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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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und auch gehaßt von Stillen feinden
Sey wo dein schicksaal dir gebeut
in welcher lufft auff welcher Erde
erinnre dich nur stets daß meine redligleit
dir immer guttcs wünschen werde

Sappho

Die Handschrift zeigt, daß diese selbstbewußte, völlig interpunktionslose deutsche
"Sappho" niemand anders ist als abermals die Karsch. Auf den Besitzer des
Stammbuchs scheint diese reiche Spende einen besonders rührenden und nachhal¬
tigen Eindruck gemacht zu haben. Als die Dichterin 1791 starb, widmete Eck ihrem
Andenken eine Anzahl lateinischer Trauergedichte "Ms^i in mortem ^.uns,s I^ucko-
vies.6 Xs.rseni3,6. I^ixs. 1792).

Endlich blieben noch Klopstock und Wieland übrig. Klop stock behilft sich
mit ein paar Hagedvrnschen Zeilen:


Der Geist, durch den ein Cato groß geworden,
Fährt in kein Band, er ruht auf keinem Orden.

Wieland hat auf einer linken Seite des Buches geschrieben: "Wir bessern nicht
gern an den Wercken der g-tria. rnatör rsrum." Sein jüngerer Erfurter Kollege
Riedel, Klotzens bekannter sekundäre in der archäologischen Fehde mit Lessing,
schrieb supplircnd aus die gegenüberstehende Seite: "Und lieben den Spruch
rläsucio äioers vsruin."

An diesen Proben sei es genug; vielleicht haben wir des Guten schon mehr
als zu viel damit gethan. Nur über das Oesersche Bildchen noch ein Wort.
Es ist bezeichnet Oeser und soll, wie eine von späterer Hand hinzugefügte,
kaum noch leserliche Bleistiftnotiz besagt, den Philosophen darstellen (namens?), der
in Gegenwart von mehreren Zuschauern Linsen durch ein Nadelöhr wirft. --

Lebten wir selber noch in jener weichen, elegischen Zeit, wo unser Studenten¬
stammbuch von Hand zu Hand ging, so würden wir vergilbte Blätter, über die vor
mehr denn hundert Jahren die Feder so vieler großen Geister gegangen, vermuthlich
nicht ohne Thränen im Auge aus der Hand legen, Thränen der Wehmuth über
die schnöde Vergänglichkeit und darüber, daß ein erbärmliches Stück Papier den
Menschen überleben muß. In unserem rauhen, hartgesottenen Zeitalter scheiden
wir von dem Büchlein mit einer kühleren Betrachtung. Wir sind gewohnt, das
siebzehnte Jahrhundert in unserer poetischen Literatur als die Periode der "Gelehrten-
Dichtung" zu bezeichnen, und geneigt, schon im ersten und zweiten Drittel des
achtzehnten überall die Vorwehen der großen Sturm- und Drangzeit zu erblicken.
Wie schwach und wirkungslos aber in der That diese Wehen gewesen, und wie
tief die deutsche Dichtung auch damals noch im Gelehrtenthum stak, ist uns
selten so greifbar deutlich geworden wie hier, wo fast der ganze deutsche Parnaß
jener Tage auf und zwischen Universttätskathedcrn uns vor Augen tritt.


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und auch gehaßt von Stillen feinden
Sey wo dein schicksaal dir gebeut
in welcher lufft auff welcher Erde
erinnre dich nur stets daß meine redligleit
dir immer guttcs wünschen werde

Sappho

Die Handschrift zeigt, daß diese selbstbewußte, völlig interpunktionslose deutsche
„Sappho" niemand anders ist als abermals die Karsch. Auf den Besitzer des
Stammbuchs scheint diese reiche Spende einen besonders rührenden und nachhal¬
tigen Eindruck gemacht zu haben. Als die Dichterin 1791 starb, widmete Eck ihrem
Andenken eine Anzahl lateinischer Trauergedichte «Ms^i in mortem ^.uns,s I^ucko-
vies.6 Xs.rseni3,6. I^ixs. 1792).

Endlich blieben noch Klopstock und Wieland übrig. Klop stock behilft sich
mit ein paar Hagedvrnschen Zeilen:


Der Geist, durch den ein Cato groß geworden,
Fährt in kein Band, er ruht auf keinem Orden.

Wieland hat auf einer linken Seite des Buches geschrieben: „Wir bessern nicht
gern an den Wercken der g-tria. rnatör rsrum." Sein jüngerer Erfurter Kollege
Riedel, Klotzens bekannter sekundäre in der archäologischen Fehde mit Lessing,
schrieb supplircnd aus die gegenüberstehende Seite: „Und lieben den Spruch
rläsucio äioers vsruin."

An diesen Proben sei es genug; vielleicht haben wir des Guten schon mehr
als zu viel damit gethan. Nur über das Oesersche Bildchen noch ein Wort.
Es ist bezeichnet Oeser und soll, wie eine von späterer Hand hinzugefügte,
kaum noch leserliche Bleistiftnotiz besagt, den Philosophen darstellen (namens?), der
in Gegenwart von mehreren Zuschauern Linsen durch ein Nadelöhr wirft. —

Lebten wir selber noch in jener weichen, elegischen Zeit, wo unser Studenten¬
stammbuch von Hand zu Hand ging, so würden wir vergilbte Blätter, über die vor
mehr denn hundert Jahren die Feder so vieler großen Geister gegangen, vermuthlich
nicht ohne Thränen im Auge aus der Hand legen, Thränen der Wehmuth über
die schnöde Vergänglichkeit und darüber, daß ein erbärmliches Stück Papier den
Menschen überleben muß. In unserem rauhen, hartgesottenen Zeitalter scheiden
wir von dem Büchlein mit einer kühleren Betrachtung. Wir sind gewohnt, das
siebzehnte Jahrhundert in unserer poetischen Literatur als die Periode der „Gelehrten-
Dichtung" zu bezeichnen, und geneigt, schon im ersten und zweiten Drittel des
achtzehnten überall die Vorwehen der großen Sturm- und Drangzeit zu erblicken.
Wie schwach und wirkungslos aber in der That diese Wehen gewesen, und wie
tief die deutsche Dichtung auch damals noch im Gelehrtenthum stak, ist uns
selten so greifbar deutlich geworden wie hier, wo fast der ganze deutsche Parnaß
jener Tage auf und zwischen Universttätskathedcrn uns vor Augen tritt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/338>, abgerufen am 23.07.2024.