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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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"aus dem Schütte zu retten, was möglich sei" (2. August). So sah sich Dal-
berg darauf angewiesen, der traurigen Reihe fürstlicher Bittsteller sich zuzu¬
gefellen und dort seine Hebel anzusetzen, wo die größte Stärke lag, in Paris.
Graf Beust wurde neu instruirt, um wenigstens das Gebiet von Aschaffenburg
zu retten, nach dem schon Hessen-Darmstadt lüstern die Hände ausstreckte. Die
Mittel, mit denen ihm dies gelang, sind nicht zweifelhaft; noch am 18. September
1803 unterzeichnete Dalberg einen Vertrag über die allmähliche Abzahlung von
2/2 Million Francs an xsrsonnss SWklitiÄlss.

Inzwischen war bekanntlich durch kaiserliches Dekret vom 2. August 1802
die achtgliedrige Reichsdeputation, in welcher Albini Kurmainz vertrat, in Regens¬
burg gebildet worden. Doch nicht sie löste die Entschädigungsfrage, sondern die
"vermittelnden Mächte" Frankreich und Rußland waren es, die, schon seit Oktober
1801 im wesentlichen einig, den Reichsständen ihren Willen auferlegten. Sie
wollten wenigstens den Kurstaat Mainz erhalten und seinem Fürsten 1 Million si.
Rente in Land oder anderen Einkünften garantiren, freilich unter der Voraus¬
setzung,- daß er für den ganzen Entschädigungsplan stimme. Dies erregte zunächst
Dalbergs lebhafteste Mißbilligung; er nannte in einem Schreiben an Albini
vom 27. August jenes Anerbieten einen "Judaslohn" und entwarf gleichzeitig
"Bemerkungen über die Pflichten und Verhältnisse des Reichskanzlers in Deutsch¬
land", in denen er, natürlich von den alten reichsrechtlichen Anschauungen noch
vollkommen beherrscht, den Reichskanzler als den custos Je^um, als den
"Geschäftsführer der Nation" auffaßte, ohne jede Ahnung von der schon be¬
siegelten rettungslosen Ohnmacht seines eignen Amtes. Doch sein Widerstreben
gegen die projektirte Abfindung war von kurzer Dauer. Als am 24. August
die Vermittler ihren Entschädigungsplan übergaben, der den Sitz des Erzkanzlers
nach Regensburg verlegte, und ihm Aschaffenburg mit so vielen Mediatstiftern,
als nöthig seien, um sein Einkommen auf 1 Million si. zu bringen, zuwies,
war Dalberg ganz einverstanden; ja er schrieb in fast unbegreiflicher Verblendung
an Albini in Bezug auf die Entscheidungen der Reichsdeputation: "Das Heft
liegt in den Händen des Erzkanzlers", als wenn überhaupt auf die Abstimmungen
im Schooße derselben noch etwas angekommen wäre. Und doch empfahl er auf
der andern Seite in einer Anwandlung von richtiger Erkenntniß den engsten
Anschluß des Erzkanzlers an Frankreich. Fortan ging jetzt sein Bestreben auf
ein doppeltes Ziel: auf die Sicherung dessen, was ihm der Entschädigungs¬
entwurf zugedacht hatte, und auf die Reorganisation der Reichsverfassung, mit
der ja seine eigne Stellung untrennbar verknüpft war. Im Interesse der ersteren
mußte Beust in Paris durch eine Note vom 2. September die Erlaubniß fordern,
sofort die Mediatstifter in den drei fränkischen Bisthümern occupiren zu dürfen,
erhielt jedoch nicht einmal eine Antwort. Vorschläge in der letzteren Richtung


„aus dem Schütte zu retten, was möglich sei" (2. August). So sah sich Dal-
berg darauf angewiesen, der traurigen Reihe fürstlicher Bittsteller sich zuzu¬
gefellen und dort seine Hebel anzusetzen, wo die größte Stärke lag, in Paris.
Graf Beust wurde neu instruirt, um wenigstens das Gebiet von Aschaffenburg
zu retten, nach dem schon Hessen-Darmstadt lüstern die Hände ausstreckte. Die
Mittel, mit denen ihm dies gelang, sind nicht zweifelhaft; noch am 18. September
1803 unterzeichnete Dalberg einen Vertrag über die allmähliche Abzahlung von
2/2 Million Francs an xsrsonnss SWklitiÄlss.

Inzwischen war bekanntlich durch kaiserliches Dekret vom 2. August 1802
die achtgliedrige Reichsdeputation, in welcher Albini Kurmainz vertrat, in Regens¬
burg gebildet worden. Doch nicht sie löste die Entschädigungsfrage, sondern die
„vermittelnden Mächte" Frankreich und Rußland waren es, die, schon seit Oktober
1801 im wesentlichen einig, den Reichsständen ihren Willen auferlegten. Sie
wollten wenigstens den Kurstaat Mainz erhalten und seinem Fürsten 1 Million si.
Rente in Land oder anderen Einkünften garantiren, freilich unter der Voraus¬
setzung,- daß er für den ganzen Entschädigungsplan stimme. Dies erregte zunächst
Dalbergs lebhafteste Mißbilligung; er nannte in einem Schreiben an Albini
vom 27. August jenes Anerbieten einen „Judaslohn" und entwarf gleichzeitig
„Bemerkungen über die Pflichten und Verhältnisse des Reichskanzlers in Deutsch¬
land", in denen er, natürlich von den alten reichsrechtlichen Anschauungen noch
vollkommen beherrscht, den Reichskanzler als den custos Je^um, als den
„Geschäftsführer der Nation" auffaßte, ohne jede Ahnung von der schon be¬
siegelten rettungslosen Ohnmacht seines eignen Amtes. Doch sein Widerstreben
gegen die projektirte Abfindung war von kurzer Dauer. Als am 24. August
die Vermittler ihren Entschädigungsplan übergaben, der den Sitz des Erzkanzlers
nach Regensburg verlegte, und ihm Aschaffenburg mit so vielen Mediatstiftern,
als nöthig seien, um sein Einkommen auf 1 Million si. zu bringen, zuwies,
war Dalberg ganz einverstanden; ja er schrieb in fast unbegreiflicher Verblendung
an Albini in Bezug auf die Entscheidungen der Reichsdeputation: „Das Heft
liegt in den Händen des Erzkanzlers", als wenn überhaupt auf die Abstimmungen
im Schooße derselben noch etwas angekommen wäre. Und doch empfahl er auf
der andern Seite in einer Anwandlung von richtiger Erkenntniß den engsten
Anschluß des Erzkanzlers an Frankreich. Fortan ging jetzt sein Bestreben auf
ein doppeltes Ziel: auf die Sicherung dessen, was ihm der Entschädigungs¬
entwurf zugedacht hatte, und auf die Reorganisation der Reichsverfassung, mit
der ja seine eigne Stellung untrennbar verknüpft war. Im Interesse der ersteren
mußte Beust in Paris durch eine Note vom 2. September die Erlaubniß fordern,
sofort die Mediatstifter in den drei fränkischen Bisthümern occupiren zu dürfen,
erhielt jedoch nicht einmal eine Antwort. Vorschläge in der letzteren Richtung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/362>, abgerufen am 24.07.2024.