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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Auf ein Urtheil selbst zu verzichten, kommt ihm allerdings dabei nicht in den
Sinn, vielmehr gibt er ein solches bei den wichtigsten Momenten in Dalbergs
Leben in ausführlicher Motivirung. Voreingenommenheit für den Mann tritt
dabei in keiner Weise hervor, eher durchweht ein kühler, ja zuweilen schnei¬
dender Hauch derartige Betrachtungen. Soviel ist gewiß: Der Mensch Dal-
berg, der humane Regent, der unermüdlich bis an sein Ende wohlthätige
Kirchenfürst, der Freund und Gönner unserer großen Dichter, tritt in Beau-
lieus Buche als eine gewinnende Erscheinung dem Leser entgegen, aber dem
Staatsmanne, dem Politiker Dalberg ist die scharfe Beleuchtung, in welche sein
Biograph ihn rückt, keineswegs günstig, ja sie ist geeignet, das scharfe Urtheil
Häussers vielfach zu bekräftigen. Wir sehen, wie ein Mann aus altem, reichs-
freiherrlichem Geschlecht, von oberflächlicher Bildung, ohne politisches Verständ¬
niß, ohne politischen Charakter, ohne Menschenkenntniß, sich berauscht in der
phantastischen Begeisterung für eine Reichsverfassung, an deren Unbrauchbarkeit
kein Einsichtiger mehr zweifeln konnte, wie er das Interesse der deutschen Nation
mit dem an der Erhaltung dieser Verfassung völlig verwechselt, ja wie sich ihm
mehr und mehr dem Begriffe der Reichsverfassung der seiner Erzkanzlerwürde
unterschiebt; wie er dann, als die alten Formen rettungslos zerbrechen, allen
Halt verliert und in der Meinung, diese abgelebten Formen wiederherstellen
und damit Deutschlands Wohl befördern zu können, hingerissen überdies von
persönlicher Bewunderung und Dankbarkeit, zum ergebenen Werkzeuge Napo¬
leons wird, bis er endlich, als solches jede Spur von Selbstgefühl und Selbst¬
achtung verlierend, seine weltliche Herrschaft mit der Weltmacht seines Protek¬
tors zugleich wie ein Kartenhaus zusammenbrechen sieht. Zu dieser jammer¬
vollen Rolle, die den persönlich wackeren Mann zu einem politischen Apostaten
traurigster Art gemacht hat, ist er gekommen wesentlich durch seinen freilich
nur mangelhaft bekannten Bildungsgang und seine unklare, geistlich-weltliche
Stellung. In beiden liegt für sein späteres Leben die Erklärung und inso¬
fern auch etwas von Entschuldigung.

Karl Theodor Anton Maria Freiherr v. Dalberg war am
8. Februar 1744 zu Herrnsheim bei Worms geboren, als Sohn Franz Hein¬
richs v. Dalberg und der Maria Sophie Anna Gräfin v. Elz-Kempenich. Von
seinen beiden Brüdern ist Heribert als Intendant des Mannheimer Theaters
und Förderer des jungen Schiller bekannt geworden. Die Familie, seit Jahr¬
hunderten schon im Besitz des Gutes, war um 1330 in der direkten männlichen
Linie erloschen, dann aber Name und Besitz auf die weibliche übergegangen,
deren Stammvater Johann Gerhard, Kämmerer zu Worms, war. Diese alten
Beziehungen zu dem Bisthume erklären es, daß Johann v. Dalberg (1445
bis 1503) neben seinem Amte als Kanzler der Universität Heidelberg, wo er


Auf ein Urtheil selbst zu verzichten, kommt ihm allerdings dabei nicht in den
Sinn, vielmehr gibt er ein solches bei den wichtigsten Momenten in Dalbergs
Leben in ausführlicher Motivirung. Voreingenommenheit für den Mann tritt
dabei in keiner Weise hervor, eher durchweht ein kühler, ja zuweilen schnei¬
dender Hauch derartige Betrachtungen. Soviel ist gewiß: Der Mensch Dal-
berg, der humane Regent, der unermüdlich bis an sein Ende wohlthätige
Kirchenfürst, der Freund und Gönner unserer großen Dichter, tritt in Beau-
lieus Buche als eine gewinnende Erscheinung dem Leser entgegen, aber dem
Staatsmanne, dem Politiker Dalberg ist die scharfe Beleuchtung, in welche sein
Biograph ihn rückt, keineswegs günstig, ja sie ist geeignet, das scharfe Urtheil
Häussers vielfach zu bekräftigen. Wir sehen, wie ein Mann aus altem, reichs-
freiherrlichem Geschlecht, von oberflächlicher Bildung, ohne politisches Verständ¬
niß, ohne politischen Charakter, ohne Menschenkenntniß, sich berauscht in der
phantastischen Begeisterung für eine Reichsverfassung, an deren Unbrauchbarkeit
kein Einsichtiger mehr zweifeln konnte, wie er das Interesse der deutschen Nation
mit dem an der Erhaltung dieser Verfassung völlig verwechselt, ja wie sich ihm
mehr und mehr dem Begriffe der Reichsverfassung der seiner Erzkanzlerwürde
unterschiebt; wie er dann, als die alten Formen rettungslos zerbrechen, allen
Halt verliert und in der Meinung, diese abgelebten Formen wiederherstellen
und damit Deutschlands Wohl befördern zu können, hingerissen überdies von
persönlicher Bewunderung und Dankbarkeit, zum ergebenen Werkzeuge Napo¬
leons wird, bis er endlich, als solches jede Spur von Selbstgefühl und Selbst¬
achtung verlierend, seine weltliche Herrschaft mit der Weltmacht seines Protek¬
tors zugleich wie ein Kartenhaus zusammenbrechen sieht. Zu dieser jammer¬
vollen Rolle, die den persönlich wackeren Mann zu einem politischen Apostaten
traurigster Art gemacht hat, ist er gekommen wesentlich durch seinen freilich
nur mangelhaft bekannten Bildungsgang und seine unklare, geistlich-weltliche
Stellung. In beiden liegt für sein späteres Leben die Erklärung und inso¬
fern auch etwas von Entschuldigung.

Karl Theodor Anton Maria Freiherr v. Dalberg war am
8. Februar 1744 zu Herrnsheim bei Worms geboren, als Sohn Franz Hein¬
richs v. Dalberg und der Maria Sophie Anna Gräfin v. Elz-Kempenich. Von
seinen beiden Brüdern ist Heribert als Intendant des Mannheimer Theaters
und Förderer des jungen Schiller bekannt geworden. Die Familie, seit Jahr¬
hunderten schon im Besitz des Gutes, war um 1330 in der direkten männlichen
Linie erloschen, dann aber Name und Besitz auf die weibliche übergegangen,
deren Stammvater Johann Gerhard, Kämmerer zu Worms, war. Diese alten
Beziehungen zu dem Bisthume erklären es, daß Johann v. Dalberg (1445
bis 1503) neben seinem Amte als Kanzler der Universität Heidelberg, wo er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/350>, abgerufen am 23.07.2024.