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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Der stramme Reservist mit dem eisernen Kreuz, der die junge Eiche in der
Grube aufrecht erhält, der lange Posaunenblüser hinter ihm, die weißgekleideten
Mädchen, die gebückten Invaliden aus den Freiheitskriegen, die Aristokratie des
Dorfes, welche die Folie der ganzen Feierlichkeit bildet -- wie fein beobachtet,
wie sicher wiedergegeben und wie scharf individualisirt find diese zahlreichen
Figuren, die ein leiser Hauch naiven Humors belebt!

Dieser Humor, die herzerquickendste Seite des deutschen Volksgeistes, bleibt
am Ende doch auch die schätzbarste Eigenschaft unserer Genremaler. Sie ver¬
söhnt selbst mit einer so befangenen, in engen Grenzen sich bewegenden Technik,
wie derjenigen Meyer's von Bremen, eines in Berlin ansässigen Vertreters der
älteren Düsseldorfer Richtung, der seit nahezu einem Menschenalter humoristische
Bildchen aus der Kinderwelt malt und auch auf der gegenwärtigen Ausstellung
mit drei Proben seines bescheidenen, liebenswürdigen Talentes vertreten ist.
Nach einer novellistischen Pointe strebt auch der in französischer Schule ge¬
bildete Wilhelm Amberg, der feine leicht humoristisch gefärbten Stoffe ebenso
gern aus dem Leben seiner Zeit wie aus der Rokokoperiode und der Werther¬
zeit herausgreift. Der junge blonde Mann im Reitbahn, der beim Vorüberritt
im Förstersgarten vorgesprochen hat und, da der Faden des Gesprächs einen
Riß erlitten zu haben scheint, verlegen auf die Erde blickt, hat ohne Zweifel
sein Herz an eine der hübschen Försterstöchter verloren, die in der sonnigen
Laube sitzen, eine Thatsache, welche der über ihre Brille forschend hinwegblicken¬
den Mutter eben erst aufzugehen scheint. Die "Rechtfertigung", das zweite Bild,
wird sicherlich nicht ohne Erfolg bleiben, da das schmucke Dirnchen, welches
neben ihrem erzürnten Liebhaber im Dreispitz einhertrippelt, neben seiner eif¬
rigen Beredtsamkeit noch die viel wirksameren Waffen ihrer Reize ins Gefecht
führt. Die "junge Wittwe" endlich, die ihr Kind zur Frühlingszeit in einem
Gehölz spazieren führt, ist ein ergreifendes Stimmungsbild, welches bereits in
der deutsche" Abtheilung der Pariser Weltausstellung ein lebhaftes Interesse
erregt hat- Ambergs Technik ist in ihrer feinen, geistreichen, duftigen Manier,
welche jeden lärmenden Effekt vermeidet, ein vollkommen adäquates Ausdrucks¬
mittel für seine gefühlvollen und gemüthsreichen Stoffe. Einen stärkeren
tragischen Ton schlägt Otto Kirberg in Düsseldorf an, ersichtlich ein Schüler
Rudolf Jordans, der zum ersten Male mit einem größeren Bilde auf einer
Berliner Ausstellung erschienen ist und zugleich einen durchschlagenden Erfolg
erzielt hat. Sein Bild behandelt in dreizehn halblebensgroßen Figuren eine
tragische Episode aus dem Leben der normannischen Fischer, welches sein Lehr¬
meister Jordan zuerst für die Kunst entdeckt hat. In die saubere, von einem
gewissen Wohlstande zeugende Behausung haben mehrere Fischer die Leiche eines
jüngeren Genossen gebracht, der seinem gefährlichen Berufe zum Opfer gefallen


Der stramme Reservist mit dem eisernen Kreuz, der die junge Eiche in der
Grube aufrecht erhält, der lange Posaunenblüser hinter ihm, die weißgekleideten
Mädchen, die gebückten Invaliden aus den Freiheitskriegen, die Aristokratie des
Dorfes, welche die Folie der ganzen Feierlichkeit bildet — wie fein beobachtet,
wie sicher wiedergegeben und wie scharf individualisirt find diese zahlreichen
Figuren, die ein leiser Hauch naiven Humors belebt!

