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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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selbe von Berlin aus angeregt worden, indem Kaiser Wilhelm dem russischen
Zaren in einem Schreiben die Opportunität eines Besuchs des Großfürsten-
Thronfolgers in Wien, dessen Ausflug uach Gmunden bereits seit einigen
Wochen beschlossen war, angedeutet hätte. Der Kaiser Alexander sei von den
dafür sprechenden Gründen überzeugt worden und habe seinen Sohn ange¬
wiesen, ihnen Rechnung zu tragen. Der letztere habe der Weisung anfangs
Widerstand entgegengesetzt und erst einem zweiten, "etwas schärfer accentuirtem
Schreiben" -- aus dem Verblümten ins Deutliche übersetzt: einem Befehle --
nachgegeben. Dann, nachdem der Besuch in Wien gesichert gewesen, soll der
deutsche Kaiser den österreichisch-ungarischen Monarchen davon in Kenntniß
gesetzt haben. Endlich hat das betreffende Blatt versichern hören, daß in der
Korrespondenz, die sich auf diesen und einen inzwischen aus Livadia an den
Kaiser Franz Josef ergangenen Brief hin zwischen den drei Kaisern entsponnen,
"die politische Situation eingehende Würdigung gefunden habe, wobei eine An¬
näherung Rußlands an den von Deutschland und Oesterreich-Ungarn einge¬
nommenen Standpunkt sich manifestirt haben solle. Daß diese Annäherung
durch den Besuch, welchen der Großfürst-Thronfolger in Wien und Berlin ab¬
zustatten im Begriff sei, eine weitere Konsolidirung erfahren werde, daran
werde mit Beharrlichkeit geglaubt."

Hierin mischt sich offenbar Falsches mit Wahren. Möglich, vielleicht nach
Alexandrowo wahrscheinlich ist, daß jene erste Anregung von Kaiser Wilhelm
ausgegangen ist. Eine Korrespondenz zwischen den drei Monarchen kann statt¬
gefunden haben, und eine persönliche Annäherung kann dabei erreicht worden
sein. Zu einer Annäherung Rußlands an den von Deutschland und Oester¬
reich-Ungarn eingenommenen Standpunkt würde aber mehr erforderlich sein.
Die beiden letzteren sind konstitutionelle Staaten, in denen die Verantwortlich¬
keit bei politischen Unterhandlungen mit fremden Mächten vom Minister der
auswärtigen Angelegenheiten getragen wird, welcher also zu hören gewesen
wäre, wenn von einer andern Gestaltung der Dinge die Rede sein sollte. Mög¬
lich, daß dies der Fall gewesen ist; dann aber sollte man meinen, daß der
Besuch des Zarewitsch in Berlin mich den Fürsten Bismarck dahin führen
werde, und davon verlautet bis jetzt noch nichts.

Ferner wird Kennern der Petersburger Zustände und Persönlichkeiten
kaum einleuchten, daß ein "schärfer accentuirtes Schreiben" den Sohn des
Kaisers Alexander zum Aufgeben seines Widerstandes gegen den Besuch des
Wiener Hofes und zum Erscheinen desselben in Berlin bestimmt hat. Gewiß
konnte ihm der Kaiser befehlen und Gehorsam verlangen; zu bezweifeln aber
ist, ob solche Energie dem gegenwärtigen Beherrscher Rußlands noch innewohnt.
Verdickte es sich gleichwohl so, wie behauptet wird, so hätte der Besuch nur


selbe von Berlin aus angeregt worden, indem Kaiser Wilhelm dem russischen
Zaren in einem Schreiben die Opportunität eines Besuchs des Großfürsten-
Thronfolgers in Wien, dessen Ausflug uach Gmunden bereits seit einigen
Wochen beschlossen war, angedeutet hätte. Der Kaiser Alexander sei von den
dafür sprechenden Gründen überzeugt worden und habe seinen Sohn ange¬
wiesen, ihnen Rechnung zu tragen. Der letztere habe der Weisung anfangs
Widerstand entgegengesetzt und erst einem zweiten, „etwas schärfer accentuirtem
Schreiben" — aus dem Verblümten ins Deutliche übersetzt: einem Befehle —
nachgegeben. Dann, nachdem der Besuch in Wien gesichert gewesen, soll der
deutsche Kaiser den österreichisch-ungarischen Monarchen davon in Kenntniß
gesetzt haben. Endlich hat das betreffende Blatt versichern hören, daß in der
Korrespondenz, die sich auf diesen und einen inzwischen aus Livadia an den
Kaiser Franz Josef ergangenen Brief hin zwischen den drei Kaisern entsponnen,
„die politische Situation eingehende Würdigung gefunden habe, wobei eine An¬
näherung Rußlands an den von Deutschland und Oesterreich-Ungarn einge¬
nommenen Standpunkt sich manifestirt haben solle. Daß diese Annäherung
durch den Besuch, welchen der Großfürst-Thronfolger in Wien und Berlin ab¬
zustatten im Begriff sei, eine weitere Konsolidirung erfahren werde, daran
werde mit Beharrlichkeit geglaubt."

