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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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an eine Erwerbung auf Kosten seiner Mitstände weit von sich gewiesen, hatte
jetzt gegen eine solche so wenig mehr einzuwenden, daß er seinem Gesandten
Graf Beust in Paris sogar schon die Stelle des Gouverneurs von Osnabrück
zugedacht hatte. Offenbar flößte ihm der Gedanke, aus der Hand Frankreichs
ein Gut annehmen zu müssen, das einem Andern gehörte, keinerlei Bedenken
mehr ein.

Um die Gunst des Gewaltherrn, der Frankreich regierte, sorgte er bereits
ängstlicher, als einem deutschen Fürsten, als vollends dem "ersten Kurfürsten"
des Reichs zukommen wollte. Er, der es so oft für seine höchste Pflicht erklärt
hatte, furchtlos und aller Orten die Wahrheit zu sagen, blieb stumm, als seine
erlauchten Mitfürsten im Süden einen rechtlosen Krieg gegen die Reichsritter¬
schaft begannen, welche der Reichsdeputationshanptschluß noch verschont hatte,
er schwieg, als die Wegführung des Herzogs von Enghien den Beweis lieferte,
wie der erste Konsul das Völkerrecht und die Autorität des Reichs und seiner
Glieder zu achten gesonnen sei. Er nahm dann keinen Anstand, seine zuvor¬
kommende Zustimmung zu der beabsichtigten Erhebung Napoleons zum Kaiser
der Franzosen in Paris anzumelden, und sah solche Willfährigkeit belohnt
durch die Wiedereinsetzung seines Neffen, des Fürsten von der Leyen, in die
bereits eingezogenen Besitzungen (Juni 1804). Er fand dann natürlich auch
kein Bedenken, mit den andern Fürsten des südlichen und westlichen Deutsch¬
land im September unter denen zu erscheinen, welche den neuen Cäsar in der
alten Kaiserstadt Mainz, in der Hauptstadt, die einst zu Dalbergs Residenz
bestimmt gewesen, huldigend begrüßten. Dort hat er Napoleon zum ersten
Male gesehen und sich wohl überzeugt, daß von einem Einfluß auf ihn, von
dem er vielleicht geträumt, nicht die Rede sein könne. Die bekannte Erzählung,
er sei von der Freude, die Napoleon gelegentlich über den Zerfall Deutsch¬
lands unverhohlen kundgegeben, so erschreckt worden, daß er dem alten Karl
Friedrich von Baden weinend in die Arme gesunken sei, erscheint weder objektiv
genügend beglaubigt -- sie rührt von Frau v. Wolzogen her, die ihn stets
vertheidigte --, noch nach dem Charakter -der dabei betheiligten Personen
innerlich wahrscheinlich. Wird doch vielmehr behauptet, eben in Mainz sei
unter Dalbergs lebhafter Zustimmung der erste Gedanke an den Rheinbund
aufgetaucht.

Wenn noch etwas gefehlt hatte, um den Erzkanzler vollständig für den
Imperator zu gewinnen, so wurde das ergänzt durch die wohlberechnete Ein¬
ladung zur Kaiserkrönung nach Paris (2. Dezember 1804) und durch die Fülle
von Artigkeiten und Auszeichnungen, mit denen man ihn dort überhäufte. Beim
Krönungsmahle speiste er an derselben Tafel mit dem Papste und dem Kaiser¬
paare; das Nationalinstitut ernannte ihn an Stelle Klopstocks (f 14. März 1803)


an eine Erwerbung auf Kosten seiner Mitstände weit von sich gewiesen, hatte
jetzt gegen eine solche so wenig mehr einzuwenden, daß er seinem Gesandten
Graf Beust in Paris sogar schon die Stelle des Gouverneurs von Osnabrück
zugedacht hatte. Offenbar flößte ihm der Gedanke, aus der Hand Frankreichs
ein Gut annehmen zu müssen, das einem Andern gehörte, keinerlei Bedenken
mehr ein.

Um die Gunst des Gewaltherrn, der Frankreich regierte, sorgte er bereits
ängstlicher, als einem deutschen Fürsten, als vollends dem „ersten Kurfürsten"
des Reichs zukommen wollte. Er, der es so oft für seine höchste Pflicht erklärt
hatte, furchtlos und aller Orten die Wahrheit zu sagen, blieb stumm, als seine
erlauchten Mitfürsten im Süden einen rechtlosen Krieg gegen die Reichsritter¬
schaft begannen, welche der Reichsdeputationshanptschluß noch verschont hatte,
er schwieg, als die Wegführung des Herzogs von Enghien den Beweis lieferte,
wie der erste Konsul das Völkerrecht und die Autorität des Reichs und seiner
Glieder zu achten gesonnen sei. Er nahm dann keinen Anstand, seine zuvor¬
kommende Zustimmung zu der beabsichtigten Erhebung Napoleons zum Kaiser
der Franzosen in Paris anzumelden, und sah solche Willfährigkeit belohnt
durch die Wiedereinsetzung seines Neffen, des Fürsten von der Leyen, in die
bereits eingezogenen Besitzungen (Juni 1804). Er fand dann natürlich auch
kein Bedenken, mit den andern Fürsten des südlichen und westlichen Deutsch¬
land im September unter denen zu erscheinen, welche den neuen Cäsar in der
alten Kaiserstadt Mainz, in der Hauptstadt, die einst zu Dalbergs Residenz
bestimmt gewesen, huldigend begrüßten. Dort hat er Napoleon zum ersten
Male gesehen und sich wohl überzeugt, daß von einem Einfluß auf ihn, von
dem er vielleicht geträumt, nicht die Rede sein könne. Die bekannte Erzählung,
er sei von der Freude, die Napoleon gelegentlich über den Zerfall Deutsch¬
lands unverhohlen kundgegeben, so erschreckt worden, daß er dem alten Karl
Friedrich von Baden weinend in die Arme gesunken sei, erscheint weder objektiv
genügend beglaubigt — sie rührt von Frau v. Wolzogen her, die ihn stets
vertheidigte —, noch nach dem Charakter -der dabei betheiligten Personen
innerlich wahrscheinlich. Wird doch vielmehr behauptet, eben in Mainz sei
unter Dalbergs lebhafter Zustimmung der erste Gedanke an den Rheinbund
aufgetaucht.