Dieser Humor, die herzerquickendste Seite des deutschen Volksgeistes, bleibt
am Ende doch auch die schätzbarste Eigenschaft unserer Genremaler. Sie ver¬
söhnt selbst mit einer so befangenen, in engen Grenzen sich bewegenden Technik,
wie derjenigen Meyer's von Bremen, eines in Berlin ansässigen Vertreters der
älteren Düsseldorfer Richtung, der seit nahezu einem Menschenalter humoristische
Bildchen aus der Kinderwelt malt und auch auf der gegenwärtigen Ausstellung
mit drei Proben seines bescheidenen, liebenswürdigen Talentes vertreten ist.
Nach einer novellistischen Pointe strebt auch der in französischer Schule ge¬
bildete Wilhelm Amberg, der feine leicht humoristisch gefärbten Stoffe ebenso
gern aus dem Leben seiner Zeit wie aus der Rokokoperiode und der Werther¬
zeit herausgreift. Der junge blonde Mann im Reitbahn, der beim Vorüberritt
im Förstersgarten vorgesprochen hat und, da der Faden des Gesprächs einen
Riß erlitten zu haben scheint, verlegen auf die Erde blickt, hat ohne Zweifel
sein Herz an eine der hübschen Försterstöchter verloren, die in der sonnigen
Laube sitzen, eine Thatsache, welche der über ihre Brille forschend hinwegblicken¬
den Mutter eben erst aufzugehen scheint. Die „Rechtfertigung", das zweite Bild,
wird sicherlich nicht ohne Erfolg bleiben, da das schmucke Dirnchen, welches
neben ihrem erzürnten Liebhaber im Dreispitz einhertrippelt, neben seiner eif¬
rigen Beredtsamkeit noch die viel wirksameren Waffen ihrer Reize ins Gefecht
führt. Die „junge Wittwe" endlich, die ihr Kind zur Frühlingszeit in einem
Gehölz spazieren führt, ist ein ergreifendes Stimmungsbild, welches bereits in
der deutsche» Abtheilung der Pariser Weltausstellung ein lebhaftes Interesse
erregt hat- Ambergs Technik ist in ihrer feinen, geistreichen, duftigen Manier,
welche jeden lärmenden Effekt vermeidet, ein vollkommen adäquates Ausdrucks¬
mittel für seine gefühlvollen und gemüthsreichen Stoffe. Einen stärkeren
tragischen Ton schlägt Otto Kirberg in Düsseldorf an, ersichtlich ein Schüler
Rudolf Jordans, der zum ersten Male mit einem größeren Bilde auf einer
Berliner Ausstellung erschienen ist und zugleich einen durchschlagenden Erfolg
erzielt hat. Sein Bild behandelt in dreizehn halblebensgroßen Figuren eine
tragische Episode aus dem Leben der normannischen Fischer, welches sein Lehr¬
meister Jordan zuerst für die Kunst entdeckt hat. In die saubere, von einem
gewissen Wohlstande zeugende Behausung haben mehrere Fischer die Leiche eines
jüngeren Genossen gebracht, der seinem gefährlichen Berufe zum Opfer gefallen


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[0034] Der stramme Reservist mit dem eisernen Kreuz, der die junge Eiche in der Grube aufrecht erhält, der lange Posaunenblüser hinter ihm, die weißgekleideten Mädchen, die gebückten Invaliden aus den Freiheitskriegen, die Aristokratie des Dorfes, welche die Folie der ganzen Feierlichkeit bildet — wie fein beobachtet, wie sicher wiedergegeben und wie scharf individualisirt find diese zahlreichen Figuren, die ein leiser Hauch naiven Humors belebt! Dieser Humor, die herzerquickendste Seite des deutschen Volksgeistes, bleibt am Ende doch auch die schätzbarste Eigenschaft unserer Genremaler. Sie ver¬ söhnt selbst mit einer so befangenen, in engen Grenzen sich bewegenden Technik, wie derjenigen Meyer's von Bremen, eines in Berlin ansässigen Vertreters der älteren Düsseldorfer Richtung, der seit nahezu einem Menschenalter humoristische Bildchen aus der Kinderwelt malt und auch auf der gegenwärtigen Ausstellung mit drei Proben seines bescheidenen, liebenswürdigen Talentes vertreten ist. Nach einer novellistischen Pointe strebt auch der in französischer Schule ge¬ bildete Wilhelm Amberg, der feine leicht humoristisch gefärbten Stoffe ebenso gern aus dem Leben seiner Zeit wie aus der Rokokoperiode und der Werther¬ zeit herausgreift. Der junge blonde Mann im Reitbahn, der beim Vorüberritt im Förstersgarten vorgesprochen hat und, da der Faden des Gesprächs einen Riß erlitten zu haben scheint, verlegen auf die Erde blickt, hat ohne Zweifel sein Herz an eine der hübschen Försterstöchter verloren, die in der sonnigen Laube sitzen, eine Thatsache, welche der über ihre Brille forschend hinwegblicken¬ den Mutter eben erst aufzugehen scheint. Die „Rechtfertigung", das zweite Bild, wird sicherlich nicht ohne Erfolg bleiben, da das schmucke Dirnchen, welches neben ihrem erzürnten Liebhaber im Dreispitz einhertrippelt, neben seiner eif¬ rigen Beredtsamkeit noch die viel wirksameren Waffen ihrer Reize ins Gefecht führt. Die „junge Wittwe" endlich, die ihr Kind zur Frühlingszeit in einem Gehölz spazieren führt, ist ein ergreifendes Stimmungsbild, welches bereits in der deutsche» Abtheilung der Pariser Weltausstellung ein lebhaftes Interesse erregt hat- Ambergs Technik ist in ihrer feinen, geistreichen, duftigen Manier, welche jeden lärmenden Effekt vermeidet, ein vollkommen adäquates Ausdrucks¬ mittel für seine gefühlvollen und gemüthsreichen Stoffe. Einen stärkeren tragischen Ton schlägt Otto Kirberg in Düsseldorf an, ersichtlich ein Schüler Rudolf Jordans, der zum ersten Male mit einem größeren Bilde auf einer Berliner Ausstellung erschienen ist und zugleich einen durchschlagenden Erfolg erzielt hat. Sein Bild behandelt in dreizehn halblebensgroßen Figuren eine tragische Episode aus dem Leben der normannischen Fischer, welches sein Lehr¬ meister Jordan zuerst für die Kunst entdeckt hat. In die saubere, von einem gewissen Wohlstande zeugende Behausung haben mehrere Fischer die Leiche eines jüngeren Genossen gebracht, der seinem gefährlichen Berufe zum Opfer gefallen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/34>, abgerufen am 23.07.2024.