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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Hältnissen erblickte, Dalberg selbst beruhigende Zusicherungen über sein Ver¬
hältniß zu den gegen die römischen Ansprüche gerichteten Emser Punktationen
(25. August 1786) gab und auch der Kaiser seine Zustimmung ertheilte, so
wurde die formelle Wahl am 5. Juni 1787 vorgenommen. Schon am nächsten
Tage unterzeichnete der neue Koadjutor die Unionsakte des Fürstenbundes,
auch die geheimen Artikel, und da er fast gleichzeitig auch in dem Bisthum
Worms und ein Jahr später auch in Constanz dieselbe Würde erhielt (19. Juni
1787 und 18. Juni 1788), so stand ihm damit eine weite, ausgebreitete Wirk¬
samkeit in Aussicht, die sich über vier Reichskreise erstreckte.

Freilich gewann er zunächst auf die Leitung der Geschäfte in Mainz nicht
den mindesten Einfluß. Die alte Abneigung des Kurfürsten verhinderte dies
in einem solchen Grade, daß Dalberg sich bewogen fand, im Mai 1789 ganz
nach Erfurt zurückzukehren. Auch den größeren Höfen des Fürstenbundes galt
der Koadjutor keineswegs für sicher, weshalb er es für gerathen hielt, durch
einen persönlichen Besuch in Dresden und Berlin während des Herbstes 1788
das gegen ihn bestehende Mißtrauen zu entwaffnen.

In der That war dieses Mißtrauen nicht ganz ungegründet. Die weitere
Aufgabe des Fürstenbundes: Deutschland mit Ausschluß Oesterreichs als welt¬
lichen Staatenbund zu reorganisiren, hat Dalberg niemals begriffen und konnte
er nicht begreifen, als Sproß eines alten reichsritterlichen Geschlechts, als geist¬
licher Fürst, als persönlicher Verehrer Josephs II. Mit dem Kaiser blieb er
immer in Briefwechsel, und gerade in diesen Briefen tritt die Unklarheit und
Verschwommenheit seiner politischen Anschauungen wahrhaft erschreckend hervor.
Aus einem Gewölk reichspatriotischer Phrasen taucht ein einziger positiver Ge¬
danke auf, und dieser Gedanke enthält einen unlöslichen Widerspruch: der
Bund der Fürsten sollte nach seiner Auffassung ein Bund des Kaisers und des
Reiches werden, d. h. er sollte im Reiche oder das Reich sollte in ihm aufgehen;
auf jeden Fall hätte er eben aufgehört zu sein. So sehr Dalberg die ausgrei¬
fende Politik Oesterreichs, wie sie in den Plänen auf Baiern, in der ersten
polnischen Theilung, in der Umgestaltung der österreichischen Bisthümer vom
Gesichtspunkte der möglichsten Abschließung der Monarchie hervorgetreten war,
mißbilligte und in ihr den Anlaß zum Fürstenbunde erkannte, er hatte doch
mehr an der Art, wie Joseph II. die Erwerbung Baierns betrieb, auszusetzen,
als daß er den Plan an sich getadelt hätte; er meinte, der ganze Gegensatz
zwischen Oesterreich und dem Fürstenbunde würde verschwinden, wenn der
Kaiser seinen Plan auf "gesetzmäßigem" Wege verfolge und die Einwilligung
des Reiches dazu nachsuche. Ja er erwartete von Joseph II. eine nationale
Reorganisation Deutschlands dnrch Verbesserungen der völlig unbrauchbaren
Reichsverfassung. Er hat über diese dem Kaiser sogar eine ausführliche Denl-


Grenzboten IV. 1879. 46

Hältnissen erblickte, Dalberg selbst beruhigende Zusicherungen über sein Ver¬
hältniß zu den gegen die römischen Ansprüche gerichteten Emser Punktationen
(25. August 1786) gab und auch der Kaiser seine Zustimmung ertheilte, so
wurde die formelle Wahl am 5. Juni 1787 vorgenommen. Schon am nächsten
Tage unterzeichnete der neue Koadjutor die Unionsakte des Fürstenbundes,
auch die geheimen Artikel, und da er fast gleichzeitig auch in dem Bisthum
Worms und ein Jahr später auch in Constanz dieselbe Würde erhielt (19. Juni
1787 und 18. Juni 1788), so stand ihm damit eine weite, ausgebreitete Wirk¬
samkeit in Aussicht, die sich über vier Reichskreise erstreckte.

Freilich gewann er zunächst auf die Leitung der Geschäfte in Mainz nicht
den mindesten Einfluß. Die alte Abneigung des Kurfürsten verhinderte dies
in einem solchen Grade, daß Dalberg sich bewogen fand, im Mai 1789 ganz
nach Erfurt zurückzukehren. Auch den größeren Höfen des Fürstenbundes galt
der Koadjutor keineswegs für sicher, weshalb er es für gerathen hielt, durch
einen persönlichen Besuch in Dresden und Berlin während des Herbstes 1788
das gegen ihn bestehende Mißtrauen zu entwaffnen.

