchen. Die Sondershäuser,<lb/> denen Berlioz und Liszt mit ihren symphonischen Dichtungen alltägliche Bekannte<lb/> sind, bedürfen nicht langer Zeit und eines vielmaligen Hörens, um den Aufbau<lb/> einer Brahmsschen Symphonie zu begreifen, wie das anderwärts vorkommt.<lb/> So ist die Ausbildung des Musikverständnisses nicht zum kleinsten Theile ab¬<lb/> hängig von der Wahl der aufgeführten Stücke, und eine konservativ gesinnte<lb/> Concertdirektion schafft sich in der That allmählich ein ebenso konservativ ge¬<lb/> sinntes Concertpublikum, ohne daß man nöthig hätte, einen persönlichen Ein¬<lb/> fluß anzunehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1110" next="#ID_1111"> Wir beabsichtigen hier keineswegs, für die Auswüchse der neudeutschen<lb/> Richtung Propaganda zu machen, müssen aber denen entschieden entgegentreten,<lb/> welche Werke wie die Waldsymphonie von Raff für schlechte Musik halten oder<lb/> die Brahmssche Rhapsodie verdammen, wenn sie sie nach einmaligem Hören nicht<lb/> begriffen haben. Wohl kann man im Zweifel sein, ob nicht die Häufung com-<lb/> plicirtester Harmonieverbindungen, welche Brahms so sehr liebt, dem musikalischen<lb/> Fassungsvermögen allzuviel zumuthet; man kann sein ernsthaftes Bedenken haben,<lb/> ob nicht das motivische Geschiebe ohne Rast und ohne tomate Einheit, wie es<lb/> Wagners illustrirender Musik eigen ist, allzuweit wegführt von den immanenten<lb/> Bildungsgesetzen der musikalischen Kunst; dagegen würde es durchaus verkehrt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0370]
machen, d. h. gute, gehaltvolle Musik fadem Geklingel, süßlichen Geseufz und
blendendem Brillantfeuerwerk vorziehen, so können sie viel mehr nützen, als
selbst eine ehrliche Kritik es vermag. Denn schließlich ist auch die ehrlichste
Kritik die Meinung eines Menschen und macht den Geschmack und das Fassungs¬
vermögen dieses einen Menschen zur Norm, wogegen das Selbstgehörte in eiuer
ganz andern Weise zu wirken vermag. Uebersteigt ein Werk das musikalische
Fassungsvermögen des Hörers, so wird es ihm fremd bleiben, begreift er es,
so wird er es liebgewinnen, oder aber es wird ihm, wenn es seinen Geist zu
wenig beschäftigt, nicht interessiren, er wird es dann langweilig nichtssagend
finden. Das „Schönfinden" eines Musikstücks ist keineswegs so sehr Geschmack¬
sache, wie man oft genug aussprechen hört, es ist vielmehr ein Gradmesser für
das musikalische Verständniß; die Fähigkeit, eine der complicirteren Beethovenschen
Sonaten schön zu finden, ist bei weitem nicht allen Menschen eigen, aber sie kann
erworben werden, während für Mozart das angeborene Musikverständniß eines
halbwegs mit Gehör begabten Menschen gewöhnlich ausreicht. Wie erziehungs¬
fähig das Ohr, d. h. wie ausbildungsfähig das Musikverständniß ist, kann man
recht deutlich einsehen, wenn man ein Concertpublikum, das an die complicirtesten
Schöpfungen der neuesten Zeit gewöhnt ist, mit einem vergleicht, das nur Händel,
Haydn, Mozart, den jüngeren Beethoven und allenfalls Mendelssohn zu hören
bekommt. Ein Publikum der ersteren Art ist z. B. das Sondershäuser. Bei¬
spiele der letzteren Art brauchen wir nicht zu suchen. Die Sondershäuser,
denen Berlioz und Liszt mit ihren symphonischen Dichtungen alltägliche Bekannte
sind, bedürfen nicht langer Zeit und eines vielmaligen Hörens, um den Aufbau
einer Brahmsschen Symphonie zu begreifen, wie das anderwärts vorkommt.
So ist die Ausbildung des Musikverständnisses nicht zum kleinsten Theile ab¬
hängig von der Wahl der aufgeführten Stücke, und eine konservativ gesinnte
Concertdirektion schafft sich in der That allmählich ein ebenso konservativ ge¬
sinntes Concertpublikum, ohne daß man nöthig hätte, einen persönlichen Ein¬
fluß anzunehmen.
Wir beabsichtigen hier keineswegs, für die Auswüchse der neudeutschen
Richtung Propaganda zu machen, müssen aber denen entschieden entgegentreten,
welche Werke wie die Waldsymphonie von Raff für schlechte Musik halten oder
die Brahmssche Rhapsodie verdammen, wenn sie sie nach einmaligem Hören nicht
begriffen haben. Wohl kann man im Zweifel sein, ob nicht die Häufung com-
plicirtester Harmonieverbindungen, welche Brahms so sehr liebt, dem musikalischen
Fassungsvermögen allzuviel zumuthet; man kann sein ernsthaftes Bedenken haben,
ob nicht das motivische Geschiebe ohne Rast und ohne tomate Einheit, wie es
Wagners illustrirender Musik eigen ist, allzuweit wegführt von den immanenten
Bildungsgesetzen der musikalischen Kunst; dagegen würde es durchaus verkehrt
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