Wenn noch etwas gefehlt hatte, um den Erzkanzler vollständig für den
Imperator zu gewinnen, so wurde das ergänzt durch die wohlberechnete Ein¬
ladung zur Kaiserkrönung nach Paris (2. Dezember 1804) und durch die Fülle
von Artigkeiten und Auszeichnungen, mit denen man ihn dort überhäufte. Beim
Krönungsmahle speiste er an derselben Tafel mit dem Papste und dem Kaiser¬
paare; das Nationalinstitut ernannte ihn an Stelle Klopstocks (f 14. März 1803)


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[0367] an eine Erwerbung auf Kosten seiner Mitstände weit von sich gewiesen, hatte jetzt gegen eine solche so wenig mehr einzuwenden, daß er seinem Gesandten Graf Beust in Paris sogar schon die Stelle des Gouverneurs von Osnabrück zugedacht hatte. Offenbar flößte ihm der Gedanke, aus der Hand Frankreichs ein Gut annehmen zu müssen, das einem Andern gehörte, keinerlei Bedenken mehr ein. Um die Gunst des Gewaltherrn, der Frankreich regierte, sorgte er bereits ängstlicher, als einem deutschen Fürsten, als vollends dem „ersten Kurfürsten" des Reichs zukommen wollte. Er, der es so oft für seine höchste Pflicht erklärt hatte, furchtlos und aller Orten die Wahrheit zu sagen, blieb stumm, als seine erlauchten Mitfürsten im Süden einen rechtlosen Krieg gegen die Reichsritter¬ schaft begannen, welche der Reichsdeputationshanptschluß noch verschont hatte, er schwieg, als die Wegführung des Herzogs von Enghien den Beweis lieferte, wie der erste Konsul das Völkerrecht und die Autorität des Reichs und seiner Glieder zu achten gesonnen sei. Er nahm dann keinen Anstand, seine zuvor¬ kommende Zustimmung zu der beabsichtigten Erhebung Napoleons zum Kaiser der Franzosen in Paris anzumelden, und sah solche Willfährigkeit belohnt durch die Wiedereinsetzung seines Neffen, des Fürsten von der Leyen, in die bereits eingezogenen Besitzungen (Juni 1804). Er fand dann natürlich auch kein Bedenken, mit den andern Fürsten des südlichen und westlichen Deutsch¬ land im September unter denen zu erscheinen, welche den neuen Cäsar in der alten Kaiserstadt Mainz, in der Hauptstadt, die einst zu Dalbergs Residenz bestimmt gewesen, huldigend begrüßten. Dort hat er Napoleon zum ersten Male gesehen und sich wohl überzeugt, daß von einem Einfluß auf ihn, von dem er vielleicht geträumt, nicht die Rede sein könne. Die bekannte Erzählung, er sei von der Freude, die Napoleon gelegentlich über den Zerfall Deutsch¬ lands unverhohlen kundgegeben, so erschreckt worden, daß er dem alten Karl Friedrich von Baden weinend in die Arme gesunken sei, erscheint weder objektiv genügend beglaubigt — sie rührt von Frau v. Wolzogen her, die ihn stets vertheidigte —, noch nach dem Charakter -der dabei betheiligten Personen innerlich wahrscheinlich. Wird doch vielmehr behauptet, eben in Mainz sei unter Dalbergs lebhafter Zustimmung der erste Gedanke an den Rheinbund aufgetaucht. Wenn noch etwas gefehlt hatte, um den Erzkanzler vollständig für den Imperator zu gewinnen, so wurde das ergänzt durch die wohlberechnete Ein¬ ladung zur Kaiserkrönung nach Paris (2. Dezember 1804) und durch die Fülle von Artigkeiten und Auszeichnungen, mit denen man ihn dort überhäufte. Beim Krönungsmahle speiste er an derselben Tafel mit dem Papste und dem Kaiser¬ paare; das Nationalinstitut ernannte ihn an Stelle Klopstocks (f 14. März 1803)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/367>, abgerufen am 03.07.2024.