Hierin mischt sich offenbar Falsches mit Wahren. Möglich, vielleicht nach
Alexandrowo wahrscheinlich ist, daß jene erste Anregung von Kaiser Wilhelm
ausgegangen ist. Eine Korrespondenz zwischen den drei Monarchen kann statt¬
gefunden haben, und eine persönliche Annäherung kann dabei erreicht worden
sein. Zu einer Annäherung Rußlands an den von Deutschland und Oester¬
reich-Ungarn eingenommenen Standpunkt würde aber mehr erforderlich sein.
Die beiden letzteren sind konstitutionelle Staaten, in denen die Verantwortlich¬
keit bei politischen Unterhandlungen mit fremden Mächten vom Minister der
auswärtigen Angelegenheiten getragen wird, welcher also zu hören gewesen
wäre, wenn von einer andern Gestaltung der Dinge die Rede sein sollte. Mög¬
lich, daß dies der Fall gewesen ist; dann aber sollte man meinen, daß der
Besuch des Zarewitsch in Berlin mich den Fürsten Bismarck dahin führen
werde, und davon verlautet bis jetzt noch nichts.

Ferner wird Kennern der Petersburger Zustände und Persönlichkeiten
kaum einleuchten, daß ein „schärfer accentuirtes Schreiben" den Sohn des
Kaisers Alexander zum Aufgeben seines Widerstandes gegen den Besuch des
Wiener Hofes und zum Erscheinen desselben in Berlin bestimmt hat. Gewiß
konnte ihm der Kaiser befehlen und Gehorsam verlangen; zu bezweifeln aber
ist, ob solche Energie dem gegenwärtigen Beherrscher Rußlands noch innewohnt.
Verdickte es sich gleichwohl so, wie behauptet wird, so hätte der Besuch nur


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[0347] selbe von Berlin aus angeregt worden, indem Kaiser Wilhelm dem russischen Zaren in einem Schreiben die Opportunität eines Besuchs des Großfürsten- Thronfolgers in Wien, dessen Ausflug uach Gmunden bereits seit einigen Wochen beschlossen war, angedeutet hätte. Der Kaiser Alexander sei von den dafür sprechenden Gründen überzeugt worden und habe seinen Sohn ange¬ wiesen, ihnen Rechnung zu tragen. Der letztere habe der Weisung anfangs Widerstand entgegengesetzt und erst einem zweiten, „etwas schärfer accentuirtem Schreiben" — aus dem Verblümten ins Deutliche übersetzt: einem Befehle — nachgegeben. Dann, nachdem der Besuch in Wien gesichert gewesen, soll der deutsche Kaiser den österreichisch-ungarischen Monarchen davon in Kenntniß gesetzt haben. Endlich hat das betreffende Blatt versichern hören, daß in der Korrespondenz, die sich auf diesen und einen inzwischen aus Livadia an den Kaiser Franz Josef ergangenen Brief hin zwischen den drei Kaisern entsponnen, „die politische Situation eingehende Würdigung gefunden habe, wobei eine An¬ näherung Rußlands an den von Deutschland und Oesterreich-Ungarn einge¬ nommenen Standpunkt sich manifestirt haben solle. Daß diese Annäherung durch den Besuch, welchen der Großfürst-Thronfolger in Wien und Berlin ab¬ zustatten im Begriff sei, eine weitere Konsolidirung erfahren werde, daran werde mit Beharrlichkeit geglaubt." Hierin mischt sich offenbar Falsches mit Wahren. Möglich, vielleicht nach Alexandrowo wahrscheinlich ist, daß jene erste Anregung von Kaiser Wilhelm ausgegangen ist. Eine Korrespondenz zwischen den drei Monarchen kann statt¬ gefunden haben, und eine persönliche Annäherung kann dabei erreicht worden sein. Zu einer Annäherung Rußlands an den von Deutschland und Oester¬ reich-Ungarn eingenommenen Standpunkt würde aber mehr erforderlich sein. Die beiden letzteren sind konstitutionelle Staaten, in denen die Verantwortlich¬ keit bei politischen Unterhandlungen mit fremden Mächten vom Minister der auswärtigen Angelegenheiten getragen wird, welcher also zu hören gewesen wäre, wenn von einer andern Gestaltung der Dinge die Rede sein sollte. Mög¬ lich, daß dies der Fall gewesen ist; dann aber sollte man meinen, daß der Besuch des Zarewitsch in Berlin mich den Fürsten Bismarck dahin führen werde, und davon verlautet bis jetzt noch nichts. Ferner wird Kennern der Petersburger Zustände und Persönlichkeiten kaum einleuchten, daß ein „schärfer accentuirtes Schreiben" den Sohn des Kaisers Alexander zum Aufgeben seines Widerstandes gegen den Besuch des Wiener Hofes und zum Erscheinen desselben in Berlin bestimmt hat. Gewiß konnte ihm der Kaiser befehlen und Gehorsam verlangen; zu bezweifeln aber ist, ob solche Energie dem gegenwärtigen Beherrscher Rußlands noch innewohnt. Verdickte es sich gleichwohl so, wie behauptet wird, so hätte der Besuch nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/347>, abgerufen am 23.07.2024.