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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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dem Weimarischen Hofe und sicherte ihm so eine Stelle in den Annalen der
glänzendsten Epoche unserer Literatur. Seine ersten Beziehungen zu der Her¬
zogin-Regentin Amalie hatte er bereits nach der Rückkehr von seiner europäi¬
schen Tour bei einem Besuche in Eisenach geknüpft, dann nach dem Antritte
seiner Statthalterschaft erneuert und so rasch Einfluß gewonnen, daß auf seineu
Rath Karl August mit seinem Erzieher Graf Görtz seine große Tour auch zu
einem Besuche in Paris benutzte. Er hatte dann das wesentliche Verdienst,
beim Regierungsantritt des jungen Fürsten (3. November 1775) die Entlas¬
sung des verdienten Ministers v. Fritsch, welche Graf Görtz betrieb, zu ver¬
hüten und fo auch das Verhältniß zwischen Mutter und Sohn vor unerquick¬
lichen Differenzen zu bewahren. So beschränkte sich die ganze Veränderung
in der höheren Staatsdienerschaft auf die Anstellung Goethes im Juni 1776,
mit dessen Einzug in Weimar (7. November 1775) der Weimarische Musenhof
seine Pforten öffnete. Mit ihm, wie mit Herder, seit Ende 1789 auch mit
Schiller, ist dann Dalberg in die regste Beziehung getreten, und wohl könnte
es die Gegenwart mit einem Gefühle des Neides erfüllen, zu sehen, wie ein
hoher katholischer Geistlicher dieses Jahrhunderts der Aufklärung unbefangen
verkehren konnte mit den Häuptern der neuen nationalen Bildung, die doch
im wesentlichen aus protestantischer Grundlage beruhte, und wie lebhaft der
sachliche und persönliche Antheil war, den er an diesem aufsteigenden Leben nahm.
Wie weit hat sich unsere Zeit doch wieder von dem Ziele entfernt, das damals
bereits erreicht schien, alle Elemente unseres Volkes mit den gleichen entmensch¬
lichen Bildungselementen zu durchdringen!

In sehr nahe persönliche Beziehungen ist Dalberg namentlich zu dem nur
wenige Jahre jüngeren Goethe getreten.*) Goethe rühmt oft von ihm, welch
vielseitiges Interesse er seinen Gedanken und Arbeiten entgegenbringe, wie man
immer etwas Neues bei ihm treffe, wie er bei naturwissenschaftlichen Gegen¬
ständen "durch gewisse gelenke Wortformeln das Angeschaute zu vermitteln, an
den Verstand heranzubringen" wisse. Bei Herder verfolgte er mit dem größten
Interesse seine historisch-philosophischen Arbeiten, und wie himmelweit entfernt
von ultramontaner Intoleranz und Herrschsucht erscheint dieser Sohn des Zeit¬
alters der Humanität, wenn er einmal an den Freund in Weimar schreibt:
"Die Kirche sehe ich nicht an als politischen Körper, sondern als Kompromiß
eines jeden Christen auf die Gefühle und Meinungen aller Christen, und auf
diesem Ganzen ruht nach meiner Meinung Unfehlbarkeit und Geist Gottes...



*) Zahlreiche Briefe von ihm müssen in dem freilich hermetisch verschlossenen Goethe-
scher Familienarchiv liegen, während fast alles, was Goethe an den Freund schrieb, spurlos
verschwunden scheint.

dem Weimarischen Hofe und sicherte ihm so eine Stelle in den Annalen der
glänzendsten Epoche unserer Literatur. Seine ersten Beziehungen zu der Her¬
zogin-Regentin Amalie hatte er bereits nach der Rückkehr von seiner europäi¬
schen Tour bei einem Besuche in Eisenach geknüpft, dann nach dem Antritte
seiner Statthalterschaft erneuert und so rasch Einfluß gewonnen, daß auf seineu
Rath Karl August mit seinem Erzieher Graf Görtz seine große Tour auch zu
einem Besuche in Paris benutzte. Er hatte dann das wesentliche Verdienst,
beim Regierungsantritt des jungen Fürsten (3. November 1775) die Entlas¬
sung des verdienten Ministers v. Fritsch, welche Graf Görtz betrieb, zu ver¬
hüten und fo auch das Verhältniß zwischen Mutter und Sohn vor unerquick¬
lichen Differenzen zu bewahren. So beschränkte sich die ganze Veränderung
in der höheren Staatsdienerschaft auf die Anstellung Goethes im Juni 1776,
mit dessen Einzug in Weimar (7. November 1775) der Weimarische Musenhof
seine Pforten öffnete. Mit ihm, wie mit Herder, seit Ende 1789 auch mit
Schiller, ist dann Dalberg in die regste Beziehung getreten, und wohl könnte
es die Gegenwart mit einem Gefühle des Neides erfüllen, zu sehen, wie ein
hoher katholischer Geistlicher dieses Jahrhunderts der Aufklärung unbefangen
verkehren konnte mit den Häuptern der neuen nationalen Bildung, die doch
im wesentlichen aus protestantischer Grundlage beruhte, und wie lebhaft der
sachliche und persönliche Antheil war, den er an diesem aufsteigenden Leben nahm.
Wie weit hat sich unsere Zeit doch wieder von dem Ziele entfernt, das damals
bereits erreicht schien, alle Elemente unseres Volkes mit den gleichen entmensch¬
lichen Bildungselementen zu durchdringen!

