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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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ration zu wenden und eine große Anzahl von Leuten anzustellen, die aus ihrer
Unabhängigkeit förmlich ein Metier machten, in tendenziöser Weise den Geringen
und Armen vor dem Vornehmen und Reichen begünstigten und juristischen
Abstraktionen vor den Interessen des Staates den Vortritt ließen. Von seinem
Nachfolger Senator Nabokoff wurden als von einem älteren und erfahrenen
Herrn die Gefügigkeit und die büreaukratische Strenge erwartet, welche man
an Pahlen vermißt hatte. Aber er fand bei jenem Ausnahmezustände bisher
noch nicht Gelegenheit, zu zeigen, was er ist.

Tritt die Justiz wieder in ihre Rechte, so wird er, der in deren Suspension
gewilligt hat, es vermuthlich so wenig zur Stellung eines Mannes des öffent¬
lichen Vertrauens bringen als Makoff und der Unterrichtsminister, Graf Toi¬
se o y. Der letztere ist entschieden der unpopulärste unter den jetzigen Rathgebern
des Kaisers Alexander. "Die Brutalität, mit welcher er," wie der Verfasser
unserer Schrift, hie und da wohl mit zuviel Eifer und nicht mit billiger Be¬
rücksichtigung des durch die nihilistische Verwilderung der studirenden Jugend
herbeigeführten Nothstandes sagt, "sein System durchzusetzen, die Unabhängigkeit
der akademischen Lehrkörper zu brechen und jede publizistische Kritik seiner Lei¬
stungen zum Schweigen zu bringen versucht hat, wird nur durch die Gefügig¬
keit übertroffen, welche sein Verhalten zu den Generalgouverneuren und zu der
"dritten Abtheilung" (der politischen Polizei) bezeichnet. Seit Jahr und Tag
sind die Untergebenen seines Ressorts, Lehrende wie Lernende, Mißhandlungen
und Vergewaltigungen der schlimmsten Art ausgesetzt gewesen, ohne daß der
Minister zu ihrem Schutze je den Finger erhoben oder auch nur Miene gemacht
hätte, durch Handhabung einer gerechten und billigen Disziplin das Vertrauen
der Jugend zu gewinnen. Damit ist zugleich gesagt, daß er gehaßt und ver¬
achtet wird wie kein zweiter höherer Beamter, und daß seine einflußreichen
Untergebenen (die Professoren, die sich einer schrankenlosen Popularität er¬
freuen) ihm bei jeder Gelegenheit am Zeuge zu flicken suchen." "Von den
Anordnungen, welche Graf Tolstoy während der letzten Monate getroffen hat,
um die Zulassung zum Universitätsstudium zu erschweren und die Schuljugend
mit Hilfe von Uniforms- und Salutreglements zu bändigen", meint der Ver¬
fasser, daß "niemand daran zweifelt, daß dieser Anlauf zur Wiederherstellung
des autoritären Systems der guten alten Zeit unter Zar Nikolaus von ebenso
kurzer Dauer sein werde wie die Versuche, die mediko - chirurgischen Kabinete
auf ein Drittheil ihres bisherigen Personals herabzudrücken und in eine Art
von Kadettenhäuser zu verwandeln oder die Jugend der Seminarien von den
Universitäten abzusperren." Indeß habe "diese neueste Phase von Tolstoys
öffentlicher Thätigkeit in zu weiten Kreisen unliebsames Aufsehen erregt, als
daß angenommen werden könnte, der Unterrichtsminister von 1866 werde seine


ration zu wenden und eine große Anzahl von Leuten anzustellen, die aus ihrer
Unabhängigkeit förmlich ein Metier machten, in tendenziöser Weise den Geringen
und Armen vor dem Vornehmen und Reichen begünstigten und juristischen
Abstraktionen vor den Interessen des Staates den Vortritt ließen. Von seinem
Nachfolger Senator Nabokoff wurden als von einem älteren und erfahrenen
Herrn die Gefügigkeit und die büreaukratische Strenge erwartet, welche man
an Pahlen vermißt hatte. Aber er fand bei jenem Ausnahmezustände bisher
noch nicht Gelegenheit, zu zeigen, was er ist.

Tritt die Justiz wieder in ihre Rechte, so wird er, der in deren Suspension
gewilligt hat, es vermuthlich so wenig zur Stellung eines Mannes des öffent¬
lichen Vertrauens bringen als Makoff und der Unterrichtsminister, Graf Toi¬
se o y. Der letztere ist entschieden der unpopulärste unter den jetzigen Rathgebern
des Kaisers Alexander. „Die Brutalität, mit welcher er," wie der Verfasser
unserer Schrift, hie und da wohl mit zuviel Eifer und nicht mit billiger Be¬
rücksichtigung des durch die nihilistische Verwilderung der studirenden Jugend
herbeigeführten Nothstandes sagt, „sein System durchzusetzen, die Unabhängigkeit
der akademischen Lehrkörper zu brechen und jede publizistische Kritik seiner Lei¬
stungen zum Schweigen zu bringen versucht hat, wird nur durch die Gefügig¬
keit übertroffen, welche sein Verhalten zu den Generalgouverneuren und zu der
„dritten Abtheilung" (der politischen Polizei) bezeichnet. Seit Jahr und Tag
sind die Untergebenen seines Ressorts, Lehrende wie Lernende, Mißhandlungen
und Vergewaltigungen der schlimmsten Art ausgesetzt gewesen, ohne daß der
Minister zu ihrem Schutze je den Finger erhoben oder auch nur Miene gemacht
hätte, durch Handhabung einer gerechten und billigen Disziplin das Vertrauen
der Jugend zu gewinnen. Damit ist zugleich gesagt, daß er gehaßt und ver¬
achtet wird wie kein zweiter höherer Beamter, und daß seine einflußreichen
Untergebenen (die Professoren, die sich einer schrankenlosen Popularität er¬
freuen) ihm bei jeder Gelegenheit am Zeuge zu flicken suchen." „Von den
Anordnungen, welche Graf Tolstoy während der letzten Monate getroffen hat,
um die Zulassung zum Universitätsstudium zu erschweren und die Schuljugend
mit Hilfe von Uniforms- und Salutreglements zu bändigen", meint der Ver¬
fasser, daß „niemand daran zweifelt, daß dieser Anlauf zur Wiederherstellung
des autoritären Systems der guten alten Zeit unter Zar Nikolaus von ebenso
kurzer Dauer sein werde wie die Versuche, die mediko - chirurgischen Kabinete
auf ein Drittheil ihres bisherigen Personals herabzudrücken und in eine Art
von Kadettenhäuser zu verwandeln oder die Jugend der Seminarien von den
Universitäten abzusperren." Indeß habe „diese neueste Phase von Tolstoys
öffentlicher Thätigkeit in zu weiten Kreisen unliebsames Aufsehen erregt, als
daß angenommen werden könnte, der Unterrichtsminister von 1866 werde seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/312>, abgerufen am 23.07.2024.