In der That war dieses Mißtrauen nicht ganz ungegründet. Die weitere
Aufgabe des Fürstenbundes: Deutschland mit Ausschluß Oesterreichs als welt¬
lichen Staatenbund zu reorganisiren, hat Dalberg niemals begriffen und konnte
er nicht begreifen, als Sproß eines alten reichsritterlichen Geschlechts, als geist¬
licher Fürst, als persönlicher Verehrer Josephs II. Mit dem Kaiser blieb er
immer in Briefwechsel, und gerade in diesen Briefen tritt die Unklarheit und
Verschwommenheit seiner politischen Anschauungen wahrhaft erschreckend hervor.
Aus einem Gewölk reichspatriotischer Phrasen taucht ein einziger positiver Ge¬
danke auf, und dieser Gedanke enthält einen unlöslichen Widerspruch: der
Bund der Fürsten sollte nach seiner Auffassung ein Bund des Kaisers und des
Reiches werden, d. h. er sollte im Reiche oder das Reich sollte in ihm aufgehen;
auf jeden Fall hätte er eben aufgehört zu sein. So sehr Dalberg die ausgrei¬
fende Politik Oesterreichs, wie sie in den Plänen auf Baiern, in der ersten
polnischen Theilung, in der Umgestaltung der österreichischen Bisthümer vom
Gesichtspunkte der möglichsten Abschließung der Monarchie hervorgetreten war,
mißbilligte und in ihr den Anlaß zum Fürstenbunde erkannte, er hatte doch
mehr an der Art, wie Joseph II. die Erwerbung Baierns betrieb, auszusetzen,
als daß er den Plan an sich getadelt hätte; er meinte, der ganze Gegensatz
zwischen Oesterreich und dem Fürstenbunde würde verschwinden, wenn der
Kaiser seinen Plan auf „gesetzmäßigem" Wege verfolge und die Einwilligung
des Reiches dazu nachsuche. Ja er erwartete von Joseph II. eine nationale
Reorganisation Deutschlands dnrch Verbesserungen der völlig unbrauchbaren
Reichsverfassung. Er hat über diese dem Kaiser sogar eine ausführliche Denl-


Grenzboten IV. 1879. 46
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[0357] Hältnissen erblickte, Dalberg selbst beruhigende Zusicherungen über sein Ver¬ hältniß zu den gegen die römischen Ansprüche gerichteten Emser Punktationen (25. August 1786) gab und auch der Kaiser seine Zustimmung ertheilte, so wurde die formelle Wahl am 5. Juni 1787 vorgenommen. Schon am nächsten Tage unterzeichnete der neue Koadjutor die Unionsakte des Fürstenbundes, auch die geheimen Artikel, und da er fast gleichzeitig auch in dem Bisthum Worms und ein Jahr später auch in Constanz dieselbe Würde erhielt (19. Juni 1787 und 18. Juni 1788), so stand ihm damit eine weite, ausgebreitete Wirk¬ samkeit in Aussicht, die sich über vier Reichskreise erstreckte. Freilich gewann er zunächst auf die Leitung der Geschäfte in Mainz nicht den mindesten Einfluß. Die alte Abneigung des Kurfürsten verhinderte dies in einem solchen Grade, daß Dalberg sich bewogen fand, im Mai 1789 ganz nach Erfurt zurückzukehren. Auch den größeren Höfen des Fürstenbundes galt der Koadjutor keineswegs für sicher, weshalb er es für gerathen hielt, durch einen persönlichen Besuch in Dresden und Berlin während des Herbstes 1788 das gegen ihn bestehende Mißtrauen zu entwaffnen. In der That war dieses Mißtrauen nicht ganz ungegründet. Die weitere Aufgabe des Fürstenbundes: Deutschland mit Ausschluß Oesterreichs als welt¬ lichen Staatenbund zu reorganisiren, hat Dalberg niemals begriffen und konnte er nicht begreifen, als Sproß eines alten reichsritterlichen Geschlechts, als geist¬ licher Fürst, als persönlicher Verehrer Josephs II. Mit dem Kaiser blieb er immer in Briefwechsel, und gerade in diesen Briefen tritt die Unklarheit und Verschwommenheit seiner politischen Anschauungen wahrhaft erschreckend hervor. Aus einem Gewölk reichspatriotischer Phrasen taucht ein einziger positiver Ge¬ danke auf, und dieser Gedanke enthält einen unlöslichen Widerspruch: der Bund der Fürsten sollte nach seiner Auffassung ein Bund des Kaisers und des Reiches werden, d. h. er sollte im Reiche oder das Reich sollte in ihm aufgehen; auf jeden Fall hätte er eben aufgehört zu sein. So sehr Dalberg die ausgrei¬ fende Politik Oesterreichs, wie sie in den Plänen auf Baiern, in der ersten polnischen Theilung, in der Umgestaltung der österreichischen Bisthümer vom Gesichtspunkte der möglichsten Abschließung der Monarchie hervorgetreten war, mißbilligte und in ihr den Anlaß zum Fürstenbunde erkannte, er hatte doch mehr an der Art, wie Joseph II. die Erwerbung Baierns betrieb, auszusetzen, als daß er den Plan an sich getadelt hätte; er meinte, der ganze Gegensatz zwischen Oesterreich und dem Fürstenbunde würde verschwinden, wenn der Kaiser seinen Plan auf „gesetzmäßigem" Wege verfolge und die Einwilligung des Reiches dazu nachsuche. Ja er erwartete von Joseph II. eine nationale Reorganisation Deutschlands dnrch Verbesserungen der völlig unbrauchbaren Reichsverfassung. Er hat über diese dem Kaiser sogar eine ausführliche Denl- Grenzboten IV. 1879. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/357>, abgerufen am 23.07.2024.