In sehr nahe persönliche Beziehungen ist Dalberg namentlich zu dem nur
wenige Jahre jüngeren Goethe getreten.*) Goethe rühmt oft von ihm, welch
vielseitiges Interesse er seinen Gedanken und Arbeiten entgegenbringe, wie man
immer etwas Neues bei ihm treffe, wie er bei naturwissenschaftlichen Gegen¬
ständen „durch gewisse gelenke Wortformeln das Angeschaute zu vermitteln, an
den Verstand heranzubringen" wisse. Bei Herder verfolgte er mit dem größten
Interesse seine historisch-philosophischen Arbeiten, und wie himmelweit entfernt
von ultramontaner Intoleranz und Herrschsucht erscheint dieser Sohn des Zeit¬
alters der Humanität, wenn er einmal an den Freund in Weimar schreibt:
„Die Kirche sehe ich nicht an als politischen Körper, sondern als Kompromiß
eines jeden Christen auf die Gefühle und Meinungen aller Christen, und auf
diesem Ganzen ruht nach meiner Meinung Unfehlbarkeit und Geist Gottes...



*) Zahlreiche Briefe von ihm müssen in dem freilich hermetisch verschlossenen Goethe-
scher Familienarchiv liegen, während fast alles, was Goethe an den Freund schrieb, spurlos
verschwunden scheint.
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[0353] dem Weimarischen Hofe und sicherte ihm so eine Stelle in den Annalen der glänzendsten Epoche unserer Literatur. Seine ersten Beziehungen zu der Her¬ zogin-Regentin Amalie hatte er bereits nach der Rückkehr von seiner europäi¬ schen Tour bei einem Besuche in Eisenach geknüpft, dann nach dem Antritte seiner Statthalterschaft erneuert und so rasch Einfluß gewonnen, daß auf seineu Rath Karl August mit seinem Erzieher Graf Görtz seine große Tour auch zu einem Besuche in Paris benutzte. Er hatte dann das wesentliche Verdienst, beim Regierungsantritt des jungen Fürsten (3. November 1775) die Entlas¬ sung des verdienten Ministers v. Fritsch, welche Graf Görtz betrieb, zu ver¬ hüten und fo auch das Verhältniß zwischen Mutter und Sohn vor unerquick¬ lichen Differenzen zu bewahren. So beschränkte sich die ganze Veränderung in der höheren Staatsdienerschaft auf die Anstellung Goethes im Juni 1776, mit dessen Einzug in Weimar (7. November 1775) der Weimarische Musenhof seine Pforten öffnete. Mit ihm, wie mit Herder, seit Ende 1789 auch mit Schiller, ist dann Dalberg in die regste Beziehung getreten, und wohl könnte es die Gegenwart mit einem Gefühle des Neides erfüllen, zu sehen, wie ein hoher katholischer Geistlicher dieses Jahrhunderts der Aufklärung unbefangen verkehren konnte mit den Häuptern der neuen nationalen Bildung, die doch im wesentlichen aus protestantischer Grundlage beruhte, und wie lebhaft der sachliche und persönliche Antheil war, den er an diesem aufsteigenden Leben nahm. Wie weit hat sich unsere Zeit doch wieder von dem Ziele entfernt, das damals bereits erreicht schien, alle Elemente unseres Volkes mit den gleichen entmensch¬ lichen Bildungselementen zu durchdringen! In sehr nahe persönliche Beziehungen ist Dalberg namentlich zu dem nur wenige Jahre jüngeren Goethe getreten.*) Goethe rühmt oft von ihm, welch vielseitiges Interesse er seinen Gedanken und Arbeiten entgegenbringe, wie man immer etwas Neues bei ihm treffe, wie er bei naturwissenschaftlichen Gegen¬ ständen „durch gewisse gelenke Wortformeln das Angeschaute zu vermitteln, an den Verstand heranzubringen" wisse. Bei Herder verfolgte er mit dem größten Interesse seine historisch-philosophischen Arbeiten, und wie himmelweit entfernt von ultramontaner Intoleranz und Herrschsucht erscheint dieser Sohn des Zeit¬ alters der Humanität, wenn er einmal an den Freund in Weimar schreibt: „Die Kirche sehe ich nicht an als politischen Körper, sondern als Kompromiß eines jeden Christen auf die Gefühle und Meinungen aller Christen, und auf diesem Ganzen ruht nach meiner Meinung Unfehlbarkeit und Geist Gottes... *) Zahlreiche Briefe von ihm müssen in dem freilich hermetisch verschlossenen Goethe- scher Familienarchiv liegen, während fast alles, was Goethe an den Freund schrieb, spurlos verschwunden scheint.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/353>, abgerufen am 23.07.2024.